Alles weg

In seinem letzten Theaterstück nimmt Urs Widmer die aktuellen Veränderungen im Verlagswesen aufs Korn

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende seines Lebens waren Urs Widmer die Stoffe ausgegangen. So behauptete er zumindest im Gespräch. Allein, niemand wollte ihm das abnehmen. Sah man in dem Mann doch einen Autor mit einer beeindruckenden Werkliste vor sich – nicht zu reden von der Unzahl sprühender Ideen, aus denen sich jedes einzelne seiner Bücher zusammensetzte. Und damit sollte von heute auf morgen Schluss sein? Oder, wie Widmer es in seiner Autobiografie „Reise an den Rand des Universums“ (2013) formulierte: „Es ist wie bei einer Sanduhr: Der Sand, anfangs überreich im obern Glas, rinnt unerbittlich nach unten, und an einem Tag ist die letzte Erfindung, die in etwas Erlebtem wurzelt, erzählt. Du bist nicht tot […], aber du hast alle Geschichten erzählt.“

Nun, eine Geschichte hatte der Schweizer Autor noch in petto, bevor er am 2. April 2014 in Zürich seiner Krebserkrankung erlag. Knapp zwei Monate später – am 18. Juni – wurde im Theater „Rigiblick“ in Zürich sein letztes Bühnenwerk, „König der Bücher“, uraufgeführt. In der „Theaterbibliothek“ des einst von Widmer mitbegründeten Verlags der Autoren ist jetzt dessen Text erschienen. Die bittere Komödie erinnert ein bisschen an Stücke von Friedrich Dürrenmatt – vor allem an dessen ebenfalls zweiaktigen „Meteor“ (1966) –, zählt allerdings nicht zu den Werken Widmers, mit denen er Bleibendes für das deutschsprachige Gegenwartstheater geschrieben hat.

„König der Bücher“ ist ein Abgesang. Ein Abgesang auf die Gutenberg-Galaxis und ihre Heroen, die großen Verleger. Ein Abgesang auf den herkömmlichen Literaturbetrieb und einer auf das Lesen als weltaneignende, kulturelle Tätigkeit. Widmers im Mittelpunkt der Handlung stehender Verlagschef heißt Göschen – wie der Mann, der im Jahre 1785 in Leipzig die „G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung“ gründete, wo in den folgenden Jahrzehnten die Werke von Goethe, Schiller und Wieland erschienen. Sie brachten dem in Bremen Geborenen keinen finanziellen Gewinn – den erwirtschaftete er mit der Herausgabe der beim Lesepublikum seiner Zeit zunehmend beliebter werdenden Romane, Almanache und populären Sachbücher –, begründeten freilich seinen Ruf als einer der ersten und wichtigsten Förderer der Literatur der Deutschen Klassik. In Widmers Komödie trägt er Züge von Siegfried Unseld, Daniel Keel, Michael Krüger und anderen großen Verlegerpersönlichkeiten unserer Tage. Und er steht auf verlorenem Posten, denn die Zeiten der selbstlosen, charismatischen, literaturbesessenen Büchermacher sind vorbei.

Stattdessen dominiert ein allein auf Umsatz und wirtschaftliche Durchschlagskraft sich orientierendes Verlagsmodell zunehmend den Markt. „World Books International Chicago Illinois USA“ heißt das Unternehmen im Stück, welches sich darangemacht hat, den deutschen Buchmarkt komplett zu übernehmen. „Es ist aus mit Hanser. Mit Suhrkamp […] Mit Wagenbach […] Mit Diogenes […] Es ist aus mit Göschen“, verlautbaren die beiden Top-Manager eines Konzerns, in dem nicht mehr gelesen wird, was man auf die Bestsellertische der großen Buchhandelsketten bringt, sondern alles Denken sich allein noch um „Marktanteile“, „Umlaufgeschwindigkeit“, „Stellzeiten“ und „Umlaufrendite“ – kurz gesagt: den Maximalprofit – dreht.

Dass die Autoren, mit denen Göschen groß wurde und die er erst groß gemacht hat, unter diesen Aspekten verzichtbar geworden sind, wundert da nicht: „Achmatowa, Anna. […] Weg. [… ] Borges, Jorge Luis. Gesamtausgabe. […] Weg. […] Celan, Paul. […] Weg. […] Eich, Günter. […] Weg. […] Fried, Erich. […] Weg. […] Meyer, Conrad Ferdinand. […] Weg. […] Schmidt, Arno. […] Weg. […] Ich hasse Bücher, ich hasse Bücher, ich hasse sie.“

Man kann es Urs Widmer nicht verdenken, dass er sich in einer Zeit, in der das Gespräch über Geld, das sich mit ihnen verdienen lässt, jenes über die Bücher selbst zu verdrängen beginnt, auf die Seite der Tradition stellt. War er ja selbst ein homme de lettres durch und durch. Allein im „König der Bücher“ werden die Dinge doch sehr simplifiziert. Und die in Stücken wie den sprichwörtlichen „Top Dogs“ (1996) – sicher die beste Arbeit fürs Theater aus seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten – noch überall spürbare Galligkeit, mit der er den Typen, die er da auf die Bühne stellte, die Leviten las, hat einem häufig kaum mehr zündendem Humor Platz gemacht, der dem tatsächlichen Ernst der Lage nicht gerecht wird.

Das dürfte es auch den Theatern schwer machen, seinem letzten Stück mehr abzugewinnen als das bloße boulevardeske Vergnügen. Die Veranstaltungen im Züricher Theater „Rigiblick“ sind dennoch, wie man liest, bis zur Sommerpause ausverkauft. Es ist wohl nicht zuletzt ein Sich-Verneigen vor einem Autor, der seinem Publikum über viereinhalb Jahrzehnte zum Lachen wie zum Nachdenken Reizendes genug gegeben hat, um es ins Theater zu locken. Lange wird es nicht dauern – die Prophezeiung sei gewagt –, bis Widmers „König der Bücher“ in Vergessenheit geraten sein wird. Und Widmer selbst? Auch „weg“, wie die beiden unbelesenen, dafür aber umso profitgeileren Manager aus Illinois in Szene 19 des ersten Aktes so vielen herausragenden Schriftstellern der letzten beiden Jahrhunderte vorhersagen? Wohl kaum, denn es steckt genug in seinen Werken, was auch von Lesern und Zuschauern der nächsten Generationen noch mit Gewinn entdeckt werden kann.

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Urs Widmer: König der Bücher.
Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 2014.
104 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783886613649

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