Der unsichtbare Sinn des Romans

Robert Gwisdeks erster Roman „Der unsichtbare Apfel“ verwirrt seine Leser mit Kreisen und Dreiecken

Von Sandra FriehlinghausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Friehlinghaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage nach dem Sinn des Lebens treibt Igor, den Protagonisten in Robert Gwisdeks Roman „Der unsichtbare Apfel“, schon seit frühster Kindheit um. Auf 358 Seiten folgt der Leser – wenn er denn geduldig genug ist, den Roman zu Ende zu lesen – Igor durch seine abstruse Gedanken- und Gefühlswelt, die sich nie erschließt und deren Erkundung für den Leser damit keinerlei Mehrwert enthält. Spätestens nach der Hälfte der Lektüre stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Buches.

Erst als Igor Alma kennenlernt, hat er das Gefühl, sich zumindest ihr gegenüber verständlich machen zu können – auch wenn dieser Eindruck vielleicht nur einseitig ist. Der Hauptteil des Romans beginnt jedoch mit Almas Tod. „In den folgenden Jahren kam Igor der Welt abhanden.“ Er zieht sich in sich zurück und beschließt, 100 Tage in einem dunklen Raum zu verbringen. In der Abgeschiedenheit von der Welt und in Gesellschaft seiner selbst begibt sich der junge Mann nun empirisch auf die Suche nach dem Sinn des Lebens und angesichts des plötzlichen Verlustes seiner Freundin sicherlich auch nach einem Weg, seine Trauer zu bewältigen.

Wie schon die Vorgeschichte sind auch Igors Innenansichten – mit Ausnahme von ein paar eingeschobenen Tagebucheinträgen – im personalen Erzählstil geschrieben. So hebt sich Igors Gedankenkonstrukt stilistisch nicht stark von Vorgeschichte und Nachwort ab, was das Textverständnis nicht gerade fördert. Logik und klare Bilder sucht der Leser schon ab Kapitel 2 vergebens. Es stellen sich stattdessen immer mehr Fragen aufgrund abstruser Gleichungen, ständiger Präsenz von Kreisen und Dreiecken und nicht nachvollziehbarer Symbole und Allegorien. Wer nach den ersten Irritationen, wie einer plötzlichen Verhandlung, deren Initiatoren nicht klar werden, und der in den Sand geschriebenen Gleichung 1+1=1, die sich letztlich auf 2+1=1 steigert, noch auf eine Beantwortung der neu aufgeworfenen Frage nach dem Zweck dieser Bilder wartet, wird nicht nur enttäuscht, sondern für seine Ausdauer weiterzulesen mit weiteren völlig sinnfreien Textstellen bestraft. Dabei sind die 20 mit dem Buchstaben K in Groß- und Kleinschreibung bedruckten Seiten, die sich gegen Mitte des Romans aneinander reihen, schlechterdings das Highlight des Buches: 20 Seiten weniger zu lesen!

Passagenweise stellt sich hin und wieder doch das Gefühl ein, zumindest ein Stück weit verstanden zu haben oder zumindest kurz davor zu sein, vielleicht etwas verstehen zu können. Die Tatsache, dass Igor genau die Tür zu öffnen vermeidet, hinter der sich die Todesursache Almas verbirgt, ist das verständlichste Bild in der gesamten Gedankenwelt Igors. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Igors Trauerbewältigung ist genauso unverständlich wie der Rest des Gedankenkonstrukts: „Igor hatte versucht, Almas Körper in der Mitte des Balles aufzulösen, aber feststellen müssen, dass der Kreis sich weigerte, es zu tun.“

Die ständige Verwirrung des Lesers führt durch die Anhäufung von Unverständnis nicht einmal zu Emotionen wie Wut und Verzweiflung, sondern eher zu völliger Resignation.

Selbst wenn es vielleicht Gwisdeks Intention gewesen sein mag, den Leser zu verwirren, mit Igors Unverständnis der Welt mitfühlen und in die Gedankenwelt des Protagonisten eintauchen zu lassen, geht diese Rechnung nicht auf, denn in dem Moment, in dem Igor etwas versteht, müsste sich auch die Verwirrung des Lesers legen, das heißt, es müssten ein paar Fragen beantwortet werden – und genau das geschieht nicht. Der Leser ist genauso ahnungslos wie zuvor, auch wenn Igor aus seiner Gedankenwelt einen Gewinn schöpft. Zudem wäre für eine Identifikation oder gar ein Verschmelzen mit der Gedankenwelt Igors auch der überwiegend personale Erzählstil noch zu mittelbar.

Gwisdek ist Sänger und Schauspieler. „Der unsichtbare Apfel“ ist sein erster Roman. Ob er von Kiepenheuer & Witsch auch zur Veröffentlichung angenommen worden wäre, wenn Gwisdek weniger prominent wäre, scheint fraglich.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Robert Gwisdek: Der unsichtbare Apfel. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014.
364 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783462046410

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