Ein Buch für alle, die Happy Ends lieben

Elke Weigels „Robin und Jennifer“

Von Eva WodtkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Wodtke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der zweite Roman von Elke Weigel Robin und Jennifer erschien 2014 im konkursbuch Verlag in der Reihe Liebesleben. Der Reihentitel verspricht nicht zuviel, denn tatsächlich hat Weigels Buch alles, was eine typische Liebesgeschichte braucht: Zwei sympathische Hauptfiguren (Roberta, genannt Robin, und Jennifer), die mit Eifersucht, Verrat, Verlust, Schicksalsschlägen und sich selbst zu kämpfen haben – die eine rational und nüchtern in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, die andere mit impulsiv-künstlerischer Ader der Pariser Bohème zugehörig. Beide treffen sich 1911 vor der malerischen Kulisse der südlichen Schweiz und verlieben sich ineinander.

Vierzehn Jahre lang werden die Lebenswege der beiden Frauen, von der Zeit um die Jahrhundertwende bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs, von der Autorin nachgezeichnet. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die Suche nach der eigenen Identität und die Frage, wie man als Frau im beginnenden 20. Jahrhundert leben möchte.

Robin empfindet die Grenzen, die ihr die kleinstädtische Moral von Cannstatt setzt, seit ihrer Kindheit als Belastung. Tyrannisiert von ihrer Tante Erna, die nicht einsehen kann, dass es für Frauen noch einen anderen Weg als Ehe und Familie geben soll, hat sie in ihrem Bruder Bruno einen Verbündeten gefunden. Er drängt sie, ihre eigenen Ziele zu verfolgen, auch wenn sie dabei gegen Wiederstände ankämpfen muss. Schließlich ist es laut ihrer Tante „nicht normal für eine Frau“, das Gymnasium zu besuchen, um anschließend auch noch zu studieren. Nicht nur als „nicht normal“, sondern als krankhaft und abartig wird die Liebe von Robin zu ihrer Mitschülerin Paula angesehen.

Um einen Skandal zu vermeiden, heiratet Paula einen niederländischen Farmer und geht mit ihm nach Südafrika. Robin reist nach dem Tod ihres Vaters mit Bruno nach Ascona, um ihrer Tante zu entkommen, die sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in eine Psychiatrie einweisen lassen will.

Im Gegensatz zu Robin lebt Jennifer in der Pariser Künstlerszene ein relativ freies Leben, das von den unberechenbaren Wutausbrüchen ihres Stiefvaters gegen ihre Mutter erschwert wird. Trost findet sie in ihrer Liebe zum Tanz und zu Sophie, einer dandyhaften Pianistin, die Jennifers Zuneigung jedoch nur für ihre Zwecke benutzt. Als die Situation eskaliert, reist Jennifer mit ihrer Mutter zuerst nach Deutschland, bevor sie beschließen, in der Schweiz ein neues Leben zu beginnen. Dort treffen Robin und Jennifer auf dem Monte Verità das erste Mal aufeinander, eine Begegnung, die beide Frauen tiefgreifend verändern wird. Sie schließen sich einer Enklave der Lebensreformer an, die durch  Rückbesinnung auf eine ursprüngliche Lebensweise und den bewussten Verzicht auf Luxus ihre Lebensqualität verbessern wollen.

Der Roman ist in einer einfachen Sprache verfasst und die Handlungsstränge sind gut nachvollziehbar. Die Lektüre wird durch eine klare Gliederung unterstützt, die sich abwechselnd einer der beiden Hauptfiguren zuwendet. In der schlichten Sprache finden sich auch Einsprengsel altertümlich anmutender Formulierungen, die wohl auf den historischen Anspruch des Textes verweisen sollen – immerhin lautet der Untertitel: „Historischer Roman“; dieser scheint sich jedoch darauf zu beschränken, bestimmte Phänomene am Beginn des 19. Jahrhunderts, wie z.B. die fortschreitende Mechanisierung oder Massenarmut und die soziale Frage, kurz anzureißen. Menschen, die einer Figur auf der Straße begegnen, werden nicht gesehen oder wahrgenommen, sondern fast ausschließlich „erblickt“, was im ersten Moment irritieren und den Lesefluss unterbrechen kann. Desweiteren ist eine Vorliebe der Autorin für die Konjunktion „und“ auffällig, obwohl mit einer anderen Satzanbindung gelegentlich mehr Ordnung in den Text hätte gebracht werden können.

Die Nebenfiguren gruppieren sich um die beiden Protagonistinnen, wodurch zwei voneinander abgetrennte und völlig konträre Lebenswelten abgebildet werden, die erst im letzten Drittel des Buches auf neutralem Boden miteinander verschmelzen. Jeder Figur kommt eine eindeutige Funktion im Gesamtgefüge des Romans zu, was sich auf die Art ihrer Darstellung unmittelbar auswirkt. Robins Tante Erna erscheint von der ersten Seite an als autoritäre Matriarchin, gegen die sich Robins weicher, willensschwacher Vater kaum durchsetzen kann. Ihre Brüder verkörpern den Antagonismus von Fortschrittsgläubigkeit und einem auf Natürlichkeit beruhenden Idealismus. Jennifers Mutter Valentine ist ein empfindsamer Charakter; sie teilt die Liebe ihrer Tochter zu den schönen Künsten, droht jedoch an der Brutalität ihres Ehemanns zu zerbrechen. Dieser wiederum erscheint durchgehend als launischer Grobian, der Frauen wie Prestigeobjekte betrachtet und für seine Zwecke ausnutzt. Jennifers Geliebte, die Pianistin Sophie, wird als eine von Weltschmerz geplagte kühle Schönheit porträtiert, die nur auf ihr eigenes Vergnügen aus ist. Alle Figuren wirken stereotyp, was aber dem Leser dabei helfen kann, ihre Beweggründe zu erkennen und einzuordnen. Sie erklären sich praktisch selbst, ohne dass man unter der Oberfläche lange nach den Motiven für ihre Handlungen und Entscheidungen suchen müsste.

So unterschiedlich wie ihre soziale Umgebung sind auch die Charaktere Robin und Jennifer, die von der Autorin gegensätzlich aufgebaut sind, wodurch sie sich in den Augen der Leser ausgleichen und ergänzen. Robin erscheint als der rationale analytische Part in der Geschichte. Sie hinterfragt bewusst gesellschaftliche Konventionen und trifft eigene Entscheidungen, die sich nachhaltig auf ihr Leben auswirken. Jennifer ist ein Freigeist; sie lebt ganz für ihren Tanz und genießt die Annehmlichkeiten eines privilegierten Lebens. Ihre Ziellosigkeit, wie auch die Gewohnheit sich treiben zu lassen, sind Charakterzüge, die Robin an ihr kritisiert. Durch ein eigenes Einkommen als Kolumnistin im Kampf für die Frauenrechte ist diese weitgehend unabhängig geworden. Dennoch ist Robin fasziniert von Jennifers Tanz – und von der Tänzerin, der es gelingt allmählich zu ihr durchzudringen, um ihre Selbstzweifel schließlich zu zerstreuen.

Die Geschichte ist eine Mischung altbekannter Motive, die logisch aufeinander aufgebaut sind; stellenweise kommt es jedoch zu drastischen – und wenig überzeugenden – Häufungen von Schicksalsschlägen: Beispielsweise verunglückt Robins Vater während eines heftigen Unwetters tödlich. Ihre Cousine erleidet in derselben Nacht durch einen Unfall eine Fehlgeburt, die Mutter und Kind nicht überleben, wofür Robin von ihrer Tante verantwortlich gemacht wird. Auch die Dialoge zwischen den Figuren wirken teilweise sehr hölzern, sodass der Eindruck entsteht, als seien Allgemeinplätze zu möglichst schicksalsschwangeren Aussagen zusammengefügt worden. Gleichwohl lässt sich ein roter Faden erkennen, der kontinuierlich auf die Vereinigung der Hauptfiguren hinzuführen scheint, wodurch die Geschichte in ihrem letzten Drittel erheblich an Geschwindigkeit gewinnt.

Der Text weist indes einige sprachliche Eigenwilligkeiten auf. Beispielsweise wirken einige ausufernde Beschreibungen überladen („Ein Mann mit Hosenträgern über einem grauen Hemd ohne Kragen, mit einer Zigarette im Mundwinkel, klimperte eine Melodie, die kaum zu hören war, weil das Publikum laut schwatzte.“), während ein sperriger Satzbau den Lesefluss hemmt: „Handwerker lenkten ihre Fuhrwerke, deren Ladeflächen schwer beladen mit Körben und Fässern waren, durch den Verkehr.“ Trotz dieser Schwächen ist Robin und Jennifer ein gefälliger Roman, der einen leichten Literaturgenuss verspricht, zumal man nach der Lektüre des Klappentextes den Handlungsverlauf voraussehen und sicher sein kann, dass alles zu einem guten Ende kommen wird.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Elke Weigel: Robin & Jennifer. Historischer Roman.
Konkursbuchverlag, Tübingen 2014.
347 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783887697389

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