Essays als Erkenntnisinstrument

Über Michael Maars literarische Versuche „Tamburinis Buckel. Meister von heute“

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im besten Fall ist der Essay ein Werkzeug, das nach der Lektüre die Dinge klarer und schärfer sehen lässt. Michael Maars nun in Auswahl vorliegende Reden, Rezensionen und Aufsätze sind solche immens wirksamen Werkzeuge. Wusste man vorher schon, dass Michael Maar ein gründlicher Leser und ein stilistisch präziser Analyst ist und etwa den Harry-Potter-Kosmos genauso erklären kann wie das Werk Vladimir Nabokovs oder geheime Begebenheiten im Leben Thomas Manns („Das Blaubartzimmer“), so sieht man in dem nun bei C.H. Beck erschienenen Band erneut die Bandbreite von Maars Lektüre der Gegenwartsliteratur. So seziert er in seinen Aufsätzen und Reden die Bücher von Julian Barnes, Richard Yates und John Banvilles, spricht anlässlich der Verleihung des Heine-Preises über Robert Gernhardt oder rezensiert Harald Hartungs „Gesammelte Gedichte“. Auch von Michael Köhlmeiers Roman „Idylle mit ertrinkendem Hund“, Burkhard Müllers Geschichtsessays, Gustav Seibts Goethe-und-Napoleon-Buch und Walter Kappachers Hofmannsthal-Roman „Der Fliegenpalast“ und besonders von Max Goldts Bilder-Band „Gattin aus Holzabfällen“ zeigt sich Maar begeistert.Einer von vielen Höhepunkten in diesem Essayband ist Michael Maars gründliche Untersuchung von Wolfgang Herrndorfs „schwarze[m] Monolith“, dem Roman „Sand“, erstveröffentlicht 2012 im Merkur. Der Essay analysiert mustergültig einen Klassiker der Gegenwartsliteratur – und preist ihn zugleich. Und an dem Aufsatz „Proust, Wagner und Thomas Mann“, in dem verschiedene Konstellationen der Werkbespiegelung experimentell erprobt werden, kommt eine altmodische Eigenschaft deutlich zum Vorschein, die dem Verfasser zu eigen ist: Michael Maar ist belesen, und als Leser profitiert man sehr von seinen Kenntnissen.Der Titel des Bandes „Tamburinis Buckel“ entstammt Maars Dankrede zum Heinrich-Mann-Preis, in der er sein Verhältnis zur Lektüre der Texte der Gebrüder Mann aufschlüsselt. Maar greift auf einen jugendlichen Tagebucheintrag von sich zurück, in dem er sich mit einem „H.“ auseinandersetzt, und verrät: „Diesem H. galt die erste schüchterne Veröffentlichung des heute von Ihnen Geehrten.“ Konzise und verblüffend beschreibt Maar das Verhältnis von Heinrich und Thomas Mann und deren stilistische Unterschiede: „Wie man seit langem weiß, führen die Brüder in ihren Romanen ein nie unterbrochenes wisperndes Zwiegespräch. Alles, was sie sich nicht persönlich sagen konnten, vertrauten sie ihren Fiktionen an.“ Über die Verkrüppelung des Rückens – den titelgebenden Buckel – zeigt Maar, wie Tamburini aus Heinrich Manns Roman „Empfang bei der Welt“ eine direkte Antwort in der ganz anders funktionalisierten Behinderung der Hauptfigur in Thomas Manns Erzählung „Der kleine Herr Friedemann“ bekommt.

Noch drei weitere von Michael Maars hier versammelten Aufsätzen seien an dieser Stelle besonders zur Lektüre empfohlen: „Die Mutprobe. Martin Mosebach, revisited“ liefert zunächst eine der persönlichsten und eingehendsten Deutungen, die bisher zum Werk des Büchner-Preisträgers Martin Mosebach vorliegen. Michael Maars sich über das gesamte Werk dieses Autors erstreckende Hinweise auf Mosebachs behutsames Erzählen, seine stilistischen Finessen und Herausforderungen des Stoffes sind so treffend, dass man sich auch als Kritiker der Mosebachschen Literatur nicht mehr verschließen kann, und eine eingehendere Vertiefung auch bei dessen noch eher unbekannten Romanen wie zum Beispiel „Westend“ wünschenswert ist.

Ebenso eindringlich liest sich Maars ursprünglich als Zeitungsrezension erschienener Text zu Sibylle Lewitscharoffs Roman „Apostoloff“. Diese Arbeit ist auch jener eben erst Anlauf nehmenden Forschung ans Herz zu legen, die sich mit Lewitscharoffs Werk beschäftigt. In den Nachweisen im Anhang ließ der Autor den Kommentar hinzufügen: „Die Probe, auf die der bewährte Grundsatz gestellt wurde, zwischen dem literarischen Werk und den außerästhetischen Verlautbarungen seines Verfassers ein Fallgitter herunterrasseln und jenes von diesen nicht kontaminieren zu lassen – diese Probe war nach Lewitscharoffs Dresdner Rede vom 2. März 2014 eine nicht ganz leichte.“ Dennoch beweist Maar, wie erkenntnisreich eine unbefangene Lektüre sein kann, und vielleicht sind es gerade die sogenannten umstrittenen Autoren (denn so pflegt man schließlich heutzutage Schriftsteller zu klassifizieren, um die oftmals weniger gestritten wird, als dass ihnen offene Ablehnung entgegenschlägt), an denen sich insoweit wirkliche literaturwissenschaftliche Interpretationsleistung und intellektuelle Integrität beweisen lassen.

Umstritten in einem ganz anderen Sinne ist auch das Werk des zum Bestsellerautor avancierten Daniel Kehlmann. Mit einer gewissen Düpiertheit nahm das Feuilleton häufig Kehlmanns Klugheit und Talent wahr. „Nicht erst seit gestern zieht Daniel Kehlmann das Ressentiment an wie ein Honigtopf die Bienen“, schreibt Michael Maar in seinem Aufsatz „Das Streichholz im Weinglas“, der über Daniel Kehlmanns Essayband „Lob“ und dessen Göttinger Poetik-Vorlesung reflektiert und dabei völlig neidlos und mit Hochachtung feststellt: „daß es wenig rezente Essaybände gibt, die so viel Gelehrtheit mit einem so weiten, panoramatischen Blick verbinden, müßte man Kehlmann auch dann zubilligen, wenn man ihn in seiner Hauptexistenz als Romancier ablehnte oder gar nicht von ihr wüßte. Es dürfte wenig junge deutsche Autoren geben, die Leibniz, Kant und Schelling ebenso am Schnürchen haben wie die moderne Horrorliteratur und sich in Weimar so gut auskennen wie bei den Sopranos.“ Auch dies eines von Maars verblüffenden Dikta, die uns zur Überprüfung bislang allzu nonchalant aufgestellter Urteile zwingen.

Ein Satz aus Michael Maars Rezension zu Brigitte Kronauers bisher noch nicht erwähntem Essaywerk könnte gewissermaßen auch über allen von Maars Versuchen über Literatur stehen, von denen wir nun mit einer Auswahl beschenkt sind: „Vielfältig belehrt wird man es zuschlagen, in einem Vorurteil bestätigt, in einem andern widerlegt.“ Dies gilt schließlich auch für Michael Maar selbst, der so amüsant, unterhaltsam und gelehrt wie wenige an der Schnittstelle von Feuilleton, Wissenschaft und Literatur agiert.

Titelbild

Michael Maar: Tamburinis Buckel. Meister von heute.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
188 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406666933

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