Ein von Christian Boller, Felix Linzner, Marta Leonora Frank und Karl Braun herausgegebener Sammelband beleuchtet das letzte Friedensjahr vor dem Ersten Weltkrieg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem für Europa letzten Friedensjahr 1913 beschäftigt sich eine am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg unter Leitung von Karl Braun angeregte Sammlung von 37 Aufsätzen/Seminararbeiten. Diese zeigen an ausgewählten Beispielen, wie und wo der Nationalismus des 19. Jahrhunderts mit diversen Strömungen der Moderne zusammentraf und dabei ein explosives Gemisch entstand. Zentraler Bezugspunkt für die Deutschland betreffenden Artikel ist die 1913 stattfindende Jahrhundertfeier der Völkerschlacht von Leipzig, welche ja wiederum als Urerlebnis des deutschen Nationalismus gelten kann. So werden etwa der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meissner, der Eilbotenlauf zur Jahrhundertfeier, die erste Zeitschrift für die Jugend „Der Anfang“ , die Fortschritts- und Maschinenbegeisterung oder die Frauenbewegung thematisiert. Alle Aufsätze zeigen auch, wie janusköpfig diese Bewegungen waren bzw. wie kurzlebig, weil der Weltkrieg sie entweder beendete oder für sich in Dienst nahm. Das Breslauer „Festspiel in deutschen Reimen“, von Gerhart Hauptmann und Max Reinhard, beendete eine kaiserliche Intervention, weil es den Hohenzollern zu wenig patriotisch klang. Das liberale Judentum, das eine zeitgemäße Interpretation der Thora und eine stärkere Assimilierung anstrebte, sah sich der Kritik von Orthodoxie und Zionismus ausgesetzt. Über die deutschen Themen hinaus werden auch weltpolitische Ereignisse des Jahres 1913 behandelt, etwa das Wirken Gandhis in Südafrika, die Balkan-Kriege oder die Dreihundertjahrfeier des Hauses Romanow.

Heribert Hoven

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Titelbild

Karl Braun / Christian Boller / Marta Leonora Frank / Felix Linzner (Hg.): Friedenszeiten. Zum Eigensinn der Monate Januar 1913 bis Juli 1914.
Jonas Verlag, Marburg 2014.
256 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783894454920

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