Bangen zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Eine Auswahl aus den Tagebüchern und Briefen von Michail Bulgakow geben Einblick in die trostlose Existenz eines verbotenen Autors

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michail Bulgakow (1891-1940) zählt zu den faszinierendsten russischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Die besten seiner Texte haben bis heute kaum an Witz und Boshaftigkeit eingebüßt. Die Teufeliaden machen ihrem Namen alle Ehre, und Meister und Margarita liest sich noch immer als grandioses literarisches Spektakel. Hinter diesem Werk steckt indes eine ungeheure biographische Tragik.

Zwar wird gesagt, Genosse Stalin persönlich habe am Roman Die weiße Garde seinen Gefallen gefunden, doch zugleich musste das Buch als ideologisch höchst unzuverlässig gelten. Und als unzuverlässig galt zeitlebens auch sein in Kiew geborener Autor Bulgakow, der die Revolution unter den „Weißen“ miterlebt hatte. Sein Selbstverständnis als „Satiriker“ kollidierte zwangsläufig mit einem Regime, das Kritik als Verrat einstufte. Deshalb blieben die meisten seiner Werke unveröffentlicht – sie brauchten oft nicht einmal verboten zu werden. Immerhin erhielt Bulgakow hin und wieder Aufträge fürs Theater zugewiesen, die er unter dem Druck, überleben zu müssen, erfüllte.

1921 kam der Autor er nach Moskau. Seine Ausbildung zum Arzt ließ er hinter sich, um Schriftsteller zu werden. Eine Entscheidung mit Folgen, denn der literarische Weg sollte sich als steinig erweisen, nicht zuletzt, weil Bulgakow  zu literarischen Konzessionen nicht bereit war. Er haderte mit Verlagen und mit der Zensur. Immer wieder gestand er sich ein, dass er literarisch nicht in dieses Land passe, das seine Texte ständig zurückweise.

Bulgakow wehrte sich mit Bittschriften und Eingaben gegen dieses „Todesurteil“. Mehrmals bat er um eine Auslandsreise, und im Sommer 1929 forderte er in einem Brief an Stalin persönlich sogar kategorisch seine Ausweisung aus der Sowjetunion. Alles vergeblich: „Ich bin zum Schweigen verdammt und höchstwahrscheinlich zum Hungern.“ Doch ausgerechnet Stalin ließ ihn noch einmal hoffen, als er Bulgakow am Karfreitag 1930 anrief, wie er ein Jahr später den Generalsekretär brieflich erinnerte. „Sie sagten: ‚Vielleicht sollten Sie wirklich ins Ausland reisen …‘“ Dadurch „bewegt“ habe er ein Jahr lang „gewissenhaft in Theatern der UdSSR gearbeitet“. Doch man ließ ihn lediglich schmoren, selten wurde eine Publikation oder eine Aufführung bewilligt. Einzig das Stück Die Tage der Turbins feierte zeitweise erstaunliche Erfolge – auch dies geschah von Stalins Gnaden.

Welchen Repressionen sich Bulgakow selbst dabei ausgesetzt sah, demonstriert eine Kritik, aus der er in einem Brief von 1931 zitierte: „Ich frage dich, was hast du bloß für eine MIESE FRESSE, Kumpel … Ich bin ein taktvoller Mensch, ich möchte ihm EINE SCHÜSSEL ÜBER DEN SCHÄDEL KNALLEN …. Ohne die Turbins sind wir für den Spießer, was ein BÜSTENHALTER FÜR DEN HUND ist – überflüssig … Da ist ein HUNDESOHN aufgetaucht, EIN TURBIN; KEIN GELD, KEINEN ERFOLG SOLL ER HABEN.“

Unter 300 Kritiken, bilanzierte er einmal, seien drei positive zu finden. Alle anderen würden ihn beschimpfen und verdammen. Bulgakow litt darunter, nervlich wie körperlich. Er wurde von Schlaflosigkeit und von „Angst vor der Einsamkeit“ heimgesucht. Er schwankte zwischen Hoffnung auf eine vielleicht doch mögliche Publikation und Verzweiflung über die bürokratischen Ränkespiele. So ging das Leben hin, zeitweise frei von ökonomischen Sorgen wegen der ermüdenden Auftragsarbeiten, doch stets mit dem Damoklesschwert der Ablehnung über sich.

Von seinen Werken – den verteufelten Teufeliaden und allem voran dem grandiosen Meister und Margarita – ist in seinen Lebenszeugnissen deshalb immer weniger die Rede, ausgenommen in einer Reihe von Briefen, die Bulgakow im Sommer 1938 an seine Frau schrieb, die in den Ferien weilte. Ihr berichtete er von der Arbeit an Meister und Margarita. „Ich bin unter diesem Roman begraben“, notierte er am 13. Juni – in einem Brief allerdings, der in der vorliegenden Ausgabe aus kaum einsehbaren Gründen unerwähnt bleibt.

Letzteres ist symptomatisch für diese neu erschienene Zusammenstellung aus Tagebüchern und Briefen, die erstmals 2013 auf Englisch publiziert wurde. Editorisch vermag sie nicht zu überzeugen – ebenso wenig wie die 1991 veröffentlichte Auswahl Manuskripte brennen nicht. In beiden Ausgaben werden Bulgakows Tagebucheinträge und Briefe in einer Weise kompiliert und zerstückelt, dass kaum ein Konzept erkennbar wird. Deshalb unterbleibt in dieser neuen Ausgabe auch ein klärender Hinweis darauf, dass sich das 1926 beschlagnahmte Tagebuch nur unvollständig als Kopie in den Geheimdienst-Archiven überliefert hat. Bulgakow selbst erhielt es im Oktober 1929 zurück und verbrannte es umgehend aus Angst, dass er darin allzu viel von sich preisgebe. Zumindest einige der zahlreichen Auslassungszeichen hätten sich auf diese Weise erklären lassen.

Dergestalt aber dominiert am Ende der Eindruck des Lückenhaften und Beliebigen. In dieser Hinsicht macht auch das sehr sonderbar aufgebaute Nachwort keine Ausnahme. Was von all dem jedoch unbeschadet bleibt, sind Bulgakows Dokumente selbst, die auf berührende Weise zwischen häuslichen Sorgen und existentieller Verzweiflung schwanken und so das Bild einer tief gedemütigten Existenz vermitteln.

Titelbild

Michail Bulgakow: Ich bin zum Schweigen verdammt. Tagebücher und Briefe.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
351 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783630874661

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch