Gegen die Norm
In „Tod in Turin“ irrt der Autor von „Gegen die Welt“ etwas ratlos durch die italienische Stadt
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Jan Brandt mit seinem Debütroman „Gegen die Welt“ eine solch hohe Aufmerksamkeit bekommen sollte, beruhte vor allem auf der Tatsache, dass dieses Werk von nahezu epischen Dimensionen sich einfach nicht vernünftig einordnen ließ. Brandts trockener, lakonischer Stil, der den Leser durch die ersten ca. 100 Seiten des Romans führt, ließ ihn zunächst als einen Wiedergänger Sven Regeners erscheinen, einen Post-Pop-Autor, der die Befindlichkeit der bundesdeutschen Gesellschaft der 80er und 90er Jahre einzufangen versucht. In einer Mischung aus skurrilem Humor und einem mit Melancholie getränkten Hang zum Albernen gedachte er die Bedeutung der Pop-Phänomene für den Heranwachsenden (und dessen existenzielle Krisen) abzubilden. Auch konnte der Leser via Brandts Website Fan-Shirts der fiktiven Death Metal Band kaufen, die im Roman eine größere Rolle spielt. Es ist zu vermuten, dass viele Leser den Roman nach diesen 100 Seiten beiseitegelegt haben, mit dem berechtigten Einwand, dass Brandt Regeners Ton einfach nicht trifft, dass die Gags ins Leere laufen, dass der Plot in dem Moment in Lächerliche gekehrt wird, als die Möglichkeit einer Entführung durch Außerirdische ins Spiel kommt. Ein schwerer Fehler, denn an der Stelle, an der die Pop-Fiktion ins scheinbar Surreale kippt, steht auch der Wendepunkt für den Helden. „Gegen die Welt“ wurde zu einer ernsthaften, bitteren Auseinandersetzung mit dem Heranwachsen in einer zutiefst provinziellen Gegend der BRD; jegliches Lachen blieb einem im Halse stecken. Komik und Pop waren nicht mehr Selbstzweck, sondern einfach ein Teil des Lebens. Ein wunderbares Buch, wohl eines der besten, das in diesem Jahrtausend in Deutschland geschrieben wurde.
In seinem neuen Werk „Tod in Turin“, das eine Reise des Autors zur Turiner Buchmesse schildert, gibt Jan Brandt nun auch sein Vorbild preis, für den vorliegenden Bericht, aber auch für „Gegen die Welt“: David Foster Wallace. „Tod in Turin“ ist, trotz der Thomas Mann-Anspielung im Titel, ein deutsches Pendant zu Foster Wallaces großartigem Kreuzfahrt-Essay „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“: Eine gleichzeitig unfassbar witzige, dann aber wieder tief melancholische, fast verzweifelte Reflexion über das Dasein als Intellektueller in einer nur wenig intellektuellen Welt.
Bereits nach wenigen Seiten ist man in die Brandt-Falle getappt, die einem eigentlich aus „Gegen die Welt“ vertraut sein sollte: Dieser witzige, selbstironische Tonfall, der Schriftsteller-Trottel, der den Elfenbeinturm verlässt und durch eine Welt taumelt, die ihn einfach nicht verstehen mag. Das ist zunächst ärgerlich, denn das Gefühl, Brandt habe sich ausführlich bei Thomas Glavinic’ Roman „Das bin doch ich“ bedient, trügt nicht. Die Schilderungen eines London-Aufenthalts, wo er den Schriftsteller David Wagner kennen und schätzen lernt, und vor allem seiner WG-Zeit mit dem Karikaturisten Tom Smith (der auch die Zeichnungen im vorliegenden Buch angefertigt hat) sind urkomisch. Das Treffen mit einem ehemaligen Schulfreund, der mittlerweile als Börsenmakler tätig ist (und dessen Name, so Brandts Lektor in einem nur halb ernst gemeinten Vorwort, geschwärzt werden musste), ist ebenso gelungen, weil die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem besonnenen Intellektuellen (der sich in dieser Rolle nur allzu gut gefällt) und dem geistig eher einfach gestrickten Broker in den Dialogen allzu offensichtlich werden: ‚Frau?‘ ‚Ja‘ ‚Kinder?‘ ‚Ja‘ ‚Side-Bitch?‘ ‚Natürlich, ich bin Schriftsteller‘, so der genervte Feingeist am Ende einer Fragenkaskade, um den Idioten zum Schweigen zu bringen. Der Running Gag, sein Erfolgsbuch nie beim Namen zu nennen, sondern immer in den Kontext des gerade Erlebten zu stellen (Gegen dies, Gegen das, Gegen jenes), ist im ersten Moment irritierend, dann eine Weile lang komisch, bis man doch anfängt sich zu fragen, wo denn jetzt genau die Bedeutung des Witzes liegen soll. Und man beginnt nach dem zehnten Bemühen des Gags auch etwas an dem Buch zu zweifeln.
Denn mit der Ankunft in Turin, wo Brandt bei der dortigen Buchmesse Werbung für sein Buch machen soll, kippt, wie bereits in „Gegen die Welt“, die Stimmung. Der Ton wird – abgesehen von gelegentlichen ironischen oder satirischen Einsprengseln, die oft leidlich bekannte Klischees aus der Buchmarktszene karikieren sollen – ernster. Brandts Spaziergänge durch die italienische Stadt, seine Versuche, dem Leser im Stile eines klassischen literarischen Italienreisenden Kunst, Kultur, Geschichte und Menschen näher zu bringen, sind teilweise langatmig und wenig inspiriert. Völlig absurd auch die seitenlange, nicht enden wollende Liste mit gesammelten Zitaten von deutschen Dichtern, von Goethe bis Brinkmann, die Italien besucht haben. Am Anfang glaubt man noch an ein ironisches Manöver, doch dann vergeht einem der Spaß nach spätestens zehn Seiten doch etwas. Nur wenn der Autor mal wieder in absurde Gespräche mit Lektoren, Agenten, italienischen Schriftstellern oder Taxifahrern gerät, kommt das Buch wieder in Fahrt; zumindest so lange, bis Brandt die nächste historische Sehenswürdigkeit besucht.
Nun muss man, wie anfangs erwähnt, die scheinbare Unentschlossenheit, die ja auch „Gegen die Welt“ auszeichnete, wohl als typisches Stilmittel des Autors sehen und kann sie somit auch gerne mal durchwinken. Aber was für einen Roman funktioniert, muss nicht auch einem Reisebericht gut tun. Und so lässt jene Unentschlossenheit den Leser dann doch ziemlich ratlos zurück.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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