Ein bewegtes Leben und ein vielfältiges Œuvre

Zwei Neuerscheinungen befassen sich mit Leben und Werk Ruth Landshoff-Yorks, eine weitere versammelt ihre Feuilletons aus der Weimarer Republik

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ruth Landshoff-Yorck war in der Vorkriegszeit nicht nur eine ebenso bekannte wie beliebte Autorin, sondern zu Beginn der Weimarer Republik geradezu eine Kultfigur. Eine Ikone, in der sich die Neue Frau zur Vollkommenheit verkörpert zu haben schien. Als Filmschauspielerin war sie bereits 1922 auf der Leinwand zu sehen. Und zwar als Annie Harding in Friedrich Wilhelm Murnaus bekanntem Vampir-Film Nosferatu. Da war sie gerade einmal achtzehn Jahre alt. Als Aktrice konnte sie allerdings auf Dauer nicht reüssieren. Dafür avancierte sie jedoch in den späten 1920er-Jahren zur erfolgreichen Feuilletonistin. 1929 stellte sie ihre Gedichte darüber hinaus zu dem Lyrikband „das wehrhafte mädchen“ zusammen. Ein Privatdruck, dessen 100 Exemplare sie in ihrem Freundeskreis verteilte. Im darauffolgenden Jahr folgte ihr erster Roman „Die Vielen und der Eine“. Er fand einige Beachtung und wurde etwa von Franz Hessel, Annette Kolb und Mechtilde Lichnowsky besprochen.

Ebenso wie viele andere musste Landshoff, zumal als Jüdin, wenige Jahre später vor der Terrorherrschaft der Nazis ins Ausland flüchten. Hielt sie sich in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur überwiegend in der Schweiz, Frankreich und Italien, aber auch noch mehrmals in Deutschland auf, fand sie 1937 in den USA eine neue Heimat. Dort zählte sie zu den wenigen ins Exil vertriebenen deutschen AutorInnen, die nicht rasch in Vergessenheit gerieten. Vielmehr machte sie sich einen Namen als virulente Antifaschistin. So fungierte sie als Sprecherin in dem neu gegründeten, auch in Deutschland zu empfangenden Radiosender Voice of America und veröffentlichte antifaschistische Romane wie etwa Sixty To Go. Nach dem Krieg reiste sie zwar mehrmals nach Europa, doch blieb Amerika ihr Zuhause. Zwar veröffentlichte sie in den 1950er- und 1960er-Jahren weiterhin zahlreiche meist kleinere Texte, allerdings galt ihr eigentliches Interesse und Engagement nun dem Off-Off-Broadway-Theater, in dessen berühmtem Experimental Theatre Club La MaMa sie als hochangesehene Mentorin ein- und ausging und in dem sie 1966 starb. Schon bald nach ihrem überraschenden Tod interessierte sich niemand mehr für die Autorin und ihr Schaffen.

Erst in den letzten beiden Jahrzehnten wurden sie und ihr literarisches Werk wiederentdeckt. Zu danken ist das nicht zuletzt dem kleinen Berliner AvivA Verlag, der seit 2001 einige ihrer Romane neu aufgelegt hat. Und nun, ein Jahr vor ihrem 50. Todestag, sind gleich drei Bücher von ihr und über sie erschienen. Eines davon wiederum im AvivA Verlag. Es handelt sich um eine Sammlung ihrer Feuilletons aus Zeit der Weimarer Republik und trägt den Titel „Das Mädchen mit wenig PS“. Es ist zugleich die einzige der drei Neuerscheinungen, die auf den Gedenktag im Januar kommenden Jahres Bezug nimmt. Bei den anderen beiden handelt es sich um Thomas Blubachers Biographie „Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck“ und Diana Mantels unter dem Titel „Ruth Landshoff-Yorck – schreibende Persephone zwischen Berliner Boheme und New Yorker Underground“ erschienenen literaturwissenschaftlichen „Analysen zum Gesamtwerk“.

Landshoffs literarisches Werk ist ebenso umfangreich wie vielfältig. Es umfasst Feuilletons und Rezensionen, Romane und Erzählungen, Theaterstücke und Hörspiele sowie die bereits erwähnten Gedichte. Vor allem aber schlummert der vermutlich größte Teil noch immer unveröffentlicht im handschriftlichen Nachlass. Der wurde von Mantel für ihre literaturwissenschaftliche Untersuchung ebenso gesichtet wie von dem Biographen Blubacher. Beide nennen sie das Howard Gotlieb Archiv im Research Center der Boston University als wichtige Quelle, Mantel darüber hinaus das LaMama Archiv des LaMaMa Theatres in New York und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Blubacher lässt hingegen merkwürdig vage, welche Archive er neben dem Howard Gotlieb Archiv aufgesucht und ausgewertet hat, und schreibt nur ganz allgemein von „Briefkonvoluten in europäischen und amerikanischen Archiven“ sowie dem „bislang unbekannten, in Privatbesitz in New York befindlichen restliche Nachlass“, der von ihm „erstmals“ ausgewertet worden sei. Einen Hinweis darauf, was dieser ominöse Nachlass enthält und in wessen Besitz er sich befindet, sucht man vergeblich. Dafür aber insinuiert Blubacher mit dem Ausdruck restlich, dass im nichts, aber auch gar nichts entgangen sei und kein Archiv oder keine private Sammlung irgendwo auf der Welt noch ein ihm unbekanntes Schriftstück Landshoffs enthalten könne.

Weit sorgfältiger und akkurater informiert Mantel über die handschriftliche Quellenlage. So erfährt man von ihr etwa, dass im Howard Gotlieb Archiv neunundvierzig „Boxen“ mit „schriftstellerischen Hinterlassenschaften“ Landshoffs lagern, von denen fünf „längere Texte“ enthalten, so etwa „ihre unvollendete Autobiographie und veröffentlichte wie unveröffentlichte Romane und Novellen“. „Die anderen Kisten sind voll mit Gedichten, Artikeln und Kurzgeschichten.“ Über den Zustand der Manuskripte weiß Mantel Alarmierendes zu berichten. Denn der im Howard Gotlieb Archiv gelagerte Nachlass beginnt langsam, sich „in seine stoffliche Einzelteile aufzulösen – das Papier zerfällt wortwörtlich zu Staub“. Etliche der Texte „zerfallen bei der kleinsten Berührung“. Das ist umso tragischer, als „große Teile“ der Texte Landshoffs „rein archivarisch zugängig sind, manche Romane nie publiziert wurden, manche erst Jahrzehnte später“. Der Rezensent selbst etwa erlag vor einigen Jahren dem Irrtum, mit der Veröffentlichung der „Schatzsucher von Venedig“ sei Landshoff-Yorcks vollständig publiziert. Weit gefehlt!

Da bei jedem Aufenthalt im Howard Gotlieb Archiv nur 50 Blätter kopiert werden dürfen, hat Mantel die meisten von ihr herangezogenen Aufzeichnungen aus dem dort lagernden Nachlass „selbst exzerpiert“. Um möglichst viele der Texte nutzen zu können, hat sie sich auf die Exzerption „kürzerer Texte“ konzentriert. Alleine um dieser Arbeit willen schon ist die vorliegende Untersuchung für die Forschung zu Landshoffs Werk von unschätzbarem Wert.

Blubacher hingegen lässt nicht nur hinsichtlich der von ihm ausgesuchten Nachlassmaterialien manches im Ungefähren sondern bietet den Lesenden nicht einmal eine vollständige Bibliographie der von ihm herangezogenen Publikationen. Vielmehr belässt er es bei einer – allerdings recht umfänglichen – „Literaturauswahl“. So etwas deutet natürlich immer an, dass man selbstverständlich noch sehr viel mehr einschlägige Literatur gelesen und berücksichtigt habe, und ist allein schon deshalb nie ein guter Stil. Geradezu exzessiv fällt seine Danksagung aus. Jedenfalls in quantitativer Hinsicht. Sie enthält, in jeweils alphabetischer Reihenfolge, die Namen einiger hundert Personen und noch einmal ebenso vieler Institutionen, deren ebenfalls namentlich genannten „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ er „für ihre Auskünfte und Unterstützung“ dankt. Näheres erfährt man jedoch auch hier nicht.

Auch zeichnet sich seine Biographie nicht immer durch exakte Quellenangaben aus. Beispielsweise kritisiert er die in Landshoffs Manuskript für ihre unvollendete Autobiographie notierten Angaben über die Todesumstände einer ihrer Verwandten und korrigiert sie in einer Endnote mit exakter Orts- und Datumsnennung des fraglichen Todesfalles, ohne allerdings eine Quelle seiner Kenntnisse zu nennen. An anderer Stelle bezeichnet er Landshoffs Schilderung ihrer ersten Begegnung mit dem Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau als „zweifellos gut erfunden“. Nicht immer zeigt er sich so quellenkritisch. Auch nicht hinsichtlich des Memoiren-Manuskriptes. So zitiert er, ohne die geringsten Zweifel laut werden zu lassen, die dort offenbar literarisch stilisierte erste Begegnung mit Karl Vollmoeller, wobei er das pikanteste Detail, dass der ihr bis vor wenigen Stunden unbekannte Mann Landshoff in seinem Schlafzimmer das „enganliegende Kleid“ mit einer Schere vom Leib „schneidet“ und sie darunter „splitterfasernackt“ gewesen sei, lieber paraphrasiert. So ist zumindest anzunehmen. Jedenfalls zitiert er Landshoff diesbezüglich nicht. Falls doch, so hat er es nicht kenntlich gemacht.

Für seine  Behauptung, eine Abtreibung habe für Landshoff „weitreichende Folgen“ gehabt, da sie daraufhin „nie mehr ein Kind bekommen können“ werde, nennt er als Quelle ein von ihm am 16.1.2014 geführtes Gespräch mit Hans David Ludwig Christian Graf Yorck von Wartenburg, der davon allerdings allenfalls vom Hörensagen erfahren haben könnte. Dies ist eine etwas dürftige Basis für eine apodiktische Tatsachenbehauptung, wie Blubacher sie aufstellt. Im gleichen Gespräch spricht der Informant von einem „Autounfall mit Todesfolgen, den Ruth Anfang der 1930er Jahre verursacht“ habe. Hier merkt Blubacher immerhin an, dass er diese Behauptung nicht „verifizieren“ konnte. Hat er es versucht? Auf welche Weise? Ließen die Versuche den Bericht unglaubhaft erscheinen? Warum erwähnt er ihn überhaupt? Doch wie dem auch sei, die Behauptung von Landshoffs Unfruchtbarkeit infolge einer Abtreibung übernimmt er von dem Mann unbesehen.

Hat Blubacher eine Biographie verfasst, die sich für Landshoffs literarisches Schaffen eher am Rande interessiert, so geht Mantel in ihrer literaturwissenschaftlichen Arbeit zwar auf „Landshoffs tatsächliche Biographie“ und die diesbezüglichen „Anspielungen“ ein, welche die Schriftstellerin „in ihren (meist fiktionalen) Texten“ eingeflochten hat, doch stehen sie „nicht im Vordergrund“ von Mantels Analysen.

Wie die Germanistin feststellt, bietet Landshoffs Œuvre einen „wilden Wechsel von Genres, Stilen und Sprachen“. Dem stehe „bisher keine annähernd [so] vielseitige Sekundärliteratur“ gegenüber, wobei zudem ins Auge steche, „dass ein Großteil davon sich auf Gender-Aspekte beschränkt“. Zwar stellt Mantel diesen Aspekt von Landshoffs Werk keineswegs in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung, doch wird er auch von ihr in angemessenem Ausmaße – und das heißt sehr ausführlich – beleuchtet. So etwa, wenn sie in einer detaillierten Analyse herausarbeitet, wie Landshoff es in dem Roman „Die Vielen und der Eine“ versteht, „die Inszeniertheit von Geschlechtern“ deutlich werden zu lassen, indem sie „Geschlechterinszenierungen und Erzählen verbindet“. Schließlich werde „die ständige Transgression zum Hauptthema des Romans“, wobei „alles überschritten, unterlaufen, verwischt und vermischt“ werde: „Sprachen, Körper, Geschlechter und Sexualitäten“.

Blubacher kann in dem Roman „Die Vielen und der Eine“ hingegen nichts weiter als eine „leicht und elegant erzählte, temporeiche Geschichte“ erkennen, die „nach realen Vorbildern modelliert“ sei. Auch weist „die Gesamtkomposition der trivialen Geschichte“ ihm zufolge „Mängel auf, die Protagonistin bleibt schemenhaft“. Nur „einige Nebenstränge“ seien „mit beachtlicher Qualität erzählt“. Was das Buch aber „noch heute lesenswert“ mache, sei „die sehnsuchtsvolle Melancholie, die den Roman durchzieht“.

Die Literaturwissenschaftlerin Mantel macht im Werk der Literatin insgesamt drei chronologische „Schreibphasen“ aus – das „Frühwerk“ (1927 bis 1933), das „Exilwerk“ (1933 bis 1945) und das „Spätwerk“ (1945 bis 1966) – entlang derer sie ihre Untersuchung gliedert. Die so entstandenen drei Hauptabschnitte hat sie jeweils in wiederum drei Unterkapitel aufgefächert, deren erstes die jeweilige Schreibphase „theoretisch, historisch und biographisch […] vertieft“ und zudem „kurze Textanalysen“ enthält, bei denen Mantel besonderen Wert darauf legte, „auch kleinere und oft (wahrscheinlich) unveröffentlichte Artikel und Erzählungen aus dem großen Werk einfließen zu lassen“. Ihnen folgt für jede Schreibphase eine ausführliche Analyse eines umfangreicheren Textes Landshoffs. Im Falle des Frühwerks ist dies „Die Vielen und der Eine“, aus dem Exilwerk wird „The Man Who Killed Hitler“ besonders gewürdigt und aus dem Spätwerk „The Opening Night“ sowie dessen deutsches Pendant „Durch die Blume“. Beschlossen werden die drei Hauptabschnitte mit je einer Digression zu „Roman einer Tänzerin“, „Lili Marlene. An Intimate Diary“ und „So Cold the Night“, in denen sich Mantel „auf die Betonung von Schreibprozessen und dem Schreiben von Leben(sentwürfen) im Speziellen“ konzentriert.

Mantels Begründung für ihre Aufteilung in diese drei Schreibphasen ist ebenso überzeugend und aufschlussreich wie ihre jeweiligen Analysen. Dabei hält sie über die Untersuchung des Werkes Landshoffs hinaus noch manche instruktive Erkenntnis parat. So bietet sie in den Ausführungen zum Frühwerk etwa erhellende Überlegungen zum Begriff der Neuen Sachlichkeit und erläutert, warum sich die von Landshoff zur Zeit der Weimarer Republik gepflegte „Literaturart“ nicht diesem Stil zuschlagen lässt. Stattdessen bevorzugt die Literaturwissenschaftlerin einen „vorgreifenden Anachronismus“ und spricht von „Popliteratur“. Mantel versteht es, diese Entscheidung nachvollziehbar zu begründen. Doch treffender wäre wohl der von ihr ebenfalls in Erwägung gezogene Begriff der „Swingliteratur“ gewesen.

In ihrem Spätwerk versuchte sich Landshoff erstmals in Erzählungen mit „phantastischen Elementen“. Mantel wiederum „erprobt“ an ihnen den eigentlich auf eine bestimmte Stilrichtung der Literatur Lateinamerikas gemünzten „Begriff des ‚Magischen Realismus‘“. Ausführlich beleuchtet die Germanistin in diesem Zusammenhang die titelstiftende Erzählung des Erzählbandes „das ungeheuer zärtlichkeit“.

In den 1950er-Jahren manifestierte sich aber auch Landshoffs zunehmender Verlust literarischer Ausdruckskraft, der bis hin zu sprachlichen Unsicherheiten reichte. Während ihres jahrzehntelangen USA-Aufenthalts ging ihr „besonders das Deutsche grammatikalisch verloren“, so dass es für sie „immer schwieriger“ wurde, „überhaupt Texte zu publizieren“. Mantel zeigt, dass in Landshoffs Manuskripten gelegentlich „nur noch pure Sprachverwirrung“ herrschte. So „rutschte Landshoff“, wie Mantel formuliert, „in jeder Hinsicht in einen ‚Untergrund‘, denn sie wurde kaum von Kritikern oder einem größeren Publikum wahrgenommen und konnte sich nicht mehr als Schriftstellerin etablieren. Letztlich zerstreut sich hier ihr Werk am deutlichsten in viele Einzelteile: Nach dem Krieg kamen in Deutschland und Amerika nur noch ein längerer Text heraus, während ihr sonstiges Werk in viele Kurzgeschichten und Artikel zerfällt. Diese erschienen über verschiedenste Zeitungen und Zeitschriften verstreut, wohingegen das meiste ihres Gesamtwerks letztlich nur im Archiv zugänglich ist.“

Insgesamt lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass Mantels Untersuchung für die Landshoff-Forschung Herausragendes leistet. So lange noch solche Arbeiten erstellt und veröffentlicht werden wie die ihre, sind Literaturwissenschaft und Germanistik nicht verloren.

Zwar hat auch Blubacher zweifellos eine umfangreiche Recherchearbeit geleistet, doch verliert sich seine Biographie allzu oft in Details und Belanglosigkeiten, die nicht einmal immer Landshoff selbst betreffen, sondern oft genug Personen ihres näheren und weiteren Umfeldes oder auch Inserate von Warenhäusern, Wohnungseinrichtungen und dergleichen mehr.

Als wäre Landshoff nicht um ihrer selbst willen einer Biographie wert, beginnt er zudem mit extensivem Namedropping und füllt bereits die ersten acht Zeilen seines Buches mit den Namen von nicht weniger als dreizehn Prominenten. Daraufhin charakterisiert er seine Protagonistin als „Glitzergirl, Stilikone und Dichtermuse“. Erst dann kommt er auf ihr eigenes kreatives Schaffen zu sprechen. Dies aber nur, um anzumerken, „als Schauspielerin […] mangelte es ihr an Talent“.

Zumindest ebenso bezeichnend für die Machart seiner Biographie ist Blubachers Vorliebe für anekdotische Bettgeschichten seiner Protagonistin. Schon nach dem Namedroping der ersten Seite setzt der Autor ein wenig auf erotischen Skandal und notiert, „noch minderjährig“ sei Landshoff die „Geliebte“ eines „sechsundzwanzig Jahre älteren Dichters“ geworden. Erst nachdem er auf diese Weise in der Vorstellung der Lesenden bereits ein bestimmtes Bild Landshoffs installiert hat, kommt er auf ihr eigentliches Betätigungsfeld zu sprechen und merkt an, die „vielseitige Literatin“ habe „ein halbes Dutzend Romane“ geschrieben, ihre Kurzgeschichten seien in den „renommiertesten Literaturzeitschriften“ publiziert und ihre Theaterstücke in New York und Paris aufgeführt worden.

Erotischer Klatsch und Tratsch sowie vor allem Namedropping durchziehen weite Strecken des Buches. Selbst wenn Blubacher einmal ankündigt: „da nicht sämtliche Gäste der ausgelassenen Landshoff’schen Party zu nennen, geschweige denn ihr oft erstaunliches familiäres und soziales Beziehungsnetz zu beschreiben“ seien, solle nur „ein weiterer Name genügen“, füllt er die nächste halbe Seite mit rund anderthalb Dutzend ebensolcher. Immerhin kommt auch er an dieser Stelle selbst nicht mehr umhin zu bemerken, dass dies nach „exzessivem Namedropping“ klinge.

Schmückt er sein Buch auch mit zahlreichen Prominenten und deren Leistungen auf den verschiedensten Gebieten, so stellt er Landshoffs literarisches Licht immer wieder einmal unter den Scheffel. Zwar räumt er ein, sie habe „unbestreitbar literarische Qualitäten“ besessen, doch sei sie vor allem „Trabant wechselnder Berühmtheiten und nicht zuletzt dadurch selbst ein umkreister Stern“ gewesen. Unmittelbar zuvor hat er Irmgard Keuns kunstseidenes Mädchen Doris mit ihrer Hoffnung „Ich werde ein Glanz“ zitiert. Ein Glanz wurde Keuns Figur bekanntlich nicht. Und auch Landshoff wurde keiner, sondern allenfalls ein Abglanz, wie der Autor mit seiner Rede vom Trabant insinuiert.

Landshoffs Feuilletons aus der Zeit der Weimarer Republik konzediert er zwar eine „flotte Schreibe“, sonderlich viel anzufangen weiß er mit ihnen allerdings nicht. Sieht er in ihnen doch kaum mehr als „locker-flockige Feuilletons, ironische Glossen und prägnante Skizzen, leicht und flott geschrieben, für den raschen Gebrauch“. Völlig anders urteilt Walter Fähnders im Nachwort zu der erwähnten Feuilleton-Sammlung „Das Mädchen mit wenig PS“, wo er sie als „facettenreich, pointiert, originell und manchmal eigensinnig“ lobt. Tatsächlich sind Landshoffs feuilletonistische Texte von recht unterschiedlicher Qualität. Manche sind zweifellos wirklich für den schnellen Gebrauch hingeschrieben und heute bereits etwas abgenutzt. Andere jedoch erweisen sich als weit reflektierter und ausgefeilter, so dass sie – wie etwa „Mein wunderbarer Liebling“ – noch heute alte Klischees über Männlein und Weiblein hinter dem Ofen hervorlocken, um sie bloßzustellen.

Die genausten Analysen der Feuilletons liefert selbstverständlich Mantel. Dem Rezensenten jedenfalls erscheint Landshoff als feuilletonistisches Naturtalent. Mögen ihre Beiträge für „Die Dame“ oder für „Tempo“ und all die anderen Zeitschriften und Illustrierten Blätter, für die sie schrieb, auch nicht unbedingt ‚große Literatur‘ sein, so sind sie jedenfalls keineswegs derart simpel wie Blubacher sie öfter hinstellt. Und wer zu lesen versteht, wird so manch intertextuelles Spiel entdecken. Nicht alle intertextuellen Verweise sind so offensichtlich, wie die in dem Text „Das neue Auto“ geäußerte Bemerkung, „Fürstin Lichnowsky“ habe „Herrn Fachmann […] längst kalt gemacht“. Geradezu modern wirkt das gelegentliche Genderbending der Feuilletons, das sie auch schon einmal mit einer Rassismuskritik verbindet. Das Schöne aber ist, dass sich alle Interessierten anhand des vom AvivA Verlag herausgegebenen Bandes mit „fast 50 Reportagen, Skizzen, Erzählungen und Anekdoten“ Landshoffs aus der Weimarer Republik nun ohne Weiteres selbst ein Bild davon machen können, wie es um die Qualität und den bleibenden Unterhaltungswert ihrer Feuilletons bestellt ist.

Was den weiteren schriftstellerischen Werdegang Landshoffs betrifft, so konzediert ihr auch Blubacher „über die Jahre“ hinweg eine qualitative Entwicklung. „Der Plauderton weicht einer poetischeren und verdichteten Sprache, die Geschichten werden komplexer und phantasievoller.“ Sie habe sich sogar an „ambitionierte Gedichte“ und „umfangreichere Prosaformen“ gewagt, bis sie 1958 mit „The Opening Night“ schließlich „eine ihrer besten Erzählungen überhaupt“ geschaffen habe.

Erstaunlicherweise äußert Blubacher sich über Landshoffs Spätwerk überhaupt weniger kritisch als Mantel. Im Gegenteil, Landshoff habe sich nun „weit über die amüsanten, oberflächlichen Feuilletons der 1920er Jahre und die engagierte, aber literarisch unambitionierte Propaganda der Kriegsjahre hinausentwickelt“. Schließlich konstatiert aber auch er, dass ihr „Syntax, Orthografie und die Idiome ihrer deutsche Muttersprache […] im Exil teilweise abhandengekommen sind, ihre deutschen Texte sind voller Anglizismen und falscher Satzstrukturen“. Dass sie während der Naziherrschaft „aktiv gegen den Nationalsozialismus kämpft, mutig und mit enormem Einsatz an Kraft und Zeit“ ist allerdings kein so „erstaunlicher Wandel in ihrer Biografie“, wie Blubacher meint. Machte ihr Leben doch von je her all das aus, was die Nazis hassten.

Als Theaterwissenschaftler und Regisseur interessiert sich Blubacher verständlicherweise besonders für Landshoffs Wirken in der Off-Off-Broadway-Szene, dem „letzten und erstaunlichsten Kapitel“ in der Biographie Ruth Landshoffs. „Snobistische Muse und androgyne Stilikone, amüsante Feuilletonistin, engagierte Antifaschistin und verkannte Avantgarde-Künstlerin“, das sind „die vielen Leben der Ruth Landshoff-York“, von denen Blubacher im Titel seiner Biografie spricht.

Ruth Landshoff-Yorck starb am 16. Januar 1966 im Foyer des berühmten Off-Off-Broadway-Theaters La MaMa unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, so dass die BesucherInnen glaubten, ihr Zusammenbruch und die verzweifelten Rufe ihrer Begleiterin nach einem Arzt gehörten zur Performance. Als dann endlich ein Doktor zur Stelle war, war es zu spät.

Es erübrigt sich, abschließend anzumerken, dass zumindest zwei der drei hier vorgestellten Bücher zur Anschaffung zu empfehlen sind. Eines für Bibliotheken, das andere für alle.

Titelbild

Ruth Landshoff-Yorck: Das Mädchen mit wenig PS. Feuilletons aus den zwanziger Jahren.
Mit einem Nachwort versehen von Walter Fähnders.
AvivA Verlag, Berlin 2015.
221 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338816

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck.
Insel Verlag, Berlin 2015.
367 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783458176435

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Diana Mantel: Ruth Landshoff-Yorck – Schreibende Persephone zwischen Berliner Boheme und New Yorker Underground. Analysen zum Gesamtwerk.
Peter Lang Verlag, Frankfurt, M. 2015.
428 Seiten, 76,95 EUR.
ISBN-13: 9783631644959

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch