Meister der sprachlichen Verknappung
Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Hans Joachim Schädlich
Von Peter Mohr
„Bring mich einmal pro Tag zum Lachen oder zweimal zum Lächeln“, fordert in Hans-Joachim Schädlichs in diesem Frühjahr erschienenen Kurzroman „Narrenleben“ der sächsische Regent August der Starke von einem seiner Untertanen. Dieser Narr ist einer der Protagonisten, stammt aus der Steiermark und hört auf den Namen Joseph Fröhlich. Es geht (wie in fast allen Büchern Schädlichs) um die zerstörerische Kraft totalitärer Systeme, um teils menschenverachtendes Verhalten, um Macht und Ohnmacht, und im Falle der beiden Narren nicht zuletzt um bedingungslose Untertänigkeit als einzig reale Überlebenschance. „Narrenleben“ – das war wieder einmal große Kunst aus der Feder eines (leider) immer noch weit unterschätzten Autors.
Hans Joachim Schädlich hat im Laufe der Jahre einiges mitgemacht, aber nachtragend ist er nicht. „Für mich ist die Sache erledigt“, bekannte er in einem Interview, als er nach seinem Verhältnis zu seinem älteren Bruder gefragt wurde. Der hatte als „IM Schädling“ Dossiers über die Zeit der Biermann-Ausbürgerung an die Stasi geliefert. Anfang der 1990er-Jahre hatte Schädlich nach Einsicht seiner Stasi-Akten von der Familienspionage erfahren. Es existierten Unterlagen von einem vertraulichen Gespräch, das er mit seinem Bruder, einem promovierten Historiker, auf der Budapester Margaretheninsel geführt hatte. Dieser hüllte sich auch bei einem Treffen nach seiner „Enttarnung“ noch in Schweigen; aus dieser unangenehmen Familiengeschichte ist der kurze Text „Die Sache mit B.“ entstanden.
Schädlich gehörte 1976 zu den Unterzeichnern des Aufrufs gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann und war in der DDR so zur persona non grata geworden. Für zusätzlichen Verdruss in der SED-Führungsetage hatte sein Prosaband „Versuchte Nähe“ gesorgt, der beinahe zeitgleich in der Bundesrepublik erschienen war, nachdem die Ost-Berliner Korrespondentin der Frankfurter Rundschau das Manuskript auf abenteuerliche Weise in den Westen geschmuggelt hatte. DDR-Kulturminister Klaus Höpke sah in den radikal verknappten Parabeln ein „gegen die DDR gerichtetes Buch“. Schädlichs Erstling wurde im Westen von der Kritik begeistert aufgenommen, und er zählte Günter Grass und Uwe Johnson zu seinem Freundeskreis. Diese Faktoren dürften maßgeblich dazu beigetragen haben, dass ihm, seiner Frau und seinen beiden Töchtern die Ausreise gestattet wurde. Dabei hatte der promovierte Sprachwissenschaftler, der heute vor 80 Jahren im vogtländischen Reichenbach geboren wurde, lange für die Ost-Berliner Akademie gearbeitet. Von 1959 bis 1976 forschte er über Phonetik und galt als Spezialist für Mundarten in der DDR.
Erst neun Jahre nach seiner Übersiedlung (er lebte zunächst in Hamburg, dann in West-Berlin) erschien sein zweites Buch – der Roman „Tallhover“. Mit der Figur des untertänig-einfältigen politischen Polizisten Ludwig Tallhover hat Schädlich auf alternierenden Zeitebenen auch die Bespitzelungsmechanismen totalitärer Systeme demaskiert. Nach „Ostwestberlin“ (1987) und „Schott“ (1992) nahm der Schriftsteller den thematischen „Tallhover“-Faden noch einmal auf – im 1998 erschienenen „Trivialroman“. In „Anders“ (2003) stehen biografische Fälschungen und Selbstverleugnungen im Mittelpunkt. Der Protagonist, ein pensionierter Meteorologe, hatte einst mit großer Akribie Wetterdaten gesammelt, später widmete er sich Lebensläufen mit Ecken und Kanten, mit ideologischen Biegungen und Brechungen. Kein Wunder, dass in diesem Buch auch der renommierte Aachener Germanist Horst Schwerte und der bekannte Verlagslektor Hans Rößner auftauchen. Beide hatten ihre nationalsozialistische Vergangenheit lange Zeit vertuschen können und sich nach Kriegsende eine neue Identität zusammengebastelt.
Geradezu programmatischen Charakter für Schädlichs Œuvre hat der Titel eines kleinen, nicht zu unterschätzenden Nebenwerks: „Gib ihm Sprache“ (1999) heißt eine herrlich leichte Aesop-Nacherzählung des immer noch unterschätzten Sprachkünstlers und Ironikers Hans Joachim Schädlich, der es wie kaum ein Zweiter schafft, durch radikale sprachliche Reduktion, komplexe, anspielungsreiche Gedankengebäude auf engstem Raum unterzubringen. Das macht seine große Meisterschaft aus und hat ihn längst über den Status des Geheimtipps hinauswachsen lassen.
Lesetipp:
Hans Joachim Schädlich: Narrenleben. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015.
175 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064280