Die leichte Seite der Aufklärung

„Auf der Schwelle zur Moderne“: Vier Fallstudien beschäftigen sich mit der Entwicklung der Unterhaltung zwischen 1780 und 1840

Von Jelko PetersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jelko Peters

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Begriffe „Unterhaltung“ und „Aufklärung“ passen dem ersten Anschein nach nicht zusammen. Zwar sollen Kultur und besonders Literatur nach Horaz erfreuen und nützen, doch lag während der Aufklärung das Gewicht insbesondere auf dem Nutzen der Werke, während die Unterhaltung oft zu kurz kam. Dies änderte sich im ausgehenden 18. Jahrhundert, als die Unterhaltung ihren „Siegeszug“ antrat und die „Verwandlung von ambitionierten Konversations- und Unterhaltungstraditionen der Eliten in die vielfältigen Angebote und Praktiken des kulturellen Konsums der Vielen“ erfolgte. Das Zeitalter der Aufklärung brachte die Unterhaltung hervor.

Diese Transformation beschreiben Anna Ananieva, Dorothea Böck, Hedwig Pompe und Rolf Haaser in ihren jeweiligen Studien exemplarisch entlang der Biographien von Carl Friedrich Bahrdt (1741–1792), Carl Spazier (1758–1805); (verfasst von Böck) und Wilhelm Gottlieb Becker (1753–1813); (Ananieva und Haaser), der Geschichte des Leipziger Voss Verlags (Ananieva) sowie der konzeptionellen und verlegerischen Entwicklung der Dresdner Abend-Zeitung unter der Redaktion jeweils von Friedrich Laun (1770–1849) und Karl Theodor Winkler (1775–1856); (Pompe). Ergänzt werden die Studien um die chronologische Bibliographie der Erscheinungen im Voss Verlag, welche Rolf Haaser erstellte.

Als auffällig erweist sich der starke Einfluss der Freimaurer auf die Gelehrten und den Voss Verlag. Verleger und Autoren waren Mitglieder von entsprechenden Logen und Geheimbünden. So versuchte Bahrdt das widersprüchliche Arkanum der Freimaurer, wie man viele Leser erreicht, zu nutzen, um so „den gesellschaftlichen Fortschritt ‚im Geheimen‘ bewirken“ und den Buchmarkt kontrollieren zu können. Spätestens mit dem Verbot des Illuminatenordens 1785 war dieses Vorhaben allerdings zum Scheitern verurteilt, da man aus dem Verborgenen heraus nicht mehr das anvisierte Medienkartell aufziehen konnte und die Geheimbündler in diesem Kontext dem Paradox der „Zwiespältigkeit der Publizität des Arkanen“ ausgesetzt waren. So erscheint es nur konsequent, dass Spazier und Becker ihren aufklärerischen Impetus, den sie von den Freimaurern erworben hatten, aufgaben und stattdessen als Träger einer Konsum- und Unterhaltungskultur agierten, die in der Idee des „Eleganten“ ihren Fixpunkt fanden. Sowohl in literarischen Texten als auch in Abhandlungen etwa zur Garten- und Baukunst beschrieben sie Voraussetzungen für eine Geselligkeit der „Begünstigten“, wie Becker sie nennt. Sie publizierten ihre Schriften in Büchern, Kalendern, Zeitschriften und Zeitungen und offerierten ihren Lesern ein breites informatives Angebot, um „Geschmack“ zu entwickeln, am „schönen“ und angenehmen Leben teilzunehmen und sich am Vorbild des Adels und seiner gesellschaftlichen Bedeutung zu orientieren.

Für die Dresdner Abend-Zeitung wird exemplarisch herausgearbeitet, dass man sich zunehmend nur noch der „bloßen“ Unterhaltung widmete und nicht mehr an den publizistischen und ästhetischen Kontroversen beteiligte. Aufgrund dieser Ausrichtung sahen sich Autoren, Bücher und Periodika der Unterhaltung einer scharfen Kritik ausgesetzt. Man warf ihnen wie den Vielschreibern fabrikmäßige Produktion und Trivialität vor. Am Beispiel der Fehde zwischen Winkler und Tieck wird exemplarisch die Unversöhnlichkeit von „Kunst“ und „Unterhaltung“ vorgeführt.

In ihren Fallstudien beschränken sich die Autorinnen keinesfalls darauf, die durchaus ungewöhnlichen Lebensgeschichten der Männer darzustellen, die ihren Weg nicht mehr nur auf dem Pfade der Aufklärung für Wenige beschritten, sondern über die Unterhaltung Geschmack und Interesse der Vielen erreichen wollten. Stattdessen nutzen sie das Format der Studie, welches weniger streng als die Biographie, die historische Darstellung oder der thematische Aufsatz gehandhabt werden kann, für Abschweifungen und Exkurse sowie ausführliche Zitate aus Verlagsunterlagen oder Briefen. Darunter leiden indes teilweise der Lesefluss und die Dichte der Darstellung; für den Zusammenhalt der Narration wäre eine gesonderte Dokumentation der Briefe und anderer Akten hilfreich gewesen. Trotzdem erreichen die Studien aufgrund der Repräsentativität ihrer ausgewählten Gegenstände und wegen der Nutzung und umfangreichen Publikation von Verlagskorrespondenz den Rang eines Grundlagenwerkes. Die Abhandlungen kommen nicht nur einer zukünftigen Geschichte der Unterhaltung zugute, sondern können gewinnbringend von der Literaturwissenschaft für weitere Forschungen über die Aufklärung, den Einfluss der Freimaurerei auf Literatur und Kultur sowie zum literarischen und geselligen Leben zwischen 1780 und 1840 genutzt werden.

Dass mit diesen Studien die Forschungen zur Unterhaltung nicht abgeschlossen sind, wird unter anderem daran deutlich, dass die Darstellungen der Autorinnen für sich stehen und bewusst in der Summe kein Ganzes ergeben sollen. So benennen die Forscherinnen offen gegenseitige Divergenzen und Widersprüche, aber auch Korrekturen, die sie während ihrer Arbeit erfahren haben, und fordern so den Leser dazu auf, sich an dem Diskurs über die Geschichte der Aufklärung zu beteiligen.

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Anna Ananieva / Dorothea Böck / Hedwig Pompe: Auf der Schwelle zur Moderne: Szenarien von Unterhaltung zwischen 1780 und 1840. Vier Fallstudien.
2 Bände.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2015.
1106 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783895289330

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