Die Wüste lebt!

Ein heißer Überlebenskampf mit Yoanns und Lewis Trodheims „Fennek“

Von Ulrike PreußerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Preußer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Comics sind meist unterhaltsam – oft auch kunstvoll – und thematisch, motivisch und stilistisch so vielseitig wie alle Erzählmedien. Aber können Comics auch hin zur Literatur führen und literarisches Lernen anregen? Fennek von Yoann und Lewis Trondheim zeigt exemplarisch, dass Comics nicht nur eine faszinierende Kunstform sind, sondern darüber hinaus auch noch visuell nachvollziehbar machen, was literarische Texte allein mit dem Symbolsystem Schrift erzeugen, wie z.B. Erzählperspektiven, Leerstellen, Identifikationsangebote und vieles mehr.

Fressen und Gefressenwerden, darum geht es in der Welt eines kleinen Wüstenfuchses. Selbst stets hungrig, steht der nach seiner Art benannte Fennek seinerseits auf dem Speiseplan eines furchteinflößenden Schlangenrudels, das sich den kleinen Fuchs mit den gigantischen Ohren dringend einverleiben möchte. Zunächst kann das gerissene Tier Verwirrung aufseiten der Verfolger erzeugen, indem es die Schlangen als „kriechende Exkremente“ bezeichnet. Diese wiederum  wissen überhaupt nicht, was gemeint ist und fühlen sich dazu genötigt, ein Wörterbuch zu konsultieren, um das gesamte Ausmaß der offensichtlichen Beleidigung verstehen zu können. Auf Dauer wird Fennek aber nicht sicher sein vor seinen Häschern – so viel wird schon auf den ersten Seiten dieses ebenso possierlich gezeichneten wie schwarzhumorig getexteten Comics klar. Der Wüstenfuchs will sich nun ein geheimnisvolles Schamanenhalsband besorgen, um mit seiner Macht die Schlangen endgültig zu erledigen. Dazu muss er allerdings die gefahrvolle Wüste durchqueren. Auf seinem Weg begegnen ihm viele Tiere, von denen ihm die wenigsten wohlgesonnen sind. Neben vielen verbal ausgetragenen Streits frisst Fennek auch die ein oder andere seiner neuen Bekanntschaften auf. Hartnäckig an seine Fersen heften sich aber ein vertrottelter Ameisenbär und ein laberfreudiger, kurzsichtiger Gibbon. Mit beiden schließt Fennek letztlich Freundschaft – oder das, was Wüstenfüchse eben so darunter verstehen.

Trondheim konnte schon durch seine Herr Hase-Comics begeistern. In spitzzüngiger Manier legt er hier den Wüstenbewohnern eine biestige Bemerkung nach der anderen in die Schnauze – und das macht wirklich Spaß. Seine besondere Wirkung kann Trondheims schwarzer Humor aber erst durch die aquarellartigen Tuschezeichnungen von Yoann entfalten, der zum einen auf die außergewöhnliche Niedlichkeit seines Fenneks und zum anderen auf eine unerhört freundliche Farbgebung setzt.

Die kleinen Anekdoten, die sich vor dem Hintergrund der Wüstenfuchs-Odyssee ereignen, bieten darüber hinaus einen wundervollen Einblick in sprachlich-visuell erzeugte Erzählstrategien: Als Fennek seine Reise antritt, markiert er z.B. einen Baum, um sich daran auf seinem Rückweg orientieren zu können. Erst im sechsten Panel dieser Erzählsequenz wird für die Leserschaft deutlich, dass Fennek nicht an einem Stamm, sondern an einem Elefanten sein Bein gehoben hat. Diese Panelfolge etabliert auf humorvolle Weise einen Erzähler, der den/die LeserIn zunächst auf Fenneks Augenhöhe zwingt, um ihn erst viel später über seinen Irrtum aufzuklären. Durch den fehlenden Überblick wird die Leserschaft angeregt, Hypothesen über den Fortgang der Geschichte anzustellen: Wird Fennek seinen Weg zurückfinden? Oder ist die misslungene Markierung schon ein Hinweis darauf, dass sich die Geschichte in eine andere Richtung entwickeln wird? Literarische Texte funktionieren letztlich ganz ähnlich – allerdings kann man an ihnen die Verwandlung eines Baumes zu einem Elefantenbein nicht so prägnant und überzeugend nachvollziehen. Durch die Sichtbarkeit des Irrtums werden Erzählperspektiven plötzlich greifbar – ein Schachzug, den Yoann und Trondheim meisterhaft beherrschen. Doch wie kann ein gezeichnetes Elefantenbein den Eindruck vermitteln, ein Baumstamm zu sein? Yoanns Illustrationen demonstrieren, wie das geht: Er zeigt in den etablierenden panels nur einen Ausschnitt des vermeintlichen Stammes und nutzt den Rahmen, um die Leserschaft zum Vervollständigen des Gegenstands anzuregen. Da Trondheim – die Fuchsperspektive einnehmend – die Vermutung bestätigt, dass es sich um einen Baum handelt, hat der/die LeserIn gar keine Chance, eine andere Ergänzung des grauen, rissigen Rechtecks am rechten panel-Rahmen vorzunehmen. Erst als aus einer erweiterten Außenperspektive heraus der ganze Elefant sichtbar wird, kann sich die Leserschaft ihren Irrtum – und den des Fennek – erschließen. Auch der Umgang mit Leerstellen, den die beiden Comicautoren an den Tag legen, zeigt deutlich, auf welch plastische Weise literarische Verfahren der Aussparung im Comic inszeniert werden können. Nachdem sich Fennek z.B. von einem Papageien die Zukunft hat vorhersagen lassen, frisst er ihn auf. Zeichen für diese brutale Tat ist nur der gutter zwischen zwei panels und ein paar Federn, die den auffällig geschwollenen Bauch des Fuchses umspielen. Federn und Leibesfülle sind hier als indexikalische Zeichen eingesetzt, die der/die LeserIn zu einer Handlungsabfolge ergänzen muss.

Fennek ist ein purer Lesegenuss und zugleich ein gutes Beispiel dafür, dass Comics literarische Verfahren visualisieren und so unmittelbar zugänglich machen. Somit ist der kleine Wüstenfuchs eine Pflichtlektüre für Freunde des schwarzen Humors und vielleicht sogar für Schüler ab Klasse sieben, um nicht nur Erzählweisen kennenlernen und Humorerfahrungen im Medium Comic ausbauen zu können, sondern auch, um einen plastischen Einblick in literarische Verfahren zu bekommen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Lewis Trondheim: Fennek.
Kai Wilksen.
Reprodukt Verlag, Berlin 2011.
64 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783941099807

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