Die Bogenbewegung des Verstehens
Dieter Henrich erkundet in „Sein oder Nichts“ die Textwelten Becketts und Hölderlins
Von Axel Schmitt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMit der vor mehr als 100 Jahren erschienenen Hölderlin-Ausgabe von Norbert von Hellingrath begann eine weitreichende Rezeption des Dichters in Europa. Besonders die späte Lyrik, auf der Friedrich Hölderlins weltweiter Ruhm und die literarhistorischen Würdigungen beruhen, trägt in den philosophischen und poetologischen Um- und Weiter-Schriften des 20. Jahrhunderts zum einen das Signum des Unverstandenen und Hermetischen, zum anderen das des Originalen und Authentischen. Kaum ein moderner Dichter von Rang ist nach Hellingraths editorischer Meisterleistung an dem ‚Paradoxon‘ Hölderlin einfach nur vorbeigegangen. Von Rainer Maria Rilke, Georg Trakl und auch von Paul Celan wurde Hölderlin in einer Weise wahrgenommen, die sich nicht nur an der Hymnendichtung Hölderlins, sondern auch an deren Aufnahme und Deutung durch Stefan George und Martin Heidegger intensiv abarbeitete. Im Zentrum stand dabei die produktive Rezeption des dichterischen Enthusiasmus der vaterländischen Gesänge, des Dichters des Dichtertums und der verrückten Übersetzung pindarischer Formen in eine verwandelte abendländische Zukunft, in ein dem Deutschen entfremdetes Dasein. Auch Samuel Becketts lebenslange, oft nur implizite Hochschätzung von Hölderlins Texten kann in diesem Zusammenhang angeführt werden. Mit Ausnahme Celans hat kein Dichter des 20. Jahrhunderts zwischen seiner Wahrnehmung der Hölderlin’schen Spätdichtung und der formalen Gestaltung der eigenen Texte eine Verbindung von solcher Nähe sehen können, wie dies von Beckett bezeugt ist.
Dem Philosophen und herausragenden Hölderlin-Forscher Dieter Henrich ist es in seinen um die dichotomischen Leitworte Sein und Nichts gruppierten Erkundungen zu Beckett und Hölderlin gelungen, die Bezugnahmen des irischen Dichters auf Hölderlins Gedichte neu und von Grund auf zu erschließen. Dabei überrascht Henrich mit dem Ergebnis, dass Beckett sich nicht nur einen ‚modernen‘ Hölderlin erschreibt, sondern dabei auch dessen ‚Seins‘-philosophischen Anfängen, die Henrich vor drei Jahrzehnten im Rahmen seiner Forschungen zur Entstehung der idealistischen Philosophie genauer erschlossen hat, sehr nahe kommt.
Im ersten von vier Teilen seines Buches versucht Henrich anhand unterschiedlicher Quellen Becketts Beziehung zu Hölderlin möglichst genau nachzuzeichnen. Dazu gehört, dass Spuren und Nachwirkungen seines Umgangs mit Hölderlin, die nicht nur aus Becketts Texten, sondern einer ganzen Reihe von überlieferten Gesprächen gewonnen werden können, aufgedeckt werden. Becketts Hochschätzung von Hölderlin gerade in dessen spätesten Entwürfen und in den Gedichten der Zeit der Krankheit nimmt seinen Ausgang von einem Umstand, den man mit Harold Bloom misreading, schöpferisches Fehllesen oder Missverstehen nennen könnte: Beckett hat die erste Strophe von Hölderlins spätem (eigentlich dreistrophigem) Gedicht Mnemosyne für ein selbständiges Gedicht angesehen (der maßgebliche zweite Band der Stuttgarter Ausgabe stand Beckett wohl nicht zur Verfügung) und mit seinem eigenen Werk dadurch so eng wie möglich verbunden, dass er seine Quintessenz der Lektüre vor allem der Schlusszeilen der ersten Strophe („Vorwärts aber und rükwärts wollen wir / Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie / Auf schwankem Kahne der See.“) in einem Wort bündeln wollte, das er selbst als Leitgedanken für den Versuch bezeichnet hat, seine eigenen Texte im Ganzen zu entschlüsseln und das Gewicht eines Kunstwerks nach dem Grad und der Art seines Scheiterns zu bemessen: „Und dann – das Nichts“. Beckett hört nach Ansicht Henrichs in Hölderlins Aufforderung am Ende der Strophe, sich dem Erinnern zu entziehen und im Kahn wiegen zu lassen, etwas ganz anderes heraus als die zur Abwendung vom wirklichen Leben der Menschen und zum Vergessen ihres Schicksals. Für Beckett kann die „kontemplative Gegenwart des Selbstseins für sich […] auch nicht zu einer Gewissheit des eigenen Daseins jenseits aller Verwicklung befreien wollen“. Es ist Becketts ‚eigener‘ Hölderlin, der über den Leitgedanken des ‚Nichts‘ in die Nähe des eigenen Werkes gebracht wird und dessen scheinbar diametral entgegenstehender „Seynsphilosophie“ im 20. Jahrhundert zu einer Gegenwart verholfen werden soll, die „der Bewusstseinslage dieser Zeit weit mehr entspricht als die zunächst um so vieles nachhaltigere Vergegenwärtigung Hölderlins in der Nachfolge von Stefan George und dann von Heidegger“.
Der zweite Teil unterbricht zunächst die Erkundung des Verhältnisses der beiden Dichter, um die Bedeutung der Ausdrücke ‚sein‘ und ‚nichts‘ etymologisch genauer in den Blick zu nehmen, um nach der Art dieser Entgegensetzung, nach möglichen Unterschieden der Fassung der beiden Gedanken, nach deren Verhältnis zueinander und nach dessen Fortbestimmung zu fragen. Im Hintergrund ist dabei die These leitend, dass schon die Entwicklung der Sprachen selbst von philosophischen Denkaufgaben mitbestimmt ist. Nach der sprachanalytischen Eingrenzung der beiden Zentralbegriffe geht Henrich dann zum Entwurf einer philosophischen Grundlegung über, wenn er den Ursprung der Doppelung und der gegenläufigen Beziehung der beiden Ausdrücke aufeinander aus der Verfassung des denkenden Wesens, von der her sich der doppelte Ursprung der Begriffe zuletzt verstehen muss, verständlich zu machen sucht. Im Phänomen des Seins, so wie Hölderlin es verstand, bündeln sich ‚Sein‘ als Kopula im Urteil, ‚Sein‘ als Identitätszeichen, ‚Sein‘ als Ausdruck für Existenz sowie ‚Sein‘ als Substanz. ‚Das Sein‘ ist also kein einfacher Gedanke; ihm liegt vielmehr der Impuls zugrunde, ein Erstes und Ganzes zu erreichen und zu verstehen. In der Singularform baut sich das im ‚Sein‘ enthaltene Selbstbild in einer Beziehung auf ein Ganzes auf. Hölderlin hat diesen Bezug entwickelt, indem er ‚das Sein‘ unter den Gedanken von Einigkeit und Vereinigung stellt.
Im Unterschied zur Stützung des Subjekts in einem ‚Seins‘-Ganzen und zur Affirmation seiner Stellung in der es umgebenden Welt (esse), evoziert ‚das Nichts‘ eine Marginalisierung des Subjekts, die „Aufhebung von Jeglichem, allbefassendes Schwinden, Fremdsein in allem“ mit dem Ziel- und Endpunkt des Ver/Schwindens und ‚Fallens‘ (de-esse). Nach Henrich ist damit eine Dimension der Rede von Sein und Nichts als Begriffskonjunktion im Ursprung des „Ich bin“ erreicht, die für einen Aufschluss über die Beziehung Becketts zu Hölderlin wichtig ist:
„Es ist möglich, dass ein Autor die Wirklichkeit und die Erfahrungen, die ein anderer unter das Leitwort ‚das Nichts‘ stellt, in solcher Tiefe erschließt, die dieser andere bewundert, obwohl der andere das, was letztlich allbefassend ist, als ‚das Sein‘ versteht. So erkennt Beckett in Hölderlins Texten das hohe Maß, in dem sie die Wirklichkeit des Lebens unter der Tendenz des Scheiterns und der Hinfälligkeit erschließen, und lässt sogar sein eigenes Leitwort die Quintessenz eines der Gedichte Hölderlins sein.“
Das Begriffspaar erscheint somit in zwei verschiedenen Ausbildungen: „zuerst als die formale Entgegensetzung von Sein und Nichts und sodann als zwei Konzeptionen dessen, was ist – als universale Hinfälligkeit und als in eine universale Einheit gefügtes Bestehen.“ Denn der Mensch kann sich von diesem ‚Ganzen‘, in das er durch die beiden sprachlogisch eigentlich antithetischen, aber ontologisch komplementären Begriffe einbezogen ist, in dem, was sein Selbstsein ausmacht, entweder als affirmiert und in einer Vereinigung gestützt oder als marginalisiert und ausgeschlossen erkennen, sodass das Verhältnis von Sein zu Nichts als Alternative zu verstehen ist. Der prozessuale Bedeutungsgehalt dieses strikt entgegengesetzten Verhältnisses ist von Hölderlin als ‚Vereinigen‘, von Beckett entsprechend als ‚Abgrund des Nichts, worin alles Sein versinkt‘, als ‚Fallen‘ beziehungsweise ‚Ver/Schwinden‘ gefasst worden. Doch wie lassen sich diese beiden entgegengesetzten Leitgedanken zu einer von Hölderlin und Beckett genutzten Denkfigur verbinden? Nach Henrich müssen „auch der Zerfall von Einheit und das Leiden, das mit ihm über den Menschen kommen kann und kommen wird, als Voraussetzungen dafür verstanden werden […], dass Einigkeit erstrebt und wiedergewonnen werden kann“. ‚Seyn schlechthin‘ geht bei Hölderlin – so Henrich – in Trennung über, und das Getrennte findet in dem Seyn als Einigkeit zu der vereinigenden Kraft der Schönheit zurück; beispielhaft steht hierfür die ‚ekzentrische Bahn‘ im Hyperion, die der Mensch durchlaufen muss, um Einigkeit mit sich zu finden, sich mit sich in dem wieder zu versöhnen, was die Philosophie ‚das allversöhnende Seyn‘ nennt, oder auch das Verstehen eines Aufgangs einer neuen Welt (der hesperischen) im Untergang einer alten Welt (der griechischen) im Empedokles und in vielen theoretischen Schriften.
Im dritten Teil des Buches gelingt es Henrich zu zeigen, wie sich das Werk Hölderlins und Becketts unter den Leitgedanken von ‚Sein‘ und ‚Nichts‘ so aufbaut, dass trotz des fundamentalen inhaltlichen und ästhetischen Gegensatzes zwischen ihnen die besondere Nähe beider erkennbar wird. Bedenkenswert ist Henrichs Überlegung, dass sowohl Hölderlins Überlegungen zum ‚Seyn‘ als auch die Debatten des 19. Jahrhunderts, in dem der Nihilismus zum Grundwort einer Kulturdiagnose, aber auch zu einem positiv besetzten Leitwort für eine Politik des Umsturzes werden konnte, ohne die Philosophie Friedrich Heinrich Jacobis und Georg Wilhelm Friedrich Hegels unmöglich wären. Ausgesprochen fruchtbares Neuland betritt Henrich immer dann, wenn er den philosophischen Rahmen seiner Erkundungen für kurze Zeit verlässt und einen Schritt auf ästhetisches Terrain wagt. So konstatiert er zurecht den engen Konnex von Becketts Leitgedanken des ‚Nichts‘ mit der sprachlichen und formalen Gestalt seiner Texte. Neben den ausgesprochen differenziert eingesetzten Wortfeldern ‚fallen‘ und ‚scheitern‘ (verschlimmern, schwinden, schrumpfen, festsitzen, versagen und so weiter) ist der Prozess wortlos gegenwärtig
„im Schmutz und Abfall, im Dämmerlicht der Szenen, im Amputiert-, Verkrüppelt-, Nach-unten-gewandt-Sein, im Ausgestoßensein und im grundlosen, aber scheinbar zielstrebigen Weitermüssen der Personen, im Stocken und Sich-Zersetzen der Sprache sowie im Zerfall des Selbstseins und der Erinnerung, schließlich in der Abhängigkeit von fremden und anonymen Mächten, auf die mit einem ‚ihnen‘ oder ‚ihm‘ verwiesen wird, sowie in einem Hören und Hörenmüssen auf Stimmen, die aus unbestimmter Quelle verlauten. Dies alles ist durchzogen von einem Ende-Wollen, einem kraftlosen Sehnen nach Ruhe, Stille und Aufhören, und zugleich von dem Wissen, ‚weitermachen‘ zu müssen – nahe an Grenzen zum gänzlichen Leeren, von denen es doch kein Einhalten und Verlöschen geben kann.“
Hier ließe sich auch für Hölderlin – von Beckett aus rückblickend – ein neuer Ansatz für dessen Spätwerk gewinnen, doch Henrich bleibt bei seiner schon vor mehreren Jahrzehnten gewonnenen Ansicht, dass Hölderlins Spätwerk, so wie das Werk insgesamt, „aus seiner Verwandtschaft mit dem Deutschen Idealismus und seinen Intentionen, die man pantheistisch nennen kann, zu verstehen“ sei. Die in der Hölderlin-Forschung vertretene Gegen-These (etwa von Christoph Jamme, Otto Pöggeler et al. in dem 1988 erschienenen Tagungsband „Jenseits des Idealismus. Hölderlins letzte Homburger Jahre“), dass für Hölderlins Denken in der hymnischen Dichtung eine Zäsur, ein Bruch zur Philosophie der frühen Jahre, des Hyperion und der Oden und Elegien zu konstatieren sei, weil Hölderlins spätes Denken – wie schon Heidegger, allerdings unter intellektuell sehr fragwürdigen Umständen, erkannt hat – aus der überkommenen Metaphysik ganz freigekommen sei, wäre jedoch mit dem poetologischen Verständnis Becketts (im Übrigen wie schon mit demjenigen Celans) besser und plausibler engzuführen. Ebenso ließen sich diejenigen Züge von Hölderlins späteren Texten anführen, die Becketts Bewusstsein von seiner Nähe zu Hölderlin verstärkt haben: der überwiegend parataktische Satzbau, die ‚harte Fügung‘ syntaktischer und semantischer Strukturen, der abrupte, zäsurierte Übergang von unverbundenen Gedanken und Motiven, der für den pindarisierenden Stil auch der letzten Gedichte und Fragmente Hölderlins vor der Turmzeit charakteristisch ist, die Verweise in eine undenkbar bleibende Bedeutungstiefe, der Versuch, Sprache aufzurauen und zu destruieren, um die dabei entstehenden Wortfragmente mit anderen Fragmenten zu neuen Wörtern zu konstruieren und nicht zuletzt, um die Grenzen eines Sprachbestandes angesichts einer sich immer stärker entziehenden, verrückenden Wirklichkeit zu erfahren. Dieser de-/konstruktive Gestus der späten Texte Hölderlins ist anschlussfähiger an die Dichtung des 20. Jahrhunderts als die Vorstellung einer ‚allversöhnenden Harmonie‘, auch und gerade wenn sie in Hölderlin nicht mehr den Künder, Seher und Wegbahner des kommenden Lebens sieht, was nicht nur für Celans Rezeption, sondern auch für die Becketts gilt, wie sich etwa aus einem Gespräch Becketts mit Patrick Bowles aus dem Jahr 1955 ergibt:
„Hölderlin endete in etwa dieser Art von Scheitern. Seine einzigen Erfolge waren die Stellen, an denen seine Gedichte weitergehen, ins Stocken kommen, stammeln und dann ihr Scheitern eingestehen, und aufgegeben werden. An diesen Stellen war er am erfolgreichsten. Als er versuchte, die fadenscheinige Großartigkeit aufzugeben.“
Henrich, der diese zentrale Gesprächsnotiz in seiner Untersuchung ebenfalls erwähnt, konstatiert aber für Beckett einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen dem Leitgedanken des ‚Nichts‘ und der ästhetischen Formgebung, da diese immer „einen Hinweis auf irgendeine mögliche ‚Affirmation‘“ enthalte: „Mit der Form als solcher wächst dem Wirklichen, das in sie eintritt, eine Affirmation, eine Art von Bestätigung seines würdigen Ursprungs zu.“ An anderer Stelle rückt Henrich die Formgebung literarischer Werke in die Nähe des von ihm zuvor erarbeiteten Begriff des ‚Seins‘:
„Diese Form kann nicht in den Bereich dessen einbezogen werden, was mit dem Titel ‚das Nichts‘ unter einem gemeinsamen Namen und einen Gedanken von seiner Einheit gelangt ist. Insofern eine für die Mitteilung des Nichts geeignete Form gewonnen ist und sodann auch darüber nachgedacht wird, wie diese Form im Verhältnis zu dem, was in ihr manifest wird, verstanden werden kann, muss man zu einem Gedanken von etwas geführt werden, das nicht selbst noch als im so begriffenen Nichts inbegriffen zu denken ist. Das aber heißt nichts anderes, als dass, und zwar in Beziehung auf ‚das Nichts‘, nunmehr von etwas die Rede sein muss, das auf ein ‚Sein‘ zumindest hinweist.“
Ob es angemessen ist, Becketts (und auch Celans) Versuche im Anschluss an Hölderlin, das Undenkbare zu denken und das Unausdrückbare auszudrücken, mit der idealistischen Seins-Philosophie und der Überlegung, die Grenzen der Sprache in der Sprache, gewissermaßen als Kippfigur von der Negation zur Affirmation, zu durchbrechen, darf doch stark bezweifelt werden; ebenso, ob man bei Beckett von „Umkippung zwischen der alles durchherrschenden Negation zu einer Negation“ sprechen kann, deren „Anderes in ihr selbst eingeschlossen ist. Dies Andere unterliegt in sich nicht der Tendenz zu Schwund und Fall“, sondern rekurriert, so darf man wohl folgern, Hölderlins Idee der ‚allversöhnenden Vereinigung‘. Bedenkt man das Stocken und Sich-Zersetzen der Sprache sowie den Zerfall des Selbstseins und der Erinnerung in Becketts Texten, seine Wanderungen im Schädelinneren der von Wahnsinn geschlagenen Figuren, so ließe sich statt zur Affirmation neigender ästhetischer Formgebung sinnvollerweise von einer negativ-dialektischen Denkbewegung sprechen, die mit Theodor W. Adorno Möglichkeit und Unmöglichkeit von Kunst nach Auschwitz thematisiert: Keine positive Synthese wird angestrebt, die Situation der Kunst bleibt paradox. Und wie die Kunst aussehen sollte, die noch möglich war, hat Adorno nur bei ganz wenigen verwirklicht gesehen – neben Beckett höchstens noch bei Celan.
Der vierte und letzte Teil des Buches besteht aus einem Erkundungsgang in demjenigen philosophischen Denken, das den aus Henrichs Sicht unpassenden Namen „Metaphysik“ trägt, in der Philosophie um 1800 jedoch so grundlegend verwandelt wurde, dass es eine eigenständige Umsetzung für die Gegenwart verlangt und dabei auf die Verfassung des seiner selbst bewussten Lebens rekurriert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Henrich mit seinen Erkundungen in gewohnter Gelehrsamkeit, mit intellektueller Schärfe und philosophischer Brillanz einen Streifzug durch die Textwelten Hölderlins unternimmt, diesmal mit ungewohnten, aber nicht minder interessanten Seitenblicken auf die Dichtungen Becketts und dessen ‚misreading‘ der Gedichte Hölderlins. Henrich arbeitet überzeugend heraus, dass Beckett sich Hölderlin in der „Tiefenlotung der Hinfälligkeit des Menschen verbunden“ sah. „Seine Kunst sollte ihr unter dem Leitgedanken ‚das Nichts‘ Sprache und eine ungeschönte Gestalt geben“. Damit treten auch Dimensionen von Hölderlins Texten ins Bewusstsein, die, wie Henrich zurecht unterstreicht, zwar in Georges und Heideggers Verständnis von Hölderlin als dem Künder des Kommenden wenig beachtet wurden, die eine aber schon in der kongenialen Lektüre Celans begegnen. Das setzt jedoch einen Sprung voraus, den Henrich leider nicht in aller Konsequenz wagt: den von ihm vor drei Jahrzehnten für den Idealismus gewonnen Dichter jenseits dieses Rahmens zu verorten. Wenn dieser gelehrte ‚Irrtum‘ Henrichs aus der Sicht des Rezensenten mit einem Augenzwinkern auch als verzeihlich einzustufen ist, so bleibt aber die Hoffnung auf das Eintreten eines anderen Irrtums, der in der Annahme des Verfassers liegen möge, das vorliegende Buch werde „sein letztes dieses Formats“ sein.
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