Der Krieg zerstört die Seele, die Sprache und die Wahrheit

Die Dichter und der Krieg - eine Nachlese aus den Feuilletons

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Am 24. 3. 1999 fielen die ersten Nato-Bomben auf Serbien. Es dauerte mehr als zwei Wochen, bis die Debatte über diesen Krieg unter den deutschen Intellektuellen in Gang kam und ihren Weg in die Feuilletons fand - eine auffallend lange Schrecksekunde.

Günter Grass allerdings hatte schon auf der Leipziger Buchmesse Stellung bezogen. Er nannte den Nato-Angriff richtig, allerdings zu schwach und verspätet. (Die Belgrader Zeitung Vecernje Novosti reagierte darauf mit der Aktion "Wir geben Ihnen die Bücher zurück, Herr Grass", ohne allerdings ein großes Echo zu erzeugen.)

Eine spektakuläre Reaktion bot Peter Handke. Schon vor Beginn der Bombardierungen hatte er sich auf die serbische Seite gestellt, war während der Verhandlungen in Rambouillet, fuhr nach Beginn des Krieges demonstrativ nach Serbien. Aus Zorn über die Haltung des Westens gab er den Büchner-Preis von 1973 zurück. In einem SZ-Interview von Mitte Mai rechtfertigte er Milosevic als legitimen Verfechter jugoslawischer Interessen und verglich den Bombenkrieg mit Auschwitz. "Damals waren es Gashähne und Genickschußkammern; heute sind es Computer-Killer aus 5000 Meter Höhe." Dann folgt ein Rundumschlag gegen Intellektuelle und Politiker. Jürgen Habermas´ "entsetzlich rechtfertigender Schrieb zum Krieg" sei "eine Apologie der blindwütigen Gewalt". (Über Enzensberger, der die UCK bewaffnen möchte, heißt es: "Der weiß immer, wo´s lang geht, ein grinsender höhnischer Zuschauer, der menschgewordene Hohn.") Der "Pimpf Goldhagen" ("Hitlers willige Vollstrecker"), der die Serben, wie seinerzeit die Deutschen, erst besiegen und dann umerziehen lassen will, soll nach Handkes Willen selber umerzogen werden. Die 68er, die jetzt in der Regierung sind, nennt er "Turnlehrer des Grauens". "Mit der einen Hand tätscheln sie, mit der anderen töten sie, und das ist das neue Auschwitz, das sie doch verlogen verhindern wollten."

In seiner Replik auf Handkes Angriff wundert sich Habermas, wie der "Blitze schleudernde Dichter" mit solcher Sicherheit Partei ergreifen kann. "In diesem Streit sollten wir einander zugestehen, daß sich jeder hin- und hergerissen fühlt."

Hin- und hergerissen zeigen sich viele der deutschen Schriftsteller, nachdem sie endlich ihre Sprache wiedergefunden haben. Christa Wolf sieht sich "in eine Zwangslage gebracht, aus der ich keinen Ausweg weiß", sie kann "die Frage nach der Alternative, die einem wie eine Pistole auf die Brust gesetzt wird", nicht beantworten. Ihre Sprachlosigkeit will sie nicht als "Zeichen von Gleichgültigkeit oder Feigheit" gedeutet haben. Sie wirft auch, wie viele andere, die die Erfahrungen aus dem Golfkrieg nicht vergessen haben, die Frage nach der Verläßlichkeit der Kriegsberichterstattung auf. Durs Grünbein meint, "Krieg im Namen der Menschenrechte ist ein Paradox, das nur wenige aushalten." Trotzdem hält er ihn für ein probates Erziehungsmittel, ganz wie Goldhagen. Herta Müller argumentiert als Diktatur-Geschädigte. "Milosevic muß jetzt für alle Zeit gestoppt werden. Der Mann ist im Rausch. [...] Er zieht sein Volk mit in die Steinzeit, um seine Macht zu behalten." Dieter Forte erinnert sich an eigene Ängste in Bombennächten: "Ein Friede sei nie so ungerecht, hat Erasmus von Rotterdam gesagt, daß er nicht dem gerechtesten Krieg vorzuziehen wäre." Ähnlich Martin Walser: "Eine Politik, die zu einem Krieg führt, muß eine ganz falsche Politik gewesen sein." Christoph Hein bekennt seine Ohnmacht, Dieter Wellershoff erkennt die Tragik der Lage: "Wer handelt, lädt Schuld auf sich; wer nicht handelt, auch." Als eine der "zehn Auffälligkeiten" dieses "seltsamen Krieges" nennt Enzensberger den "Streit mit überraschenden Fronten" und "seltsamen Bündnissen".

In der Tat hat es viele verblüffende Seitenwechsel gegeben. Es ist nicht mehr so einfach, Position zu beziehen, wie noch im Golfkrieg, als die Intellektuellen, bis auf wenige Ausnahmen, das militärische Eingreifen verurteilten. "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder Auschwitz" haben sich als unvereinbare Positionen erwiesen, und gerade ehemalige Friedensfreunde und linke Intellektuelle in Verwirrung und Gewissensnöte gestürzt. Walter Jens bleibt bei seinem Nein zum Krieg, Erich Loest hat "jeden Tag zwei andere Meinungen". Peter Schneider, Fred Breinersdorfer und andere halten inzwischen die Bomben für notwendig, Hans Christoph Buch plädiert vehement für Bodentruppen. Peter Rühmkorf macht seinem Zorn über die "Ruhmredner des Verrats" in einem Gedicht Luft: "Schausteller der eigenen Schande,/ die mit Treuebrüchen / wie mit Wertpapieren handeln."

Die Schriftsteller sind so ratlos und gespalten wie der Rest der Bevölkerung und zu klarer Wegweisung nicht in der Lage. Eine klare gemeinsame Linie ist kaum zu finden. Der PEN hat auf seiner Jahrestagung am 8. 5. 1999, nach einer Diskussion, die von der anwesenden Übersetzerin Alida Brema als "autistisch" bezeichnet wurde, eine sehr gemäßigte Resolution verabschiedet: "Den Krieg beenden, Frieden stiften." Ein Antrag ist beigefügt, der einerseits "die öffentlichen Erwartungen auf die Meinungen und Statements von europäischen Intellektuellen" dämpfen will - "Literatur und Dichtung sind nicht automatisch für die Vermittlung guter Absichten zuständig" -, zugleich aber eine internationale Arbeitsgruppe von unabhängigen Schriftstellern und Intellektuellen aus dem Balkan und ganz Europa für "ein Zukunftskonzept für ein friedliches Europa" vorsieht. (Der PEN-Vorsitzende Christoph Hein forderte darüber hinaus die Einstellung aller Unterhaltungssendungen im Fernsehen für die Dauer des Krieges.)

Vom Verband Deutscher Schriftsteller gibt es keine gemeinsame Erklärung. Allerdings bringt die Mai-Nummer von "Kunst & Kultur" "Stimmen des Hauptvorstandes und der Fachgruppen der IG Medien" unter der Überschrift "Gegen den Krieg in Jugoslawien". Auf S. 2 findet sich eine scharf formulierte Anklage gegen den Bundeskanzler wegen Verletzung des Völkerrechts und des Grundgesetzes, unterzeichnet von Wolfgang Beutin, Karlheinz Deschner und Hans Wollschläger. Je länger der Krieg dauert, desto deutlicher wird die Ablehnung artikuliert.

Die Feuilletons der deutschen Zeitungen lassen etliche Schriftsteller aus dem Ausland zu Wort kommen (besonders ausführlich die FAZ). Auch sie zeigen Widerspruch und Zerrissenheit. Es fällt auf, wie oft dem Andersdenkenden Nichtwissen vorgeworfen wird, obwohl heute jeder freien Zugang zu allen Medien hat. Auch im Informationszeitalter selektiert und wertet jeder Autor nach seiner Biographie und der Geschichte seines Landes.

Einige Beispiele aus den Balkan-Staaten: Nenad Popovic aus Zagreb, bei der Leipziger Buchmesse mit einem Preis für europäische Verständigung geehrt, wirft dem Westen vor, Montenegro an Milosevic auszuliefern. Der Lyriker Ali Podrinja nennt die westlichen Pazifisten "Nostalgiker des blutigen Friedens". Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakuli´c sieht zwei Tragödien in Serbien. "Die erste ist der Exodus der Albaner im Kosovo. Die andere Tragödie ist der Autismus des serbischen Volkes, seine Weigerung, sich der politischen, moralischen und geschichtlichen Verantwortung zu stellen." Der Albaner Ismail Kadaré klagt den serbischen Nationalismus an und die "Schmieren-Romantik" seiner "kriegerischen Geschichtsklitterung". Umgekehrt wehrt sich Dragan Veliki´c gegen eine Pauschalverurteilung aller Serben, und Alexander Tisma ordnet den Krieg ein in seine umfassend pessimistische Weltsicht.

Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, György Konrád, hat mit seiner Ablehnung des Nato-Krieges eine eigene Debatte ausgelöst. Als Ungar und ganz junges Mitglied der Nato möchte er nicht in einen Krieg hineingezogen werden, den er für nicht legitimiert hält. (Sein Ziel ist eine mitteleuropäische - im Gegensatz zur westeuropäischen - Lösung, die zusammen mit den Nachbarn auf dem Balkan gefunden werden muß.) "Menschen im Namen der Menschenrechte zu bombardieren ist ein Irrtum." Er vermutet, der Westen habe einen Bösewicht gebraucht, und hält Milosevic in einem Punkt schon für siegreich: "Es ist ihm gelungen, die Nato seinem satanischen Wesen ähnlich zu machen." (Im übrigen sei das Minimum, was von einem Schriftsteller erwartet werden könne, "gespalten und paradox zu sein".) In einer wütenden und ins Persönliche gehenden Replik wirft Peter Nádas dem Akademiepräsidenten eine "totalitäre Methode der Meinungsbildung" und "selbstbezogene Kleinkunst" vor.

"Der Krieg zerstört die Seele", sagt Slavenka Draculi´c. Er zerstört offenbar auch Freundschaften. Sein erstes Opfer aber, daran erinnern viele Autoren, ist die Wahrheit. Und, wie Handke ergänzt, die Sprache. Die Logik des Krieges, der Zwang zur Parteinahme führt zu Simplifizierung und Verfälschung. Inflationär werden Hitler- und Auschwitz-Vergleiche von beiden Seiten benutzt. Es wäre in dieser Zeit, so Reinhard Mohr im "Spiegel", eine Aufgabe für Intellektuelle, den "vertrackten wirklichen Verhältnissen eine Stimme" zu verleihen. "Nennt den Krieg Krieg - und nicht 'humanitäre Intervention'", fordert der VS Nordrhein Westfalen. "Hört auf mit den Lügen!"