"Ich liebe dich" - Emotionalität und Kitsch

Eine Warnung vor Claude Steiners Buch "Emotionale Kompetenz"

Von K. FranzRSS-Newsfeed neuer Artikel von K. Franz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literarischer Kitsch rührt aus der inflationären Verbreitung einer empfindsamen Gefühlskultur, die im 18. und noch im frühen 19. Jahrhundert durchaus Hochrangiges hervorbrachte. Daniel Golemans "Emotionale Intelligenz" scheint im psychologisch-therapeutischen Bereich ähnliche Folgen zu haben. Mit Golemans Buch hatte der Hanser Verlag einen seiner ganz großen Sachbuch-Erfolge der letzten Jahre. Das Niveau dieser wissenschaftsjournalistischen Prosa war weithin akzeptabel. Der Autor hat das Verdienst, emotionspsychologische Forschungen jüngeren Datums über die Fachgrenzen der Psychologie hinweg zu verbreiten. Literatur- und Kulturwissenschaftlern bietet das Buch eine Fülle von Anregungen.

Zwei Jahre später, 1997, erschien im selben Verlag das Buch "Emotionale Kompetenz". Der Begriff (emotional literacy) ist älter als der der "emotionalen Intelligenz" und vielleicht auch der angemessenere. Leser/innen von literaturkritik.de (vgl. insbes. Nr. 2/3 vom März 1999), die zu dem Thema weiterführende Informationen und Anregungen suchen, seien vor dem Buch dennoch ausdrücklich gewarnt. Die Warnung ist deshalb angebracht, weil man einen derartigen Psycho-Ratgeber-Kitsch Büchern aus dem Hanser Verlag nicht zutraut. "Öffnen Sie Ihr Herz. Im Kreise guter Freunde können Sie teilnehmen am Ausdruck gegenseitiger Zuneigung." Ratschläge dieser Art sind kennzeichnend für das Niveau des gesamten Buches. Es versteht sich als "Trainingsprogramm" zur Entfaltung emotionaler Kompetenz. Verfaßt hat es der Mitbegründer der "Transaktionsanalyse" Claude Steiner. Ein Wissenschaftsjournalist hat ihm geholfen.

Nicht nur die Emotionsforschung, nicht nur wichtiges Wissen über den alltäglichen Umgang mit Gefühlen, sondern auch der Feminismus wird durch das Buch diskreditiert. Gender-Stereotype, die Emotionalität mit Weiblichkeit eng assoziieren, schreibt es blindlings fort. Steiners Bekenntnis, er habe die Entfaltung eigener emotionaler Kompetenz der Beziehung zu einer Feministin zu verdanken, vermag jedenfalls für das Buch nicht einzunehmen: "Sie forderte von mir, meine Gefühle offenzulegen, sie mir selbst einzugestehen und zu sagen, was ich wirklich wollte; vor allem aber lernte ich bei ihr, aus vollem Herzen 'Ich liebe dich' zu sagen." Von weit höherer emotionaler Kompetenz oder Intelligenz zeugt da ein Fall, den ein anderer Autor des Hanser Verlages einmal durchspielte. Der schrieb von einem Mann, "der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann: 'Ich liebe dich inniglich', weil er weiß, daß sie weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon , sagen wir, von Liala geschrieben worden sind..."

Titelbild

Claude Steiner: Emotionale Kompetenz. Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck.
Carl Hanser Verlag, München 1997.
256 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3446191305

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