Kolumbus ohne Kompaß

Gabriella Hima auf dem Weg zur Anthropologie der neusachlichen Prosa

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich mit der literarischen Variante der Neuen Sachlichkeit zu befassen, ist nicht nur eine Aufgabe für LiteraturhistorikerInnen. Vielmehr handelt es sich um ein Thema höchster Aktualität. Tritt sie doch nach dem "Abflauen der Postmoderne" als "Neuere Sachlichkeit" deren Erbe an. Mit dieser en passant ins Vorwort eingeflochtenen Versicherung versucht Gabriella Hima das Interesse der LeserInnen an ihrem kürzlich erschienenen Buch "'Dunkle Archive der Seele' in hellen Gebärden des Körpers" zu wecken.

Vergleichende Analysen von Texten der deutschen AutorInnen Erich Kästner, Irmgard Keun und Joseph Roth, sowie des Ungarn Deszö Kosztolányi stehen im Zentrum der Untersuchung. Anhand ihrer will die Autorin den Nachweis führen, daß es sich bei der literarischen Strömung der Neuen Sachlichkeit nicht um ein rein deutsches Phänomen gehandelt hat. Das ist ihr gelungen, soweit es eben am Beispiel nur eines nicht dem deutschen Sprachraum zugehörigen Romanciers gelingen kann. Die Analyse des Menschenbildes der Neuen Sachlichkeit, die der Untertitel des Buches verspricht, und die eigentlich interessanter wäre, beschränkt sich hingegen auf die mageren zwanzig Seiten des Schlußkapitels. Die Behandlung von deren philosophischer Dimension gar gerade mal auf eine. Allzuviel hat Hima hierzu also nicht zu sagen. Und da sie nicht recht zu unterscheiden weiß zwischen Existentialismus und Lebensphilosophie, nimmt das nicht weiter Wunder. Kaum mehr Raum als die Abhandlung der philosophischen nimmt die der ethnologischen Anthropologie ein.

Bei ihrem Versuch der Erkundung der Anthropologie neusachlicher Prosa glaubt Hima, "wie Kolumbus" eine große Fahrt unternommen und wenn auch "vielleicht nicht Indien, aber Neuland" entdeckt zu haben. Sie irrt. Zwar hat sie mit ihrem Unterfangen nicht etwa Schiffbruch erlitten. Dazu konnte es gar nicht kommen. Dümpelt doch ihr Kahn hilflos in seichten, küstennahen Gewässern, kaum daß sie den Heimathafen ohne methodologischen Kompaß und den Sextanten fundierter anthropologischer Kenntnisse verlassen hat.

Gabriella Hima: "Dunkle Archive der Seele" in hellen Gebärden des Körpers. Die Anthropologie der neusachlichen Prosa.

Titelbild

Gabriella Hima: „Dunkle Archive der Seele“ in hellen Gebärden des Körpers: Die Anthropologie der neusachlichen Prosa.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
ca. 310, 45,50 EUR.
ISBN-10: 3631330154
ISBN-13: 9783631330159

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