Gab es in der DDR nichts zu lachen?

Die Witzkultur in der DDR als Beitrag zur Sprachkritik

Von Lars StrombachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lars Strombach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kennen Sie den? "Was ist der Unterschied zwischen einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und einem Lodenmantel? - Es gibt keinen. Beide haben kein Futter."

Oder: "Was macht ein DDR-Bürger, wenn er in der Wüste eine Schlange antrifft? - Er stellt sich an". Nach dem vorzüglichen Beitrag zur Sprachkritik in der Kleinen Reihe des Göttinger Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, in dem Christian Bergemann 1999 "Die Sprache der Stasi" untersucht hat, ist nun weiteres Sachbuch erschienen, das sich intensiv mit den sprachlichen Besonderheiten der DDR, des anderen deutschen Staates befasst. Jürgen Schiewe, Hochschuldozent für Germanische Philologie an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg sowie seine Frau Andrea, ihres Zeichens eigentlich Fachapothekerin für Offizin-Pharmazie, untersuchen die Besonderheiten, durch die ein DDR-Witz funktioniert und durch die er sich von anderen Witzen unterscheidet. Trotz seiner ernsthaften Wissenschaftlichkeit, seiner vielen Anmerkungen und umfangreichen Literaturliste ist das Buch ungewöhnlich unterhaltsam, da es eine Fülle von Beispielen enthält: Alltagswitze über Versorgungsmängel, über die Repräsentanten und die Staatsorgane, die Dummheit der Parteioberen von Walter Ulbricht über Erich Mielke bis hin zu Erich und Margot Honecker, über die allgegenwärtige Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst, die Zensur, die "Schere in den Köpfen" all jener, die offiziell etwas von sich gaben, aber auch über die Beziehungen zu anderen Völkern, besonders natürlich den Russen und den Polen, füllen das Buch von Andrea und Jürgen Schiewe, obwohl es beileibe nicht das erste ist, das sich mit der Thematik des DDR-Witzes beschäftigt. DDR-Witzesammlungen, erschienen freilich bei bundesdeutschen Verlagen, gab es schon zu Lebzeiten der seligen DDR.

Es gibt, glaubt man den beiden Autoren, drei verschiedene wissenschaftliche Ausgangspunkte, einen Witz zu interpretieren: Einen soziologischen, einen psychologischen und einen linguistischen. Die beiden Autoren wählten den linguistischen, ohne aber die anderen genannten Punkte außer Acht zu lassen.

Die Witzkultur der DDR zu untersuchen, erscheint um so zwingender, als die DDR ein Staat war, der offiziell gar keinen politischen Witz kannte. Jedenfalls keinen, der Kritik am System des Arbeiter- und Bauernstaates übte. Um so verwunderlicher erscheint für uns heute der humoristische Reichtum des Gebietes zwischen Rügen und Lausitz. Zumal die Deutschen weltweit ja nicht gerade für ihre humorvolle Art bekannt sind. Otto F. Best hatte noch 1985 ein Buch herausgegeben mit dem Titel: "Volk ohne Witz. Über ein deutsches Defizit". Und Jean Paul, der deutsche Dichter des frühen 19. Jahrhunderts, attestierte in seiner "Vorschule der Ästhetik" seinen Landsleuten deutscher Zunge zwar die "Anlage" zum Witz, nicht jedoch den "Geschmack" für den Witz. Eigentlich hätte man ohnehin denken können, die DDR-Bevölkerung hätte wenig zu lachen

gehabt. Doch Humor dient immer auch als Ventil, als Ausgleich für ungünstige Lebensverhältnisse. Schon Bertolt Brecht ließ Ziffel sagen: In einem Land leben, wo es keinen Humor gibt, ist unerträglich, aber noch unerträglicher ist es in einem Land, wo man Humor braucht." Der Volkswitz der DDR-Bevölkerung, der eine seiner Wurzeln im berlinerisch-preußischen politischen Humor und im sächsischen Sprachwitz hatte, blühte im östlichen Teil Deutschlands geradezu auf. Denn nicht erst seit der Gründung des anderen deutschen Staates 1949 galt: je bedrückender die Wirklichkeit, desto besser der politische Witz.

Ausführlich wird in dem kleinen Büchlein auch die Sprache des DDR-Witzes untersucht. Oft ist es eine bewusste Verwendung der offiziellen Parteisprache, die in ihrer besonderen Abwandlung komisch wirkt. Wolfgang Thierse, von Beruf eigentlich Germanist, schrieb dazu 1992 in seinem Vortrag "Sprich, damit ich Dich sehe": "Was das ,DDR-Deutsch' ausmacht, das Andersartige in publizierten Texten, oder auch in der Alltagskommunikation, sind nicht so sehr die Unterschiede in der Sprache, d. h. in den durch Grammatik und Wortschatz über Jahrhunderte hinweg bereit gestellten Ausdrucksmöglichkeiten, als vielmehr Unterschiede im Sprachgebrauch, d. h. in den durch Stil, Wortwahl, Frequenz sichtbar werdenden Ausdrucks-Festlegungen."

Das Buch ist nicht nur ein "Muss" für jeden interessierten Germanisten und Literaturwissenschaftler, sondern möglicherweise auch eine reiche Erinnerungs-Fundgrube für Bewohner der ehemaligen DDR. "Ostalgie" ist ja bekanntlich "in" im Moment. Andererseits ist das Buch auch goldrichtig für alle Leute, die einfach nur gerne lachen. Wenngleich manche Witze nur richtig funktionieren, wenn die Witz-Rezipienten wissen, wer mit "Spitzbart" gemeint ist, was ein Vopo ist, was am 13. August 1961 geschah und dass der erste deutsche Mensch im All nun mal nicht Ulf Merbold, sondern Sigmund Jähn hieß.

Titelbild

Andrea Schiewe / Jürgen Schiewe: Witzkultur in der DDR. Ein Beitrag zur Sprachkritik.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000.
122 Seiten, 13,20 EUR.
ISBN-10: 3525340257

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