Gesellschaftsanalyse als ästhetisches Konzept

Renate Hehr über Leben und Werk der Filmemacherin Margarethe von Trotta

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihre Figuren erscheinen als Opfer sozialer und persönlicher Zwänge, aus denen sie sich zu befreien suchen. Ihr unverrückbarer Glaube an eine menschliche und gerechte Gesellschaft fordert oftmals einen hohen Preis. Die Figuren scheitern, jedoch nicht ohne den Weg zu gesellschaftlichen Veränderungen gebahnt zu haben.

Die Art und Weise, wie Kritiker dem filmischen Schaffen Margarethe von Trottas begegnen, hängt nicht zuletzt von ihrer Haltung zur Studentenbewegung ab, von der die Filmemacherin ebenso wie von der Frauenbewegung der siebziger Jahre wesentliche Impulse für ihre Arbeit erhielt. Vielleicht war es die frühe Erfahrung des Außenseiterdaseins, die Margarethe von Trotta danach streben ließ, sich aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien und nach eigenen Wegen zu suchen. Und vielleicht hat die randständige Existenz, die sie lange Zeit führte, ihren analytischen Blick geschärft. Unehelich geboren und staatenlos war die gebürtige Berlinerin nach Kriegsende mit ihrer Mutter, einer adligen Baltin aus Moskau, nach Düsseldorf gekommen. Sie holte das Abitur nach, studierte in München und Paris Kunstgeschichte, Germanistik und Romanistik und knüpfte in der französischen Hauptstadt erste Kontakte zu Filmemachern. Noch während ihres Studiums besuchte sie in München die Schauspielschule und gab 1964 in Dinkelsbühl ihr Bühnendebüt. Es folgten Engagements in Stuttgart und in der Mainmetropole Frankfurt. Von 1967 an wirkte sie in Filmen und TV-Produktionen u. a. von Volker Schlöndorff ("Baal"), Rainer Werner Fassbinder ("Götter der Pest", "Warnung vor einer heiligen Nutte") und Herbert Achternbusch ("Die Atlantikschwimmer") mit. Und sie avancierte mit ihrem scheinbar distanzierten, dennoch aber emotional engagierten Spiel zu einer der bekanntesten Darstellerinnen des Neuen deutschen Films. Seit 1970 arbeitete sie an Drehbüchern von Volker Schlöndorff mit, den sie 1971 heiratete, und war 1975 an Buch und Regie der politisch brisanten Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" beteiligt, dem ersten großen Publikumserfolg des Neuen deutschen Films. 1976 schrieb Trotta eine Bühnenfassung der Erzählung, danach widmete sie sich fast ausschließlich der eigenen Regiearbeit. Bereits das erste eigenständige Werk, "Das zweite Erwachen der Christa Klages" (1978), lässt jene frauenspezifische Perspektive erkennen, die so bezeichnend werden sollte für Trottas filmischen Stil. Der Film, der von einer Erzieherin erzählt, die für ihren Kinderladen eine Bank überfällt, wurde mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet. Internationale Anerkennung gewann Margarethe von Trotta mit ihrem dritten, 1982 in Venedig, Valladolid, Chicago und Berlin ausgezeichneten Film "Die bleierne Zeit" (1981), in dem sie das Leben der Terroristin Gudrun Ensslin und ihrer Schwester Christiane erzählt. 1986 erhielt sie für ihr Filmporträt "Rosa Luxemburg" ein weiteres Mal den Bundesfilmpreis. In Italien entstanden 1990 die Dreiecksgeschichte "L'Africaine" und 1992/93 der Anti-Mafia-Film "Il lungo silencio". 1995 eröffnete ihr deutsches Trennungsdrama "Das Versprechen" die Berlinale.

Renate Hehr stellt Leben und Werk Margarethe von Trottas in einer ausführlichen Dokumentation vor. Dass dies in englischer Sprache geschieht, mag zwar befremden, trägt aber der internationalen Bedeutung der Filmemacherin Rechnung. Ehe Hehr sich Trottas Kino- und TV-Produktionen zuwendet, wirft sie einen Blick auf das politische und gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik und zeigt, inwieweit Motive, Inhalte und Personenkonstellationen von Trottas Filmen dadurch konditioniert werden. Dabei wird deutlich, dass Trotta ihre Arbeit sowohl als eine kritische Analyse der Gesellschaft als auch als einen Weg zur Selbsterfahrung betrachtet. Anstatt mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten des Films zu experimentieren, greift sie auf traditionelle filmische Erzählstrategien zurück. Dennoch unterscheiden sich ihre Filme kategorial vom Mainstream zeitgenössischer Produktionen.

Renate Hehr behandelt das filmische Schaffen Margarethe von Trottas wohltuend ideologiefrei und ohne einseitige Parteinahme für die Regisseurin, was angesichts des kritischen Potenzials ihrer Filme keine geringe Leistung ist. Damit wird sie dem Anspruch, den die Trotta an ihre Filme stellt, vollauf gerecht. Nämlich nicht maßgeschneiderte Lösungen für gesellschaftliche Missstände vorzugeben, sondern Analysefähigkeit und Problembewusstsein zu schaffen.

Titelbild

Renate Hehr: Margarethe von Trotta. Filmmaking as Liberation.
Edition Axel Menges, Fellbach 2000.
128 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3930698927

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