Ausbruch aus dem Groschenroman

Marlene Streeruwitz: "Lisa´s Liebe"

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Lisa´s Liebe" präsentiert sich als Groschenroman: drei Heftchen, vorne drauf ein frisches Mädel vorm Gebirge, dazu ein Edelweiß. Auch innen gibt es Fotos, Blümchen rahmen die Seitenzahlen ein. Jeder Abschnitt beginnt mit einem geschwungenen L für Lisa. Was aussieht wie eine witzige Marketing-Idee, ist ein höchst raffiniertes Spiel mit Leseerwartungen und literarischer Fiktion.

Die Wienerin Marlene Streeruwitz hat eine steile Karriere als Theaterautorin hinter sich. Ihr ebenso provozierenden wie verstörenden Stücke werden überall auf deutschen Bühnen gespielt. Letztes Jahr hat sie ihren begeistert aufgenommenen ersten Roman vorgelegt, "Verführungen", der durch seinen verwirrenden Untertitel - "3. Folge - Frauenjahre" - bereits auf Kioskliteratur anspielte. Und nun also "Lisa´s Liebe".

Zunächst erscheint Lisa erwartungsgemäß als naive Volksschullehrerin; der Arzt, in den sie sich verliebt, tritt schon auf der ersten Seite auf. In seiner Banalität wirkt das Ganze wie eine Parodie. Lisa teilt Dr. Adrian in einem Brief mit, daß sie sich in ihn verliebt hat, dazu ihre Urlaubsadresse. Dort sitzt sie dann zwei Heftchen lang, in Glosau im Gebirge, und wartet auf Antwort. Während sie wartet, erfahren wir Näheres über ihr Leben, die Familie, in der die Männer ganz selbstverständlich mehr gelten als die Frauen, und über Lisas Männergeschichten.

In Lisa ist der defensive Frauentyp der Helene aus den "Verführungen" noch konsequenter geformt. Die Sprache ist noch einfacher, noch ausdrucksloser geworden. Männern gegenüber ist Lisa vollkommen passiv, erfüllt ihre Wünsche, läßt sich ausnützen, ohne sich selber zu fragen, was sie will. Sie macht nichts aus ihrem Leben. Auf schwierige Situationen reagiert sie nur mit dem Körper - mit Hautausschlag oder Zahnfleischbluten. Abwechselnd hungert sie oder stopft sich mit Essen voll.

Im Laufe der Lektüre wird die Form des Groschenromans zum Bild für die Lähmung in der Durchschnittlichkeit, die Gefangenschaft im Klischee. Die Einfachheit der Sprache ist nicht mehr Ausdrucksmittel, sondern Fessel. In der Leere zwischen den Sätzen, im sprachlosen Bereich, entsteht eine Spannung, die nach Ausdruck schreit.

Ganz nebenbei wird mitgeteilt, daß Lisa an einem Fernlehrkurs für Schreiben teilnimmt. Die Texte, die sie dort einschickt, offenbaren eine ganz andere, viel sebstbewußtere Frau, die mit der eigenen Sprache ihr Innerstes auslotet. Ihre Sprache hat sich nun von der von Männern vorgegebenen und geprägten Wirklichkeit befreit. "Die Frau muß ein unverdrängtes stolzes Bild von sich entwerfen", so Marlene Streeruwitz durchaus feministisch in ihren Tübinger Poetikvorlesungen.

Mit diesen Texten ist bereits der Rahmen des Groschenromans gesprengt. Im letzten Heft unternimmt Lisa eine Reise nach New York, wo sie, fern von der gewohnten Umgebung, ihre Lebensweichen neu stellt. Am Ende fährt sie nicht nach Hause, sondern steigt in den Zug in Richtung der Niagara-Fälle.

Der Leser legt die Heftchen weg wie die Hülle, aus der Lisa sich befreit hat.

Auch die Fotos erscheinen zunächst wie eine Parodie auf klassische Urlaubsfotos. Sie zeigen undeutliche Schwarz-Weiß-Auschnitte immer der gleichen Glosauer Wiese; die Urlaubstage sind säuberlich durchdatiert, dazu Anmerkungen, ob der Briefträger an diesem Tag gekommen oder nicht gekommen ist. Es entsteht der Eindruck des Stillstands und lähmenden Wartens. Das Wesentliche ist nicht sichtbar, da es nicht ausgedrückt werden kann. Auch die Bilder von New York sind alle ähnlich: in den Himmel ragende Straßenschilder mit Pfeilen "One Way", die in der zwanghaften Aufzählung Aufforderungscharakter annehmen - hinauf, hinaus! Das letzte Bild ersetzt den Text; es zeigt Palmen in Santa Monica. Da muß Lisa dann wohl hingefahren sein.

Wie die Sprache erzeugen auch die Bilder durch die Reduktion auf das Banale eine Spannung, die nach Auflösung drängt. Mit diesem intelligenten, witzigen Spiel mit den Erwartungen der Leser hat Marlene Streeruwitz ihre Absicht, nämlich das Banale literaturfähig zu machen und damit eine eigene Poesie des Durchschnitts zu entwickeln, erfolgreich umgesetzt.

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Lisa`s Liebe. Roman in 3 Folgen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1997.
95, 95 und 78, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3518409034

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