Spannung mit Nebenwirkungen

John le Carrés Roman "Der ewige Gärtner"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Risiken und Nebenwirkungen, so wissen wir hinlänglich aus Funk- und Fernsehspots der Pharmaindustrie, soll uns die Packungsbeilage informieren. Doch bevor ein Medikament auf den Markt kommt, muss es getestet werden. Von illegalen Tests, menschenverachtenden Praktiken und tödlichen Nebenwirkungen handelt John le Carrés neuer Roman "Der ewige Gärtner". Die junge und attraktive Anwältin Tessa Quayle, die mit ihrem Mann Justin, einem biederen britischen Botschaftsangestellten, in Nairobi lebte, wird ermordet aufgefunden. Spurlos verschwunden ist der Mann, mit dem sie die letzten Stunden verbracht hatte: der Arzt Arnold Bluhm, mit dem sie nicht nur ein Geheimnis, sondern hin und wieder auch das Bett teilte. "Die Nachricht erschütterte das Britische Hochkommissariat. Sandy Woodrow empfing sie erhobenen Hauptes mit vorgerecktem Kinn, als wäre sie eine Gewehrkugel, die ihn mitten durch sein gespaltenes englisches Herz fuhr." Das klingt zwar arg pathetisch, aber jener Sandy hatte allen Grund zu dieser komischen Haltung. Einerseits hat er die ermordete Ehefrau seines Untergebenen latent begehrt, und zum anderen wusste er, dass sie zusammen mit dem verschwundenen Bluhm einen Riesenskandal aufgedeckt hatte. Woodrow selbst hatte das britische Außenministerium darüber informiert, dass mittellose Eingeborene von einem Pharmakonzern als Testpersonen für das TBC-Medikament Dypraxa missbraucht wurden und es in diesem Zusammenhang schon einige mysteriöse Todesfälle gab. Doch aus der Heimat erhält Woodrow keinerlei Feedback. Politik, Diplomatie und die Wirtschaft favorisieren indes eine Verschleierungstaktik. In den offiziellen Verlautbarungen wird der Mord an Tessa in eine private Sphäre verlagert und der Öffentlichkeit als Eifersuchtsdrama präsentiert.

Auch John le Carrés Roman wechselt zwischen öffentlicher und privater Ebene - zwischen den knallharten Fakten, die aus dem Mord resultieren, und einem mit viel Feingefühl entworfenen Beziehungsgeflecht. Die ermordete Tessa hat mindestens drei Männern den Kopf verdreht, und Woodrows Ehefrau Gloria entwickelt sich als leidenschaftliche Trösterin des Witwers Justin Quayle. Dieser mausgraue Quayle macht am Ende eine sonderbare innere Metamorphose durch. Der dienstbeflissene und obrigkeitshörige Justin, der zuvor lediglich als Hobbygärtner eine gewisse Leidenschaft zeigte, wird durch den gewaltsamen Tod seiner Frau wachgerüttelt und mutiert zu einem echten Kämpfer. Unübersehbar ist John le Carrés große Affinität zur Quayle-Figur, die eine Art Katharsis durchläuft und Tessas Aufklärungarbeit vollenden will. Wie dieses mutige Vorhaben endet, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Im Nachwort seines 18. Romans schreibt John le Carré: "Je tiefer ich in den pharmazeutischen Dschungel eindrang, desto klarer wurde mir, dass mein Roman, verglichen mit der Wirklichkeit, ungefähr so harmlos ist wie eine Urlaubspostkarte." Was so nicht stimmt, denn der Roman ist weder harmlos noch sollte man ihn an der Realität messen. John le Carré hat eine blutige Variante der Verstrickung von Politik und Wirtschaft in Szene gesetzt, von der wir inständig hoffen, dass sie niemals Realität wird. Schon die Vorstellung solcher Zusammenhänge, wie sie John le Carré in seinem Roman aufgezeigt hat, flößt Angst ein und sensibilisiert das Unrechtsbewusstsein des Lesers. Eine positive Nebenwirkung! Aus diesem Grund und für einige spannende Lektürestunden sollte man dem Autor dankbar sein.

Titelbild

John le Carré: Der ewige Gärtner. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Schmitz, Werner; Singelmann, Karsten.
List Verlag, München 2001.
558 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3471780785

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