Gemeinsam in der Fremde zuhause

Jürg Amanns Erzählung "Am Ufer des Flusses"

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Cousins, einer liegt im Sterben, der andere hat noch ein Stück Weg vor sich. Ihr Gespräch dreht sich um die Vergangenheit, die in die Gegenwart hereinscheint. Von Geburt an hatten sie den Fluss in ihrer Nähe und auch jetzt, wo es darum geht, Abschied zu nehmen, hören und sehen sie ihn unter dem Fenster fließen. Da war die Kindheit mit den Müttern, die aus Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal immer dicker wurden. Überhaupt die Blutsverwandtschaft, die man nicht einfach vergessen kann, die einem im Nacken hockt bis ans Ende. Sie sprechen alles an, ohne Scheu: das verpasste Leben, die kleine geglückte Minute, Gewinne und Verluste. Der eine, der bald sterben wird, ist "vom anderen Ufer", wie es so heißt, und woran er stirbt, ist die Krankheit des 20. Jahrhunderts. Er hat, wie der andere, irgendwann den Menschen gefunden, der alles durcheinander brachte und er hat ihn wieder verloren, wie der andere auf andere Art auch. "Ich wusste nicht, was schlimmer war, jemanden verlieren durch Tod oder jemanden durch das Leben verlieren."

Was Jürg Amann erzählt, klingt vertraut. Ähnliches haben andere vor ihm auch schon erzählt. Es ist die alte Geschichte von der Herkunft, die einem fast jede Art von Zukunft verwehrt, weil sie von einer starrsinnigen Anwesenheit ist. Aber diese Anwesenheit macht, dass davon zu erzählen bedeutet, endlich anzukommen bei sich, nicht mehr fliehen zu müssen in eine Fremde, die sich doch nur als Täuschung herausstellt.

Ein grimmiger, böser Text, durchzogen von jener zaghaften Hoffnung, die nur eine unerbittliche Suche nach der Wirklichkeit möglich macht. Hierin ist dieser Autor ein Meister. Es kommt nicht darauf an, zu entkommen, das gelingt nie und nimmer. Das was man hasst, anwesender und immer anwesender zu machen, erscheint als einzige Rettung.

Titelbild

Jürg Amann: Am Ufer des Flusses. Erzählung.
Haymon Verlag, Innsbruck 2001.
96 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-10: 3852183502

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