Die Sprache des Raumes und die Sprache des Comics
Der französische Comic-Star Lewis Trondheim
Von Christoph Schmitt-Maaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs fällt schwer, das Wort nicht in den Mund zu nehmen: Star. Denn als solcher muss sich der französische Comicmacher mit dem wohlklingenden Pseudonym Lewis Trondheim bezeichnen lassen. Gleichgültig, ob er das Mittelalter, das Fin de Siècle oder die Gegenwart als zeitlichen Hintergrund seiner Comics nimmt, ob er von seinem oder dem Leben einer Fliege erzählt: bei ihm gerät die Lektüre immer höchst unterhaltsam, er bleibt elegant und raffiniert. Und dabei ist Trondheim das unzweifelhaft produktivste Mitglied der französischen Indépendante-Künstlergruppe "L' Association".
Der Berliner Reprodukt-Verlag glänzt auch nach dem Fortgang seines Lektors und Programmchefs Dirk Rehm durch ein ausgefeiltes Programm. Die R-24-Reihe, noch zum Comicsalon 2000 in Erlangen etabliert, lehnt sich an das französische Format der "Patte de Mouche" an. Die Heftchen im A6-Format sind möglichst einfach gehalten und zählen je 24 Seiten. Hier findet sich ein kleines Experimentierfeld für jene Comiczeichner, die oft schon mit "großen" Alben hervorgetreten sind.
Mit "Intriganten" legt Trondheim ein R-24-Heftchen vor, das seinem Ruf als "Zwischenraumbesetzer" gerecht wird. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ist er in verschiedensten Verlagen präsent, bedient Mainstream- ebenso wie Underground-Richtungen. Zweierlei erprobt Trondheim in den "Intriganten": hier inszeniert er den Raum, und der Raum inszeniert sich als Bühne. Die immer gleichen Bilder eines Raumes - man beachte den Umschlag: ein als Schattenriss präsentes Publikum blickt zur Bühne - und seiner drei anthropomorphen Tier-Protagonisten werden in einem Wechselspiel von différance und Wiederholung ausgelotet. Die Gleichzeitigkeit von Raum und Zeit eröffnet einen neuen Dritten Raum (Homi Bhaba), der den Comic jenseits von Literatur und Grafik neu verhandelt: der Raum wird zum Gedächtnis der Zeichen.
Der Kern der Geschichte: Liebe, Verrat und Macht. Zwei Männer und eine Frau intrigieren gegen-, mit- und zwischeneinander. Trondheim lässt meucheln, wieder auferstehen und täuschen. Aber er bringt auf aberwitzige Weise seine drei Figuren immer wieder zusammen.
Der visuelle Minimalismus entlehnt seine klaren Linien dem Vater des franko-belgischen Comics, Hergé, ohne auf eigene Akzente zu verzichten: Punkt und Linie präsentieren sich als geometrische Bestimmung, die Physiognomie mutiert angesichts einer Handlung, die durch die Figuren geschieht. Das Moment der Wiederholung löst die tradierte Narration ab und hinterfragt Erzählschemata.
Ähnliche Konstruktionmodi prägen "Mehltau", die zweite, umfangreichere Veröffentlichung. Vom ersten Bild an beherrscht Gewalt das Geschehen: der unrechtmäßige König Mehltau unterdrückt das Volk. Bei einem Aufstand ersticht er den Anführer und will ein weiteres Exempel statuieren. Er greift sich den Nächststehenden, den Hasen. Dieser jedoch versucht eine verbale Konfliktbewältigung. Mehltau verfolgt ihn aber sengender- und meuchelnderweise. Währenddessen hat auch der rechtmäßige und gütige König den Thron wieder bestiegen, der nun Mehltau verfolgen lässt.
Das Moment des Innehaltens existiert in "Mehltau" nicht, die Lektüre entpuppt sich als visuelle Parforce-Jagd durch die Genrelandschaft des Mittelalters. In dieser Anti-Märchenwelt treten die Figuren als Zwangsneurotiker auf: der grundlos hasserfüllte Mehltau, die arrogante Prinzessin, der konfuse Magier.
Wie bei "Intriganten" der Raum, so übernimmt hier die Sprache die leitmotivische Funktion. Der Hase versucht anfänglich, Mehltau zu überreden; die Folterknechte beherrschen nur mehr eine substantivierte Sprache. Auch die Aufständischen werden von Mehltau sprachlos gemacht und ihrer Verantwortlichkeit beraubt. Damit wird die kollektive Verantwortlichkeit gegen einen subjektivistischen Heroismus ausgehandelt. Figuren scheinen nur noch Abbild ihrer Rolle zu sein und vorgegebene Verhaltensmuster zu imitieren.
Die Bildfolge ist schnell, scharf und schräg geschnitten. Ein und dieselbe Perspektive wird wiederholt ausgekostet, um sie in ihrer Distanz neu zu komponieren. Diese Überstilisierung bildet das Vokabular einer aus der Diegese erlösten Erzählung, die sich an der Momenthaftigkeit und der Gegenwart festmacht. Demnach ist Trondheim im besten Sinne modern, denn seine visuelle Welt ist zerstreut und vielgliedrig.
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