Vom Ende - auch der Bücher

Werner Fulds nachlässige Anthologie letzter Worte

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir wechseln die Fronten nicht sprachlos. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass der Mensch auf der Schwelle des Todes Wesentliches mitzuteilen habe. Als Oscar Wilde die beiden Ärzte erblickte, die sich zu einer letzten Visite über sein Sterbebett im Pariser Hotel "Alsace" beugten, konstatierte der völlig verarmte Dichter: "Ich sterbe, wie ich gelebt habe - über meine Verhältnisse." Pablo Picasso empfahl sich mit den Worten "Trinkt auf mein Wohl", der erblindete und ertaubte Jonathan Swift verschied "wie eine vergiftete Ratte in ihrem Loch". Und der zur Hypochondrie neigende Arthur Schopenhauer trat die Passage in das Reich der hieb- und stichfesten Schatten paradoxerweise nicht ohne einen Ausdruck jovialer Zufriedenheit auf den Lippen an: "Also, das haben wir gar nicht so schlecht gemacht."

"Man hätte gerne eine Sammlung der letzten Wort berühmter Männer." Hinter diesem Wunsch des Dichters und Diplomaten Châteaubriand steht die Erwartung, dass ein bedeutender Mensch sein Ende nicht ohne eine letzte Botschaft an die Nachwelt besiegelt. Der Tod als unsichtbarer Damm, an dem sich das gesamte Leben noch einmal aufstaut und verdichtet. Womöglich der rechte Zeitpunkt, um ein Resümee zu ziehen, einen Ratschlag oder eine letzte Weisung zu erteilen. Aus dem Hause Eichborn - nur echt mit der Eintagsfliege - kommt nun ein Buch, das innerhalb des Sortiments eine Vielzahl zweifelhafter Brüder und Schwestern sein Eigen nennt ("Lexikon merkwürdiger Todesarten", "Lexikon der Psycho-Irrtümer", "Lexikon der Fälschungen" usw.). Und das in seiner lieblosen Ausstattung den von Eichborn betriebenen Ausbau des Bereichs "Non Book" auf das Unerfreulichste unterstreicht.

Werner Fuld vergibt mit seinem "Lexikon der letzten Worte" die Chance, eine anspruchsvolle Anthologie von Abschiedsformeln vorzulegen, denen schon Montaigne eine besonders intime Beziehung zur Wahrheit nachrühmte: Im Angesicht des Todes lügt der Mensch nicht. In dem gerade einmal drei Seiten langen Vorwort erinnert Fuld an die seit dem 16. Jahrhundert existierenden Anweisungen zum seligen Sterben, in denen dem Moribunden die Pflicht auferlegt wird, die Welt nicht ohne zitatfähige Worte zu verlassen. Der durchgängige Verzicht auf Literatur- und Quellenangaben macht die so beglaubigte Autorität der "Last Words" aber gleich wieder zunichte - auch wenn es, wie der Autor durchaus überzeugend argumentiert, weniger auf die verbürgte Authentizität des jeweiligen Ausspruchs ankommt als auf die Vorstellung, wie wir einen Menschen im Gedächtnis behalten. Dann wenigstens eine Bibliografie zu den zahlreichen, im England des 19. Jahrhunderts in Mode gekommenen Sammlungen, die Einsichten in ein höchst interessantes Genre eröffnen könnten? Fehlanzeige.

Obgleich sich Fuld bemüht, in kurzen Texten die Lebens- oder Werkkontexte zu skizzieren, aus denen der letzte Ausspruch seine Evidenz und Aussagekraft bezieht, befindet er auch die Frage nach möglichen Ordnungskriterien offenbar keiner Aufmerksamkeit für wert. Was wissen wir über den Gemütszustand von Sterbenden? Sokrates (wie auch Raffael und viele andere fehlt er in Fulds Anthologie) beispielsweise hatte bei seinem forcierten Hingang deutlich bessere Laune als seine betrübten Schüler. Und Heinrich von Kleist zog in seliger Verzückung ("der herrlichste und wollüstigste aller Tode") die Pistole ab. Mit Humor oder bissiger Polemik quittierten Flatliner wie der Satiriker Alexander Pope ihr unmittelbar bevorstehendes Abscheiden, andere besprachen die nicht länger aufgeschobene Verweildauer mit wohlwollendem Einvernehmen: "Es ist Zeit, zur Ruhe zu gehen." (Jean Paul)

Titelbild

Werner Fuld: Lexikon der letzten Worte. Letzte Botschaften berühmter Männer und Frauen von Konrad Adenauer bis Emilio Zapata.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
217 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 382181618X

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