Diese Nasen!

Acht Exzentriker-Porträts von Lytton Strachey

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Briten sind ein langweiliges Völkchen, essen ungekochte Erbsen, trinken dünnblütigen Tee, tragen kratzigen Tweed und lieben ihren Garten. Durch die Jahrhunderte hat es jedoch immer wieder Männer und Frauen gegeben, die aus dieser kultivierten Langeweile ausgebrochen sind - und zwar richtig. Vorzüglich waren das wilde Künstler, autodidaktische Wissenschaftler und verzogene Nichtstuer aus der gehobenen Gesellschaft. Konnten sie ihre überschüssige Energie an Inspiration oder Verstand nicht in die gesellschaftlich sanktionierten Bahnen lenken, fielen die Herrschaften vor allem durch eines auf: ihr exzentrisches Gebaren. So sind mit der Zeit nicht nur die absurdesten Erfindungen, wortreichsten Theorien und wunderlichsten Dichtungen entstanden, sondern auch ein schier unerschöpflicher Anekdotenschatz, der jeden gepflegten small talk auf der Insel bereichert.

Und die liebste Beschäftigung aller Exzentriker ist natürlich die Beschäftigung mit anderen Exzentrikern. So wundert es nicht, dass der Schriftsteller Lytton Strachey (1880-1932), selbst ein veritabler Vertreter dieser Spezies und Mitglied der Bloomsbury Group, einem künstlerisch-politischen Exzentriker-Kreis par excellence, nicht genug von seinen buntgefiederten Zeitgenossen bekommen konnte und auch noch historische Persönlichkeiten der E-Klasse porträtierte. Acht dieser Exzentriker-Skizzen hat jetzt der Wagenbach Verlag versammelt, passenderweise in einem seiner Salto-Büchlein in Extravaganza-Rot, versehen mit schwarz-weißen, grobgerasterten Konterfeis der Porträtierten.

Und was für eine Runde ist da zusammengekommen! Schon die Pracht der charakterisierten Nasen spricht der britischen Profillosigkeit Hohn. So läßt sich an der Nase der Lady Hester Stanhope, einem Spross des Pitt-Clans, ihr ganzes Schicksal ablesen: "Lady Hesters Nase war voll wildem Ehrgeiz und aberwitzig gewordenem Stolz. Es war eine Nase, die die Erde verachtete und auf das ewige Himmelreich der Exzentriker zielte. Kurzum, es war eine Nase, die ganz und gar in der Luft schwebte." Die 1776 geborene Aristokratin mausert sich von der streitbaren Londoner Society-Lady zur hosentragenden Wahl-Araberin, die sich schließlich mit Katzen und diebischem Gesinde in den libanesischen Bergen verschanzt, nachts heulend und schreiend durch das ehemalige Kloster rennt und tags redet, redet, redet. "Das Ende kam im Juni 1839. Ihre Diener setzten sich sogleich in Besitz aller beweglichen Habe im Hause. Aber Lady Hester konnte es egal sein: Sie lag rücklings im Bett - unerklärlich, großartig, aberwitzig, mit der Nase in der Luft."

Stracheys Kurz-Biographien sind nicht nur unterhaltsam erzählt. Mit klugem Blick wählt er genau die Begebenheiten aus, die von der problematischen Individualität der Porträtierten sprechen. Angesichts der oft tragisch endenden Volten des Schicksals wird er weder sentimental noch nostalgisch. Sein Ton ist immer geistreich, manchmal ironisch, manchmal leicht melancholisch, wenn er die verschwendeten Talente bedauert. Geradezu unheimlich ist sein scharfsinniges Gespür für schicksalhafte Widersprüche im Gebaren von Personen, die in der Geschichte verlorengegangen sind - wie Sir John Harrington. Der übermütige, "ergötzliche" elisabethanische Höfling gewinnt mit einer schlüpfrigen Übersetzung von Ariosts "Orlando furioso" die Gunst ihrer Majestät, erfindet postwendend das Wasserklosett, um dann eben wegen jenes charmanten Dilletantismus bei Elisabeth in Ungnade zu fallen. Fortan sind seine "liederlichen Scherze" am Hof nicht länger erwünscht.

Weitere bemerkenswerte Insulaner in der vorliegenden Sammlung sind der obskure Religionsstifter Muggleton aus dem 17. Jahrhundert, David Hume, der Geschichtswissenschaftler Edward Gibbon und der viktorianische Titan Thomas Carlyle. Dessen Lebensbild gerät zur bitteren, zeitkritischen Karikatur. Strachey stellt Carlyle, den "schottischen Bauern", als ehrfurchtgebietendes, aber moralinsaures Genie dar, das sich an der Mittelmäßigkeit seiner eigenen Landsleute den Kopf einrennt. Woher die ätzende Kritik kommt, ist klar: nachsichtige Sympathie und ironische Distanz des Biographen sind die Voraussetzungen für ein gelungenes Porträt; und diese Sympathie für den schwerblütigen, überbegabten Viktorianer Carlyle geht dem feinsinnigen Modernen Strachey völlig ab. "Die Wahrheit ist, dass zu viel Genie fast so verhängnisvoll ist wie zu wenig."

Titelbild

Lytton Strachey: Das Leben, ein Irrtum. Acht Exzentriker.
Übersetzt aus dem Englischen von Robin Cackett.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999.
96 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3803111862

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