Das Leben ist wie eine Pizza

Über Susanne Fischers ersten Solo- Roman "Gefälschte Eltern"

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Du bestehst nur aus Chaos und Krisen." lautet die Diagnose ihrer Freundin Francesca, als Marianne Petersen zunächst ihren Freund samt dazugehöriger Wohnung verliert und schließlich auch noch ihren Job bei der "Correcta", wo sie Hamburger Telefonbücher korrigiert. Francesca quartiert ihre obdachlose Freundin daraufhin bei ihrem Onkel Enzo ein, der gerade in Familienangelegenheiten in Kalabrien weilt. Hier soll Marianne wieder Ordnung in ihr Leben bringen. Francescas eigenes Leben verläuft unterdessen nicht weniger chaotisch: Bereits als Kind versuchte die Tochter unfähiger Pizzabäcker mit einem Küchenmesser ihren Onkel Enzo umzubringen, obwohl dieser ihrer Meinung nach gar nicht ihr richtiger Onkel ist. Genauso wie ihre Eltern in Wirklichkeit gar nicht ihre richtigen Eltern sind. Während Francesca versucht, ihre wahre Herkunft herauszufinden, macht sich Marianne allerlei Gedanken um das Leben anderer Leute: So sorgt sie sich beispielsweise um das Schicksal Grete Pawlacks, die eine "Karriere als unglücklicher Mensch" verfolgt und freiwillig aus dem Telefonbuch schied. Sie hört sich die Geschichte von Onkel Radio, dem Wirt des "zweiten Wohnzimmers", und seinen Bratkartoffeln an und beschäftigt sich mit den Ansichten und altklugen Lebensweisheiten der Kriegerwitwen im Barmbecker Tchibostehcafé. Nicht zuletzt trifft sie auf Xaver, der die alphabetische Neuordnung der Hamburger Bevölkerung fordert. Marianne denkt über die Ehe ihres ehemaligen Chefs, über die Probleme von Talkshowgästen, über Karstadtverkäuferinnen und die Mafia nach, aber nur selten über sich selbst. In ihrer Phantasie verstricken sich die Geschehnisse miteinander. Da ihr eigenes Leben ihr wenig Aufregung bietet, bildet sie sich vielerlei skurrile, teilweise absurde Geschichten ein: So stellt sie sich z.B. vor, daß ihre Eltern in einem Möbelgeschäft wohnen, um dort Sessel und Küchentische zu betreuen. Marianne kompensiert ihre innere Leere und Unsicherheit, indem sie sich mit ihrer Umwelt befaßt. Sie beobachtet häufig andere Menschen auf der Straße und malt sich deren Alltag aus. In ihrer Phantasie durchlaufen die Figuren des Romans immer neue Konstellationen und Schicksale: Mal trifft ihr alter Psychologe vom Arbeitsamt auf Frau Pawlack, mal glaubt Marianne in einer hysterischen Talkshowteilnehmerin ihre Lieblingsverkäuferin bei Karstadt zu entdecken und mal bildet sie sich ein, daß Xaver in einen Wohnwagen umgezogen ist, um an seiner alphabetisch festgelegten Planstelle in der Stadt wohnen zu können. Somit wird jede Person, der Marianne begegnet in eine mehr oder weniger verrückte Geschichte eingeflochten. Indem Versatzstücke der Realität aus ihrem Kontext herausgenommen und neu zusammengefügt werden, wird die Wirklichkeit auf eine fast schon surreale, traumhafte Ebene gehoben.

Das wilde Durcheinander in Mariannes Gedankenwelt entspricht ihren ungeordneten äußeren Verhältnissen: Ohne Arbeit und Wohnung verbringt sie ihre Zeit damit, in Kneipen herumzusitzen, im Barmbecker Tchibostehcafé Kaffee zu trinken und in Enzos Wohnung fernzusehen. Trotz dieses traurigen, langweiligen und scheinbar leeren Daseins wirkt Marianne meistens sorglos, manchmal aber auch nachdenklich. So arm, wie der Roman an äußerer Handlung ist, so reich ist er an Witz und absurden Assoziationen. Marianne leitet häufig aus ganz alltäglichen Begebenheiten übertrieben große Lebensweisheiten ab und mißt Kleinigkeiten überzogen hohe Bedeutungen zu. Womöglich sieht sie sich einer Welt gegenüber, die immer oberflächlicher, kälter und inhaltsloser wird, in der es keine festen Werte und Leitfiguren mehr gibt, so daß sie ihre Hoffnungen und Befürchtungen nur noch einem "Bauchschmerzenmännchen", das für Arzneimittel wirbt, anvertrauen kann. Dennoch handelt es sich bei "Gefälschte Eltern" keineswegs um ein trübsinniges Buch: Anschaulich, ironisch und trocken humorvoll schildert Marianne, die Erzählerin, die Eigenheiten anderer Leute. Zeitweilig scheint sie völlig dem Alltag entrückt zu sein und beobachtet ihr Umfeld aus der Perspektive einer Fremden. Während andere sich in ihrer Lage vielleicht Gedanken um ihre eigene Zukunft machen würden, gilt Mariannes Augenmerk allein der Lebenswelt anderer, die (nur) scheinbar genau wissen, was sie von sich und ihrem Leben erwarten. Die Protagonistin selbst verfügt dagegen weder über konkrete Zukunftspläne noch über ein realistisches Ziel. Mit verklärter Sinnsuche und weltfremdem Psychologengeschwätz kann sie nichts anfangen, ihre Gedanken kreisen dazu viel zu sehr um Pizza, dekorative Raumteiler und das nächtliche Fernsehprogramm.

Susanne Fischer portraitiert in ihrem Roman eine Frau, die recht orientierungslos, aber dennoch sorglos in ihre Zukunft blickt und gleichzeitig keinerlei Anstalten macht, an ihrem Leben etwas zu ändern, ja sie macht sich noch nicht einmal ernsthaft Gedanken darüber, wovon und wo sie demnächst leben will. Marianne stellt sich die Lebensentwürfe anderer häufig ebenso absurd vor, wie sie ihr eigenes Leben empfindet.

Mit trockenem Humor begegnet die Protagonistin den Verheißungen von Werbestrategen und Fernsehmoderatoren. Die Figuren des Romans erinnern in ihrer Sprache manchmal an Talkshowgäste oder Gestalten aus amerikanischen Daily- Soaps, deren Dialoge häufig sehr gekünstelt, umständlich und pathetisch klingen. Susanne Fischer karikiert hier die scheinbar heile Welt der Medien, in denen eine verwirrte Arbeitslose wie Marianne sicherlich keinen Platz hätte. Marianne ist keiner der jungen, dynamischen Erfolgsmenschen, zu dem sie Psychologen in Orientierungsveranstaltungen gern machen wollen.

Bei "Gefälschte Eltern" von Susanne Fischer handelt es sich um einen sehr witzigen, teilweise zynischen Roman, in dem die "taz"- Kolumnistin die bunte Konsum- und Werbewelt auf freche Weise mit der Realität vergleicht. Mit staubtrockenem, manchmal bitterbösem Humor schildert Fischer betuliche Psychologen, tierliebe Kriegerwitwen und unfähige Pizzabäcker. Sie deckt die Kuriositäten des Alltags auf, spielt mit den gängigen Klischees und hält der augenscheinlichen Normalität einen (Zerr-) Spiegel vor. Dieses Buch eignet sich vor allem für Freunde ungewöhnlicher Erzählformen, die bereit sind, sich auf Neues einzulassen.

Titelbild

Susanne Fischer: Gefälschte Eltern.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1998.
255 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3251004026

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