Von der Ehe und anderen Todesarten

Yasmin Hoffmann zur Sprach- und Kulturkritik in Elfriede Jelineks literarischen Werken

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Yasmin Hoffmann hat der von männlichen Literaturkritikern als "Schreckensfrau" gleichermaßen geschmähten wie gefürchteten österreichischen Literatin Elfriede Jelinek eine Untersuchung gewidmet, deren Augenmerk sich insbesondere auf die Sprach- und Kulturkritik des erzählerischen Werks richtet. Die leidenschaftliche Polemik, die nicht nur von männlichen Jelinek-Rezipienten gerne gepflegt wird, teilt die an der Universität Orléans lehrende Autorin allerdings nicht. Vielmehr zeigt sie in einer ausführlichen Kritik der Kritik, dass deren bissiger und feindseliger Ton geradezu als "Indikator für die heutige Toleranzschwelle" gegenüber von Frauen verfasster Literatur dienen kann. Gegen eine Literaturkritik, die die "erzählende Distanz" Jelineks als "intendierte Boshaftigkeit" ausgelegt und zum textkonstituierenden Element einer "Ästhetik des Bösen" erhebt, zeigt die Autorin anhand der Werke "Die Ausgesperrten", "Die Liebhaberinnen", "Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr", "Wolken.Heim" und "Die Klavierspielerin", dass in Jelineks Texten "kein fester Standpunkt" feststellbar ist, wie etwa der eines "objektiven oder subjektiven Berichterstatters". Jelineks Sprache vergegenwärtigt also "nichts Einheitliches", sondern vielmehr ein Geflecht von Vorurteilen, Sehnsüchten, Verhaltensmustern und Lebensformen. Ähnlich wie Bernhard "pervertier[t]" die österreichische Literatin "explizite Autoritäten" wie Berichterstatter, Erzähler, und Autor. Am Beispiel der Figur Erich aus "Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr" macht Hoffmann deutlich, dass literarische Namen von Jelinek als "erzählerische Alibis" benutzt werden. Den Namen Erich interpretiert Hoffmann als "Täuschung", da er von Jelinek nicht als "Eigenname" benutzt werde. Die Person Erich werde vielmehr zur "Spielfigur", zu einem "Wortspiel". Identität werde zu einem Spiel mit Zeichen und das Ich zur "Chimäre". Einen weiterer "Kunstgriff" macht Hoffman im sprunghaften Wechsel zwischen der ersten und der dritten Person aus. Erstaunlicherweise entgeht ihr, dass sich diese Ambiguität im Namen Erich abspiegelt. Und dies obgleich sie an anderer Stelle hervorhebt, dass Jelineks Figuren redende Namen haben, und dies an dem etwas weniger überzeugenden Beispiel von Erika, aus der "Klavierspielerin" illustriert, deren Name auf ihr pflanzenhaftes Dasein verweise.

Doch arbeitet Jelinek nicht nur mit der Verwirrung der Erzählinstanzen, sondern sie spielt, wie Hoffmann zeigt, überhaupt "mit sämtlichen Sprachregistern". So werden die Lesenden etwa von einem Satz zum anderen, ja selbst innerhalb von Sätzen ohne jegliche Vorwarnung in eine andere Perspektive versetzt. Es gehört zu Jelineks bevorzugter Strategie, hierbei das "Element des Monströsen" ans Ende des betreffenden Satzes zu platzieren, wie etwa in den "Liebhaberinnen", wenn es heißt: "oft heiraten diese frauen oder sie gehen sonst wie zugrunde". An dieser kurzen Passage wird nicht nur Jelineks Sprachspiel deutlich, sondern auch, dass es nie Selbstzweck, 'l'art pour l'art', ist, sondern dass "das Soziale" stets das Primäre bleibt, der Zweck, zu dem das Sprachspiel Mittel ist. Dabei arbeiten Jelineks Texte ebenso gegen die "Verabsolutierung und Fetischisierung" von Werten wie gegen "Endgültigkeit", da jede Aussage augenblicklich auf höhnische, tragische oder komische Weise ins Gegenteil umschlagen kann. Daher wird auch "der Platz der Utopie" in Jelineks Werken nicht besetzt. "Hoffnung auf Wandelbarkeit" der Verhältnisse - der persönlichen, ebenso wie der Geschlechter- oder der gesellschaftlichen Verhältnisse -, so betont Hoffmann, sucht man bei der österreichischen Autorin vergeblich. Doch stellt sie dafür "um so radikaler" die "lügenhafte[...] Struktur der Banalität des gesellschaftlich sanktionierten Leidens" dar. So ist in ihrem literarischen Werken insbesondere das Leben der Frauen "weder ein Traum, noch ein Alptraum", sondern "kühles dem Tode Entgegenstreben". Hochzeit und Ehe sind "Allegorien des Todes", die man in Anlehnung an Bachmann "in die Reihe der 'Todesarten' einordnen" kann.

Eine "Schreckensfrau", so lässt sich mit der Autorin festhalten, ist Jelinek allerdings nur in dem alles andere als negativ gemeinten Sinn, dass sie fähig ist, "dem abgestumpften Konsumenten die Bereitschaft zum Erschrecken zurückzugeben".

Titelbild

Yasmin Hoffmann: Elfriede Jelinek. Sprach- und Kulturkritik im Erzählwerk.
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 1999.
225 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3531132687

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