Lebens-Art-Mann

h. c. artmann in Gesprächen mit Kurt Hofmann

Von Pia-Elisabeth LeuschnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pia-Elisabeth Leuschner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"ich bin [...] ein anzen banzen tanzengruber der modernen mundartlichen literatur [...] ein schwindler aus überschwang ein schwunghafter becherschwenker ein schwankhafter schänkeschwätzer" (Aus "Nachrichten aus Nord und Süd", 1978)

'Jedem literarisch Interessierten uneingeschränkt zu empfehlen' - mehr möchte man über dieses Buch eigentlich gar nicht sagen.

Kurt Hofmann, Redakteur beim ORF, hat diesen Band seit den 80er Jahren ,erträumt' und aus einem Rohmanuskript von mehreren tausend Seiten zusammengestellt. Das Ergebnis ist eine außergewöhnlich kluge Auslese aus Gesprächen mit dem Dichter, ein autobiographisches Zeugnis mit dem zündenden Zauber der Mündlichkeit. Schierer unverblümter Artmann über Artmann: "Auskunft geben über mich bereitet mir Übelkeit und Schmerzen. [...] Diese Selbst-zur-Schau-Stellung, wie auf einer Schlachtbank. [...] Und wer da alles mit dem Messer auf dich zugeht, mit einem stumpfen, damit es ja weh tut [...] und die Leute begeilen sich daran. Da kann man sich ja nur übergeben. [...] Es gibt natürlich Leute, die sagen, egal was der große H. C. macht, das ist was - aber das sind die Senilen." "Ich bin im Grunde saunormal"; "ich leb' vom Essen und Trinken. [...] Von den Büchern selbst, das wär' sehr schwer. Lesungen, Übersetzungen, und dann kriegt man wieder einen Preis und kann seine Schulden bezahlen." "Eigentlich sind so Ehrungen schrecklich. [...] Wenn Ehrungen und Feiern einen Sinn haben, dann den, dass es meist ein gutes Buffet gibt und, was wichtiger ist, Freunde sind da [...] Ich liebe Feste, aber ich verabscheue diese Pseudo-Society des Pen-Clubs."

Nach einem Kapitel allgemeinerer Selbsteinschätzung beginnt dann die Lebenserzählung: "Ich bin am 12. Juni 1921 in St. Achatz am Walde, einem Waldgeviert im Waldviertel geboren, und die Leute zerbrechen sich den Kopf, wo St. Achatz denn läge, und dann heißt es, das gibt es gar nicht. Wenn ich das sage, dann gibt's das [...]" Im Waldviertel-Ort 'bradnsee' (Breitensee) wächst Artmann zwischen Tschechisch, Ungarisch und Deutsch dreisprachig auf; sein Vater ist Schuhmachermeister und in dessen Werkstatt lauscht der Junge fasziniert dem Fabulieren der 'mährischen Gesellen', den Casanovageschichten des Hausmeisters und dem 'jüdischen Schmäh eines gewissen Fischl, genannt der Rattenjud'. Er liest Tom-Shark-Groschenheftchen und - Grammatiken entlegener Sprachen. "Völlig verrückte Sprachen. Assyrisch habe ich mit vierzehn angefangen, und Malaiisch..." Insgesamt 26 Sprachen wird Artmann auf diese Weise lesen bzw. sprechen lernen, darunter Chaldäisch, Kymrisch, Suaheli, Urdu, Xuatl, und aus acht Sprachen nachdichtend übersetzen: etwa ins Wienerische - literarisch radikaldemokratisch - Balladen von François Villon oder Kleists "Zerbrochenen Krug" ebenso wie "Asterix".

Die dramatischsten Ereignisse seines Lebens schildert H. C. mit sympathischer Pathosscheu, etwa den Tod seines erst 18-jährigen Bruders im Krieg und seine eigene Einberufung und Verwundung: "dann rief ich sani du trottel hilf mir aus der scheiße und der sani ein oststeirer namens rindshaupt schrie von hinten sehr diphthongisch zu du troutl wous bis denn so wait viri", "Bein durchschossen, Kriegsversehrter zu 55 Prozent." Dann seine Desertion, diverse Gefängnisaufenthalte und Zwangsarbeit, eine Verurteilung zum Tod, immer neue abenteuerliche Fluchten.

In der Nachkriegszeit findet sich Artmann in dem Wiener Vorort Mödling mit gleichgesinnten jungen Intellektuellen zusammen, mit Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner, Oswald Wiener und Konrad Bayer. Gemeinsam lesen die Freunde, die später - gegen Artmanns Willen - als sogenannte ,Wiener Gruppe' rubriziert werden, gierig die vorher verbotene Literatur der Expressionisten und einander eigene Texte vor; sie veranstalten surrealistische Aktionskunst: zweckfreie "poetische acte", "macabre feste" und "imaginäre hinrichtungen". Artmann selbst gelingt in dieser Zeit der publizistische Durchbruch - "med ana schwoazzn dintn", Gedichten im Wiener Dialekt. Alles andere freilich als harmloser Wiener Schmäh, schließen diese, von Jacques Prévert und Garcia Lorca inspiriert, "eine Ehe zwischen Surrealismus und Wiener Vorstadt" und zeugen schwarzhumorige Tabubrüche als Wechselbälger.

Nach diesem Erfolg führt Artmann seine Schriftstellerlaufbahn mit einer fast zwanghaften formalen Experimentierfreude fort: "Mir geht es [...] verdammt noch mal um das stete Experiment [...], ansonsten könnte ich gleich zur Polizei gehen und Strafzettel schreiben. Wenn ich etwas geschrieben habe [...] und das Experiment ist da, [...] dann möchte ich mich nicht wiederholen. Das wäre essen, kotzen und die Kotze wieder aufessen." Dem literarischen Wagemut entspricht der unbändige Lebenshunger des Dichters, immer wieder wechseln seine Wohnorte und die Frauen an seiner Seite: "Ich bin halt ein Squaw-Man, ein Ladys-Man. Ich brauche die Frauen." "Ich bin zum dritten Mal verheiratet und habe fünf Kinder mit fünf verschiedenen Frauen. Ich bin ja kein Brutalist, dass ich einer zwei anhänge. Drei Kinder sind mir 'passiert', und zwei [...], die wollt ich." Erst mit der dritten Frau, Rosa Pock-Artmann, und der geliebten Tochter Emily sediert sich Artmanns Leben zu einer Art bürgerlicher Normalität. Er ist arriviert, Träger des großen Österreichischen Staatspreises (den er angeblich nur annahm, weil ihn sonst ein 'vollkommener Idiot' erhalten hätte), doch bleibt seine Aufsässigkeit gegen das Establishment ungebrochen; genüsslich erzählt er von zahlreichen Zusammenstößen mit der Polizei: "na ja, Störung der Ordnung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, nichts Unehrenhaftes. [...] als unabhängiger Mensch kann man sich doch nicht von diesen Lümmeln irgendwie beflegeln lassen und von den Flegeln belümmeln lassen. Seit ich mehr [...] Auszeichnungen als Polizeistrafen habe, gehen sie mir aus dem Weg." Als Lyriker aber weiß er: "mit einem Gedicht kann man ohnehin nichts bewirken. [...] Sonst hätte ich den Golfkrieg verhindert oder den Krieg in Jugoslawien oder so etwas."

Mit den letzten Kapiteln mündet das Buch in die Gegenwart und berührt durch lapidare Aufrichtigkeit in bezug auf Alter und Tod: "Mich stört das schon sehr, dass ich schon 80 bin. [...] Schreib's irgendwo hin, 80 Jahre, da fällt dir ja die Hand ab. [...] Ich war im Krankenhaus, wiege nur noch siebenundvierzig Kilo bei einer Größe von einssechsundachtzig. [...] Hör mir auf. Menschen zurücklassen. Sterben. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich hab´ Angst davor. Nicht mich betreffend, aber andere. [...] Was soll ich machen, ich steck´ den Kopf in den Sand. Wenn ich mich mit dem Tod beschäftige, dann [...] bin ich gestorben und bekomm´ den schlimmsten Abschluß, ein Ehrengrab."

Kurt Hofmann hat diese Lebensschilderung vielfach glücklich ergänzt: zum einen durch repräsentative Ausschnitte aus Artmanns Werken (die allerdings, nach Art einer Radiosendung aus dem Zusammenhang gerissen und 'eingeschnitten', oft den Wunsch nach dem ja niemals wirklich langen Gesamttext wecken, etwa bei der "hochzeit caspars mit gelsomina" oder "Dracula, Dracula"). Auch das beigegebene Nachwort, die Rede "Zum Tod von h. c." von Artmanns langjährigem Freund und Lektor Klaus Reichert, setzt noch einmal den Akzent der Mündlichkeit fort (anders als etwa es einer der theoretischeren Essay Reicherts getan hätte, die er als Herausgeber der drei Bände Artmannscher Prosa "Grammatik der Rosen", 1979, oder dessen 10-bändiger Werkausgabe, 1994, verfasst hat). Veranschaulicht wird die Lebensplauderei zudem mit seltenen Photos von H. C. und ergänzt durch einen Apparat von Indices, der über Autor und Oeuvre informiert, sowie durch ein Verzeichnis von Wiener Dialektwörtern. Zwei 'Schmankerl' runden den Band zu einem gelungenen ästhetischen Gesamterlebnis ab: eine Postkarte, die H. C. in einer Photoparodie auf Spitzwegs 'Armen Poeten' zeigt und umseitig charakteristisch kommentiert: "was dem einen sein blatt fürs poem / ist dem andern sein wisch für den po" und eine CD mit einer Auswahl von ORF-Aufnahmen des Dichters, die ihn als hinreißend proteischen Rezitator seiner eigenen Werke erleben lassen (nur Auszüge aus den beim ORF gleichfalls verfügbaren "Nachrichten aus Nord und Süd" vermisst man). Nimmt man endlich die ansprechende Schrifttype Gill sans hinzu, die trotz regulärer Großschreibung Artmanns Ansicht Rechnung zu tragen sucht - "Deutsch hat zu viele Oberlängen, kaum Unterlängen. Deshalb schreibe ich alles klein, das Schriftbild wird dadurch besser, ästhetischer" - bleibt einem am Ende des Buches nur ein Wunsch: dass das Lesevergnügen dieser 200 Seiten nicht so im Flug vergangen sein möchte.

PS: Wer mehr von Artmann hören möchte, dem seien die drei 1998 erschienenen CDs des ORF mit insgesamt über drei Stunden Spielzeit und einem ausführlichen Interview Artmanns mit Peter Huemer empfohlen.


Titelbild

H. C. Artmann: ich bin abenteurer und nicht dichter. Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann.
Amalthea Verlag, Wien 2001.
246 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3850024652

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