Der Heiligenschein der Scheinheiligen

Doc Schneider und Columbo wissen sich zu verkaufen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein volkstümlicher Dichter steht vor einer Unterredung mit seinem Verleger. Es könnte zu erwarten sein, dass der Verleger von seinem Werk nicht allzu begeistert sein wird. Bevor er nun zu diesem Termin geht, setzt er sich an seinen Tisch, legt seine Unterlagen vor sich hin, entspannt sich und schließt die Augen. In seinem visualisierten Film sitzt er dem Verleger gegenüber. Er hört alle möglichen Einwände und überlegt sich zu jedem einzelnen seine passende Antwort. Dann steht er auf, nimmt sein Werk und geht zu seinem Verleger."

Ratgeber sind ein gutes Geschäft. Man investiert ein paar Euro und hofft, für die Wirtschaft gewappnet zu sein. Doch da sich die Realität der Warenwelt schnell wandelt, müssen sich auch die Ratgeber wandeln und auf die neuen Erfordernisse einstellen: auf die neuen Kommunikationstechniken, den Neuen Markt, das immer neue Kundenprofil. Wer zu spät kommt, zahlt Lehrgeld oder verschwindet vom Markt.

Den besten Rat bekommt man vermutlich vom gescheiterten Industriemagnat, so wie auch der gefallene Priester das meiste Verständnis für eine Jungfrauengeburt aufbringen dürfte. Zwei Publikationen aus der unüberschaubaren Ratgeberliteratur, die uns der Zufall zugespielt hat, könnten unterschiedlicher nicht sein. Joachim Skambraks, Jahrgang 1963, studierte nach einer Ausbildung bei der Bertelsmann AG Betriebswirtschaft und gilt als erfahrener Verkaufstrainee. Jürgen Schneider, geboren 1934, legte als privater Bauinvestor eine der spektakulärsten Firmenpleiten der Nachkriegsgeschichte hin. Ihm fehlte etwas, was Skambraks, zumindest der Theorie nach, vollkommen beherrscht: Verkaufstalent. Seine "Bekenntnisse" handeln davon, dass er zwar immer neue Bauaufträge und Immobilien an Land zog, es aber versäumte, sie nach ihrer Vollendung auch wieder zu versilbern. Einzig der Frankfurter "Fürstenhof", im Dezember 1990 für sage und schreibe 430 Millionen Mark an ein japanisches Bankenkonsortium verkauft, kann als gelungene Transaktion gewertet werden - die Kaufsumme hatte 40 Millionen Mark betragen.

Wäre es nicht alles wahr, man könnte es nicht besser erfinden - Jürgen Schneiders Bekenntnisbuch: Ein guter psychologischer Kunstgriff motiviert die Handlungen der Vergangenheit - die Wohltaten ebenso wie die Verfehlungen. Es ist der übermächtige Vater, dem sich Schneider beweisen muss, ein Konflikt, der so manche riskante, ja waghalsige Transaktion auslöst. Nach Studium und Lehre und erster Stelle als Hilfsbauleiter bei Philipp Holzmann in Stuttgart tritt Jürgen Schneider 1962 in die Firma seines Vaters ein. Nichts kann er ihm recht machen, bei jedem Fehler wird er vor versammelter Mannschaft gedemütigt. Doch er lässt sich nicht aufhalten: Zwischen 1964 und 1965 steigt der "Chefsohn" zum Bauleiter auf und bekommt seine erste eigene Baustelle zugewiesen. Schon bald greift er in die reichhaltige Trickkiste des Abrechnungsbetrugs und fährt satte Gewinne ein, ein Erfolg, den der Vater dadurch schmälert, dass er dem Sohn Kosten anderer Baustellen ins Konto bucht. Gleichwohl schiebt der Sohn jede Menge vom Vater nicht entlohnte Überstunden.

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kommt es zum Machtkampf und zum Zerwürfnis - von nun an ist der Sohn auf sich allein gestellt. Er will es dem Alten beweisen, spezialisiert sich auf die Renovierung und Veredelung repräsentativer Prachtbauten wie das Goldene Kreuz in Baden-Baden, der Fürstenhof in Frankfurt und das Bernheimer Palais in München und zieht immer größere, immer feinere, immer kostspieligere Objekte an Land.

Ausführlich berichtet er aus den sichtlich überforderten Vorstandsetagen den Banken, von den "potemkinschen Dörfern", die er in Gestalt der Zeilgalerie oder der Mädler-Passage errichten ließ, von "Schmiermittel-" und Geldtransfers, zum Schluss ins Ausland. Jürgen und Claudia Schneider hofften, den deutschen Zielfahndern entkommen zu können. Die Folgen sind bekannt, Jürgen Schneider wurde nach einem der größten Wirtschaftsstrafverfahren der Bundesrepublik verknackt. Heute ist er mittellos, und die Erlöse seiner Bücher kommen einem Hilfsfonds für geschädigte Handwerker zugute.

Schneider mag ein schlechter Kaufmann, ein krimineller Spekulant, eine zwielichtige Persönlichkeit sein - als Erzähler ist er hinreißend, anrührend, fast vorbildlich, jedenfalls geschickter und überzeugender als so mancher Autor, der es literarisch ernst meint. Seinen reichen Erfahrungsschatz in puncto gute und schlechte Geschäfte hat Schneider in einem flott geschriebenen Handbuch niedergelegt. "Top oder Flop" ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht, Ratgeber und psychologischem Leitfaden. Angst und Gier bezeichnet Schneider als die beiden Triebfedern des Geschäftemachens: Die meisten Steuersparmodelle seien Betrug; volkswirtschaftliches Grundwissen sollte schon in der Schule vermittelt werden; als Unternehmer müsse man mit einem gewissen Maß an Unmoral leben.

Was Schneider launig-anekdotisch aufbereitet, ist bei Joachim Skambraks zu einem Arbeitsbuch mit Leidfaden gereift, der "Columbo-Strategie". Nach dem bekannten Serienkommissar Columbo hat Skambraks sein Buch deshalb benannt, weil Columbo eine bekannte, erfolgreiche und unverwechselbare Marke ist und zudem ein Meister einer Fragetechnik, der sich auch Skambraks bedient. Columbos Strategie, Fragen zu stellen, die ihm früher oder später die erwünschten Antworten eintragen werden, ist eine Variante der 'Hebammenkunst' des Sokrates. Auch sie geht davon aus, dass der Befragte im Grunde die Antworten schon kennt und man sie ihm nur entlocken muss - mit oder gegen seinen Willen.

Im Gegensatz zu Columbo, der mit einem abgewetzten, schmuddeligen Trenchcoat herumlief, unansehnliche Stumpen rauchte und einen heruntergekommenen Wagen fuhr, war 'Doc Schneider' immer ausgesucht gekleidet, seriös in der Erscheinung, das Haar frisch toupiert zum Heiligenschein. Beide Strategien waren zum Teil Bluff und zum Teil Ausdruck des jeweiligen Habitus. Und beide führten zum Erfolg. Mit seinem Schmuddellook gab sich Columbo als jemand, der nicht sehr sorgfältig und offenbar auch nicht sehr erfolgreich ermittelte. Das wiegte den Täter in Sicherheit - und er machte Fehler, die ihn schließlich überführten. Durch sein erwähltes Kleidungsverhalten verkaufte sich Schneider seinen Geldgebern als Erfolgstyp, als sichere Nummer, in die man guten Glaubens investieren konnte. Für Joachim Skambraks birgt Columbos Trick, kurz nach Abbruch eines Gesprächs scheinheilig eine letzte Frage zu stellen ("Just one more thing"), als sei sie nebensächlich, die ideale Verkaufsstrategie. Diese Technik der Informationsbeschaffung sei wie geschaffen für Gespräche, die in die Sackgasse geraten sind: "Columbo ist offen für das Unerwartete." Für das Unerwartete stand auch Jürgen Schneider in seiner Baulöwen-Karriere. Die böse Überraschung, die er seinen Gläubigern bereitete, schien wie aus heiterem Himmel über sie gekommen zu sein.

Titelbild

Jürgen Schneider: Bekenntnisse eines Baulöwen. Unter Mitarbeit von Ulf Mailänder und Josef Hrycyk.
Ullstein Taschenbuchverlag, München 2001.
360 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3548362931

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Joachim Skambraks: Die Columbo-Strategie. Was Verkäufer erfolgreich macht.
Verlag Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt a. M. 2001.
220 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-10: 3898430316

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Jürgen Schneider: Top oder Flop. Was gute Geschäfte von schlechten unterscheidet.
Unter Mitarbeit von Ulf Mailänder.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
132 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3821816473

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch