Neue Frauen, alte Männer
Gabriele Tergits "Frauen und andere Ereignisse"
Von Christina Ujma
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Weimarer Republik war eine Zeit, in der Frauen sich zum ersten Mal eine breitere Öffentlichkeit eroberten und auch all jene Berufe ausüben konnten, die früher Männern vorbehalten waren. Zu den neuen Betätigungsfeldern gehörten unter anderem Presse und Publizistik. So gab es in der Weimarer Republik auch bei großen bürgerlichen Zeitungen Journalistinnen, die über anderes als Mode und Hauswirtschaft schrieben. Eine von ihnen war Gabriele Tergit, die hauptberuflich Redakteurin des Berliner Tageblatts war, aber auch für die Weltbühne und die Vossische Zeitung schrieb. Unter Germanisten ist sie vor allem als Verfasserin des Journalistenromans "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" bekannt. Ihre Berlin-Reportagen, die in diesen Roman teilweise eingegangen sind, blieben dagegen weitgehend unbeachtet, obwohl sie seit einigen Jahren in Neuausgaben zugänglich sind.
Nun hat Jens Brüning, dessen Editorentätigkeit die zaghafte Wiederentdeckung Gabriele Tergits vor allem zu verdanken ist, ihre Aufsätze zu Frauenthemen in dem Band "Frauen und andere Ereignisse" herausgegeben. Gabriele Tergit, die beim Berliner Tageblatt vor allem Gerichtsreportagen und Feuilletonartikel schrieb, kam durch ihr Engagement für die Frauenbewegung mit der Journalistik in Kontakt. Ihren ersten Zeitungsartikel "Frauendienstjahr und Berufsbildung" schrieb sie 1915 für das Berliner Tageblatt. Nach Studium und Promotion im Jahr 1925 stand sie der Frauenbewegung zunehmend skeptisch gegenüber. Ihre Aufsätze jener Jahre reflektieren das Selbstbewusstsein der neuen Frau, für die Bildung und Berufstätigkeit zu einer Selbstverständlichkeit geworden waren. Diese Haltung macht einen besonderen Reiz der nun von Brüning herausgegebenen Arbeiten aus. Denn obwohl die "neue Frau" untrennbar mit dem Bild der Weimarer Republik verbunden ist, findet sich in den Schriften berühmter männlicher Essayisten der Zeit, bei Roth oder Kracauer etwa, wenig über dieses Phänomen. Kracauer schreibt ziemlich herablassend über die kleinen Ladenmädchen, die ins Kino gehen, und bezeichnet in seiner Angestellten-Studie die Welt jener Berufsgruppe, die immerhin zu einem Drittel aus Frauen bestand, als exotisches Terrain. Ein Blick in die Arbeiten seiner Kollegin Gabriele Tergit hätte da Aufklärung verschaffen können. Denn in ihren Artikeln, die nun in "Frauen und andere Ereignisse" gesammelt vorliegen, wird dem Leser Einblick in die unterschiedlichsten Aspekte der weiblichen Lebenswelt jener Jahre gegeben. Wir erfahren über die Probleme der Akademikerinnen, über die Kluft, die sich zwischen den neuen Frauen und ihren Müttern in Lebensauffassung und Mentalität auftut. Aber auch die Modethemen der Weimarer Republik wie Revue, Hotels, Filme, High Society, Mode und Shopping werden mit freundlicher Ironie abgehandelt.
Die Welt der berufstätigen Akademikerinnen feiert Tergit in dem Artikel "Sorores Optimae", in dem sie die Frauenkultur der Weimarer Republik mit der der Renaissance und dem Berlin der Romantik vergleicht. Ein beständiges Ärgernis für die erfolgreichen neuen Frauen seien die Männer, die die alten geblieben sind. Selbst die aufgeklärtesten und gebildetsten Exemplare der Gattung seien stolz darauf, ihre Ignoranz gegenüber der Lebenswelt der berufstätigen Frau kundzutun. Der Ärger über Männerarroganz klingt immer wieder in Nebenbemerkungen an. In dem berlinernden Artikel "Freundliches Frauengespräch über die Tötung eines Mannes" wird deutlich, dass dieser Ärger nicht nur von den gebildeten Frauen der Mittelschicht gehegt wird.
In den Aufsätzen aus den letzten Jahren der Weimarer Republik ändert sich Tergits Ton drastisch. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit, dem rasanten Aufstieg der Rechten und einer Doppelverdienerkampagne, deren Ziel es war, Frauen aus dem Arbeitsleben oder zumindest aus den gut bezahlten Stellungen zu verdrängen, ist Tergits "Bilanz der Frauenbewegung" aus dem Jahr 1932 sehr negativ. Die Frauenbewegung und die Gleichberechtigung habe den Frauen wenig gebracht, vor allem in der Politik fiele es den Frauen schwer, sich "in die komischen Formen der männlichen Welt ein(zu)fügen". Angesichts einer nachwachsenden Frauengeneration, die von Gleichberechtigung nichts mehr wissen will, scheint Tergit ihren Kampfesmut verloren zu haben. In dem Artikel, den sie für die erste Nummer der Zeitschrift "Die Frauen-Tribüne" im Januar 1933 schrieb, ist ihr Selbstbewusstsein zumindest ansatzweise zurückgekehrt. Aber das Wissen darum, hoffnungslos in der Defensive zu stecken, kommt sehr klar zum Ausdruck, denn wie sie schreibt, alle gesellschaftlichen Kräfte sind inzwischen gegen Frauenarbeit, die Rechten wie die Linken und wer aus politischen Motiven nicht dagegen ist, der ist es aus Konkurrenzgründen oder aus Philistertum.
Gabriele Tergit hat sich jedenfalls nicht vom Schreiben abbringen lassen, nachdem sie im März 1933 aus Deutschland fliehen musste, ging sie nach Prag, wo sie sofort für deutschsprachige Zeitungen tätig wurde. Einige Arbeiten aus dieser Zeit sind in der vorliegenden Edition abgedruckt, genau wie einige Aufsätze aus dem Londoner Exil und aus den Jahren 1947 und 1948, in denen Tergit für kurze Zeit wieder in Deutschland lebte.
In seinem Nachwort gibt Jens Brüning eine kurze Einführung in Leben und Werk der Autorin, eine biographische Zeittafel vervollständigt den Überblick. Die Anmerkungen des Herausgebers machen "Frauen und andere Ereignisse" auch für Leser zugänglich, die wenig Vorkenntnisse über die Kultur der Weimarer Republik mitbringen. Was in der insgesamt hervorragenden Edition allerdings fehlt, ist eine kurze Erläuterung der Textauswahl, deren Kriterien nicht so ohne weiteres nachzuvollziehen sind. Während einige interessante Artikel zur neuen Frau, wie z. B. "Anspruchsvolles Mädchen", nicht in der Sammlung vertreten sind, mischt Brüning unter Tergits Artikel einige Prosaversuche und Fragmente aus dem Nachlass. Man sieht gleich, warum Tergit, der es in den Jahren der Weimarer Republik nicht an Publikationsmöglichkeiten mangelte, diese nicht veröffentlichte. Schreibt sie sonst elegant, ironisch, knapp und sehr präzise, so mangelt es den meisten unveröffentlichten Prosaversuchen doch sehr an Schliff und Rhythmus. Brüning tut seiner Autorin mit Abdruck dieser Stücke keinen Gefallen, denn in ihren veröffentlichten Arbeiten ist sie eine brillante Stilistin.
|
||