Sprachkarussellswahrheitsfindung

Drei neue Dramen von Elfriede Jelinek

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elfriede Jelinek steht auf Du und Du mit dem Tod, schon immer. Ihr Werk ist bevölkert mit Toten, Scheintoten, Untoten und manchmal mischt sich ein Lebendiger darunter. Das bewirkt, dass all die, die sie kennen, irgendwann ein Heimatgefühl entwickelt haben beim Lesen der Jelinekschen Bücher. Auch bei mir hat es sich sofort wieder eingestellt und mir war sogleich gruselwohl, obwohl auch die Themen der drei neuen Stücke alles andere als erbaulich sind.

Im ersten Stück geht es um die Brandkatastrophe im Tunnel von Kaprun am 11. November 2000, bei dem 155 Menschen ums Leben kamen. Profitmaximierung um jeden Preis ist für Jelinek die Hauptursache für das Unglück. An der Schwelle zum Jenseits sprechen verschiedene Personen über sich und das, was gerade passiert ist. Die Hauptfigur ist ein Kind oder besser ein "penetrant gespieltes" Kind, so wenigstens lautet Jelineks Anweisung an die Schauspielerin. In der Tat spricht hier ein sehr erwachsenes weises Kind, das weiß, dass einzig die Berge überleben, der Mensch aber, zerbrechlich wie er ist, dem Tod auch auf Skiern oder snowboardend nicht davonläuft. Gleich hat er sich selbst überholt und ist dabei dem Tod in die Arme gelaufen.

Jelineks Stück "In den Alpen" mündet in eine Zivilisations-und Technikkritik, die auch Faschismuskritik ist, denn der Jude bleibt in ihren Augen ausgeschlossen vom Hochgebirgserleben, wird zum Flachländer abgestempelt. Zitate aus Celans "Gespräch im Gebirg" sind kunstvoll eingearbeitet worden. Und so sprechen wie immer bei dieser Autorin viele Stimmen, wenn es auch natürlich letztlich sie selbst ist, die spricht.

Als solche nimmt sie sich im zweiten Stück der Trilogie "Rosamunde" ins Visier, bzw. in den Mund. "Schneidende Wellen, ich schreib und schreib, die Königin der Welt, nur sieht mich wieder einmal keiner". Aber hören tut man dich, und das weißt du sehr genau! Auf des Messers Schneide sprichst du, spricht deine Rosamunde, schlecht spricht sie über die Welt und richtet doch letztlich die Waffe gegen sich selbst. Keine Versöhnung, mit niemandem, wieder bleibt die Frau schicksalslos zurück. Sie hat nur eines, sich selbst, die sie betrachtet, die sie sich aussprechen lässt, und die in diesem Sprechen "nichts" sagt. Die Kunst der Worthülsen, die die Welt nicht erreichen, weil sie sie gar nicht suchen: Hier erleben wir Jelinek at her best! Es ist die Stimme der Ausgegrenzten und sich selbst Ausgrenzenden.

Das dritte und umfangreichste Stück hat den Titel "Das Werk" und ist dem kürzlich verstorbenen Theatermenschen Einar Schleef gewidmet. In Kaprun steht auch eines der größten Speicherkraftwerke der Welt, das vor allem mit der "Hilfe" von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in der NS-Zeit errichtet wurde. Offiziell sind dabei 160 Menschen umgekommen, Dunkelziffer steigend. Es ist völlig klar, dass Jelinek sich an einem solchen Thema abarbeiten muss - und sie tut es mit Bravour. Ihre hohe Sprachkunst wird erneut unter Beweis gestellt, aber es ist auch hier wieder keine leere Wortklauberei, sondern es findet eine Sprechkarusselswahrheitsfindung statt, die in der zeitgenössischen Literatur ohnegleichen ist. Elfriede Jelinek kann es einfach, da mögen ihre Kritiker sagen was sie wollen. Der Berg und die Technik, das Wasser und die Schneeflocken, der Tourismus und die Kunst, lauter altbekannte Jelinek-Themen. Und wieder Schubert, diesmal mit seiner "Schönen Müllerin". Uferlos wird das Schreiben angesichts der Tatsache von soviel Menschenverschleiß um der Profitgier willen. Die Form passt sich dem Inhalt an. Man will ja die Natur nicht zerstören, aber da ist es auch schon geschehen. Zwei Arbeiter, Hänsel und Tretel, sprechen es aus: "Zwar werden unsere Namen genannt, aber die Stimme, die sie nennt, verhallt, bevor wir sie hören können. Trotzdem sind wir irgendwie: aufgerufen." Anonymität, Automatismus, Tod, das ist die versteckte Sprachstruktur eines solchen Ins-Werk-Setzens, wie es der Staudammbau war, an dessen Beginn Hermann Görings Spatenstich stand. Unbedingt lesenswert, und für alle, die Jelinek als obszön bezeichnen: Kein Sex diesmal, nur Politik und hohe Philosophie!


Titelbild

Elfriede Jelinek: In den Alpen. Drei Dramen.
Berlin Verlag, Berlin 2002.
240 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3827004578

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