Ein Spatzenhirn auf Wahrheitssuche

Margarete Cavendishs "Gleissende Welt"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bestimmt ist die arme Frau ein wenig verrückt, sie könnte sich sonst nie so lächerlich machen, sich zu erlauben Bücher zu schreiben", urteilte Dorothy Osborn über Margarethe Cavendish und stand mit dieser Meinung nicht alleine da. Bei Zeitgenossen war die Herzogin von Newcastle als "Mad Marge" bekannt, doch ihre Werke wurden - da von einer Frau verfasst - allenfalls als Kuriosität gelesen. Über einige Generationen hinweg hielt sich der wenig schmeichelhafte Ruf der Autorin des 17. Jahrhunderts, bis sie schließlich in Vergessenheit geriet. Erst Virginia Woolf erinnerte sich ihrer wieder und widmete ihr einen kleinen Artikel. Woolfs Urteil ist ausgesprochen ambivalent ausgefallen. Zwar habe Cavendish ein "Spatzengehirn" besessen und sei von offenkundiger Einfalt gewesen; ihr Philosophie sei "nichtig", die Dramen "unerträglich" und die Verse oft "langweilig". Aber dennoch durchziehe Cavendishs Werk eine "Ader echten Feuers" und um sie selbst sei "etwas Nobles und Don Quijoteskes und Hochgemutes" gewesen. So zwiespältig Woolfs Urteil auch ist, jedenfalls hat sie Cavendishs feministischer Rezeption den Weg bereitet, die vor wenigen Jahren auch in Deutschland zu einer Monographie führte (vgl. literaturkritik.de 3/2002).

Nun liegt darüber hinaus unter dem Titel "Die gleissende Welt" auch Cavendishs Roman "The Description of a New World Called The Blazing-World" vor. Übersetzt hat ihn Virginia Richter, die auch das ebenso umfang- wie kenntnisreiche Nachwort verfasst hat.

Der Titel des Romans gemahnt an die utopischen Werke etwa eines Thomas Morus oder eines Campanella. Wie seinerzeit in diesem Genre üblich, wird die namenlose Protagonistin zu Beginn auf einer Seereise in eine andere Welt verschlagen. Doch handelt es sich in diesem Fall nicht einfach um eine Insel, sondern um eine Parallelwelt, deren Pol denjenigen der Protagonistin berührt. In dieser neuen Welt, der gleißenden, wird sie alsbald zur Kaiserin.

Scheint es den Lesenden zunächst so, als handele es sich bei der ursprünglichen Welt der Kaiserin um die hiesige, so erweist sich das als Irrtum: Die Protagonistin lässt sich durch Geister die Seele der Autorin höchstselbst herbeischaffen, die in einer dritten Welt lebt. Zuvor jedoch disputiert sie lange und ausführlich mit ihren Untertanen - mit Bärenmännern, die als Experimental-Philosophen fungieren, Fuchsmenschen, die die Gilde der Politiker bilden, und Papageienmenschen, die als Redner hervortreten. Erörtert werden zahlreiche religiöse und vor allem naturphilosophische Fragen. Die endlos scheinende und beliebige Aneinanderreihung der behandelten Themen, die stets mit einer Frage der Kaiserin eingeleitet werden, ermüdet heutige LeserInnen auf die Dauer, und die präsentierten Erklärungen natürlicher Phänomene sind so unhaltbar wie abstrus, doch zeichnen sie sich stets durch eine gewisse Originalität aus - oft sogar unter Berücksichtigung des damaligen Standes des Wissens und Forschens. Dabei ist es Cavendish letztlich weniger um Erkenntnis selbst zu tun, als um den Erkenntnisweg: "[G]äbe es nur Wahrheit und keinen Irrtum, so gäbe es auch keinen Anlaß für Auseinandersetzungen, und auf diese Weise verlören wird das Ziel und das Vergnügen unserer Bemühungen, uns gegenseitig zu widerlegen und zu widersprechen". Unübersehbar handelt es sich hierbei um eine radikalisierte Vorwegnahme von Lessings Bekenntnis, dass er, vor die Wahl gestellt, aus Gottes rechter Hand "alle Wahrheit" zu empfangen, oder aber aus seiner Linken den "immer regen Trieb nach Wahrheit", letzteren wählen würde. Radikaler ist Cavendishs Version, weil bei ihr anstelle des einsamen Wahrheitssuchers der Disput der Gelehrten steht. Dieser prägt ihre "gleissende Welt" folglich weit mehr als etwa Beschreibungen der Staats- und Gesellschaftsorganisation, wie sie die Utopien Morus' oder Campanellas charakterisieren.

Doch findet sich auch in dieser Hinsicht eine denkwürdige Stelle bei Cavendish. In der gleissenden Welt werden die Priester und Statthalter zu Eunuchen gemacht, denn "Frauen und Kinder verursachen gewöhnlich Unruhe in der Kirche und im Staat". Bemerkenswert ist dies nicht wegen der durchaus üblichen Misogynität der negativen Beurteilung von unruhestiftenden Frauen. Bemerkenswert ist jedoch, die Konsequenz, die in Cavendish Welt daraus gezogen wird. Die nämlich geht nämlich zu Lasten der Männer. Und das dürfte bis dahin vermutlich noch nicht da gewesen sein.

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Margaret Cavendish: Die gleissende Welt.
Übersetzt aus dem Englischen von Virginia Richter.
scaneg Verlag, München 2002.
136 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3892351155

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