Das Kreuz mit der Kirchenspaltung

Peter Sprengels Bestandsaufnahme der literarischen Verarbeitung des Kulturkampfes

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das heute nicht mehr so geläufige Schlagwort 'Kulturkampf' bezeichnet eine der wichtigsten innerdeutschen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts: Den Kampf zwischen dem 1871 neu gegründeten Deutschen Reich, dessen Kern und Machtzentrum das protestantische Preußen bildete, und der katholischen Kirche Deutschlands, die an überkommenen Privilegien aus der Zeit des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und ihrer früheren, weltlichen wie geistigen Herrschaft über große Teile Deutschlands festhielt.

Nun sollte man meinen, dass das 19. Jahrhundert literarhistorisch kartographiert und vermessen, Sensationelles nicht mehr zu erwarten sei. Sprengel belehrt uns mit seinem Buch "Von Luther bis Bismarck" eines Besseren. Auf nur 119 Seiten wird das Bild von drei der bedeutendsten Autoren der deutschsprachigen Literaturgeschichte, Fontane, Meyer und Hauptmann, aus der Perspektive von "Kulturkampf und nationaler Identität" teilweise neu gezeichnet; auch der zeitgeschichtliche Hintergrund erscheint in neuem Licht.

Die Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken, die bis zu Martin Luther und der von ihm initiierten Kirchenspaltung zurückgeht, war schon immer eines der wichtigsten innenpolitischen Themen deutscher Föderationen, ob sie nun Reich oder Bund hießen. Dass sie zeitgenössische Autoren während der 'offiziellen' Auseinandersetzungen beschäftigt haben, ist kein Wunder. Aber wer hätte gedacht, dass auch spätere literarische Werke "kulturkämpferisch" sind? Der Fontane-, Meyer- und Hauptmann-Forschung scheinen diese Spuren, folgt man Sprengel, bisher gar nicht oder kaum aufgefallen zu sein.

Sprengels Spurensuche hat etwas Detektivisches. Akribisch genau liest er seine Autoren, trägt Textstellen aus Briefen, Essays, Gedichten, Erzähltexten, Entwürfen und Fragmenten zusammen, hält diese Stellen gegeneinander und setzt sie wie ein Puzzle zusammen.

Es ist erstaunlich, wie viele signifikante Stellen Sprengel in Fontanes Werken gefunden hat. Alles läuft darauf hinaus, dass der für seine Ambivalenz bekannte Autor zwar auch in diesem Fall Festlegungen vermieden hat, aber doch eher zu einer kritischen Einschätzung der Kulturkampfpolitik des Reichs tendiert. Anders Meyer, der als deutschsprachiger, aber nicht deutscher Autor erstaunlich viel von den kulturkämpferischen, anti-katholischen Tendenzen in sein Werk integriert. Vollends überrascht ist man darüber, dass für den Spätgeborenen Hauptmann und sein Werk die Kulturkampfproblematik eine so wichtige Rolle spielt. Der Grund: Hauptmanns Suche nach einer nationalen Identität, in Tateinheit mit seinem manchmal nationalistisch anmutenden Patriotismus.

Sprengel gibt viele Beispiele für seine Thesen, doch besonders aufschlussreich sind die Detailanalysen von Meyers "Lutherlied" und Hauptmanns Drama "Magnus Garbe". Stets wird die Interpretation mit einer ausführlichen Darstellung der Genese und des zeitgeschichtlichen Hintergrundes verbunden, so dass man nicht nur viel über die genannten Autoren, sondern auch Neues über literaturgeschichtliche Zusammenhänge erfährt.

Titelbild

Peter Sprengel: Von Luther bis Bismarck. Kulturkampf und nationale Identität bei Fontane, CF Meyer und Hauptmann.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 1999.
120 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3895282367

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