Marranische Schreibweise

Zu einem Sammelband über Heine, Kracauer, Celan

Von Jürgen EgyptienRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Egyptien

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Sammelband "Konterbande und Camouflage. Szenen aus der Vor- und Nachgeschichte von Heinrich Heines marranischer Schreibweise" ist dem Hamburger Germanisten Klaus Briegleb zum 70.Geburtstag gewidmet, ohne sich explizit der Textsorte 'Festschrift' zuzurechnen. Vielleicht weil sie einen zu offiziösen Charakter verlangt hätte, der mit dem Motiv des Marranischen sich schlecht vertrüge, das auf die verborgene Glaubenstreue der zwangsgetauften iberischen Juden in der Inquisitionszeit anspielt. Das Buch enthält drei Abschnitte, von denen der erste Gedichte von W. G. Sebald, Anne Duden und Yoko Tawada, der zweite Studien zu Heine und der letzte Aufsätze zu jüdischen Autoren des 20. Jahrhunderts präsentiert.

Der literaturwissenschaftliche Teil des Buchs wird von einem Beitrag Sigrid Weigels über "Heinrich Heines Geständnisse" eröffnet, in dem sie Heines späte autobiographische Schriften unter dem Aspekt der Selbstdarstellung in Bezug zu Augustin und Rousseau und im Hinblick auf das Deutschlandbild in Bezug zu Mme de Staël setzt. Heines Geständniskonzept, so Weigel, verwerfe das Ideal von Naturwahrheit und authentischem Selbstporträt, es ersetze beide durch eine rhetorische Ich-Rede, die sich in eine "Doppelreferenz auf das Gesetz der Weltgeschichte und das Gesetz der jüdischen Tradition" stelle. Den naturgeschichtlichen Kategorien der Mme de Staël wiederum antworte Heine mit einer historischen Perspektive, die ihn auch von den "Dogmatikern des Atheismus" abrücken lasse. Weigel kommt zu dem etwas mageren Resultat, die Geständnisse verfolgten ein Programm, das die Lektüre der Bibel mit den zeitgenössischen politischen Belangen engführen möchte. Deutlich ertragreicher ist Stephan Braeses Aufsatz über "Heines Masken", der das Motiv der (De-)Maskierung vom "2. Fresko-Sonett an Christian S." bis zum "Schelm von Bergen" rekonstruiert. Dabei bezieht Braese in produktiver Form den Zeremonialcharakter des höfischer Kultur entstammenden Maskenballs wie auch die von Bachtin erarbeiteten Filiationen zwischen Literatur und Karneval in seinen Kommentar ein. Entscheidend treten zwei Überlegungen hinzu: einmal die Einsicht in die Maske "als Abdruck des Toten", was ihr Auftreten mit dem "unerfüllten Anspruch der Toten an die Gegenwart" ausstattet, zum anderen die sich an Benjamin anlehnende Idee, den Moment der Demaskierung als Zeitriss, als (messianischen) Einbruch einer Jetztzeit zu verstehen. Auf diesen Zeitriss scheint das Masken-Ich des Fresko-Sonetts anzuspielen, und in Heines Schilderung der Pariser Cholera-Epidemie von 1832 taucht das Bild einer makabren "Totenemeute" auf, in der "die kalten Sprecher der Geschichte" mit ihren Forderungen an die Lebenden ernst machen. Am Ende der Motivkette steht freilich die Wendung ins Resignative. Der gewaltsam demaskierte Henker von Bergen wird durch den spontanen Adelsschlag der in ihm qua Funktion gespeicherten subversiven Energie der Toten beraubt. Braese lässt seine Ausführungen daher in Benjamins sechste geschichtsphilosophische These vom Sieg des Feindes über die Toten münden.

Das eindrucksvolle argumentative und begriffliche Niveau von Braeses Aufsatz weist unter den übrigen vor allem derjenige von Holger Gehle über Celans Assisi-Gedicht auf, der der Frage nach der Thematisierung des Franziskanischen in diesem Gedicht aus "Von Schwelle zu Schwelle" nachgeht. Gegen die bisherigen Deutungen kann Gehle plausibel machen, dass trotz der Anverwandlung der liturgischen Formensprache Celan "die franziskanischen Motive in einem kritischen, mitunter geradezu kontradiktorischen Sinne" verarbeitet habe. Aufschlussreich an Gehles Darlegungen ist zudem Celans durchgehend inversiver Umgang mit G. B. Chestertons Franz von Assisi-Biographie als seiner Hauptquelle.

Weiterhin enthält dieser Teil des Buchs einen flankierenden Aufsatz von R. André über Celans Leibniz-Rezeption im Gedicht "Das taubeneigroße Gewächs" und eine informative Gegenüberstellung der Exilerfahrungen von Benjamin und G. Scholem aus der Feder von St. Mosés, der auf den metaphysischen Charakter ihrer Exilbegriffe zielt.

Der Band schließt mit Thomas Koebners Aufsatz "Von Caligari führt kein Weg zu Hitler", der Kracauers geschichtsphilosophische Konstruktion der Filmgeschichte der Weimarer Republik einer kritischen Musterung unterzieht. Koebner zeigt an den methodischen Ausgangspunkten von Kracauer - unbewusste Kollektivmentalität, Signifikanz des Peripheren -, dass seine Vorstellungen filmischer Sprache auf eine unreflektierte Übertragung Freudscher Kategorien zurückgehen, die die schon produktionstechnisch bedingte Bewusstheit des Mediums verkennen. Besonderes Augenmerk richtet Koebner auf Kracauers Figurentypus des Tyrannen. An Caligari und Mabuse weist Koebner nach, dass Kracauer die Herkunft dieser Figuren aus den Erzählstoffen des 18./19. Jahrhunderts, die sie eher als gesteigerte Jahrmarktskünstler und Scharlatane erkennbar macht, und ebenso den Dekonstruktionsprozess, dem etwa Fritz Lang seine Figur unterwirft, völlig übersehe. In einer eingehenden Auseinandersetzung mit Kracauers Urteilen über Ruttmanns Film "Berlin. Sinfonie einer Großstadt" und den "Blauen Engel" kommt Koebner zu dem Befund, dass Kracauer jedes Verständnis für die spezifisch filmische Thematisierung des Geschichtsprozesses und das Eigenrecht des Ästhetischen abgehe. Als alternatives Paradigma der Filmanalyse empfiehlt Koebner, eine ästhetische und zugleich kulturhistorische Interpretation von Standardsituationen zu entwickeln, an denen sich der originäre Zugriff eines gesellschaftlich bewusst agierenden Filmteams ablesen lasse. Verdienstvoll ist an Koebners schlüssiger Demontage von Kracauers allzu simpler 'Genealogie des Bösen' auch sein Hinweis auf die der Weimarer Republik gewidmeten Schriften Erich von Kahlers.

Insgesamt ergibt sich das Bild eines weitgehend gelungenen Sammelbands, der im Geiste des Bewidmeten die interpretatorische Arbeit an der Entbergung des Marranischen und der Aktualisierung seiner kritischen Latenz fortsetzt.

Titelbild

Stephan Braese / Werner Irro (Hg.): Konterbande und Camouflage. Szenen aus der Vor- und Nachgeschichte von Heinrich Heines marranischer Schreibweise.
Verlag Vorwerk 8, Berlin 2002.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3930916495

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