Der Ober-Narrator ist pleite

Der Autor als Insolvenzverwalter. tongue tongue Hongkong konstruiert eine "Matrix Louvre"

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die tongue tongue Hongkong ist (laut Eigenwerbung) eine seit zehn Jahren bestehende Firma zum Recycling von Schöner Literatur. Die tongue tongue Hongkong besteht aus der Autorin Petra Coronato. Unter anderem und vor allem. Petra Coronato ist Gründerin, Angestellte, Archivleiterin, Betriebsrätin, Promoterin und Kritikerin der tongue tongue. Ein postmoderner Charakter, hätte man vor einigen Jahren gesagt: Der Schriftsteller als Produzent einer Fiktion von sich, die ihn auf verschiedene Weise in seiner Souveränität bricht.

Und so gibt es in "Matrix Louvre", dem auf Havarien fixierten aktuellen Buch der - wie es im Buch heißt - nicht mehr existenten tongue tongue, den augenzwinkernden Aufstand gegen sich selbst: "#666666 Zwei gepanzerte Müllfahrzeuge der Firma mit der Aufschrift 'Nur Textrecycling erzeugt Recyclingtexte' rasen über den Platz. Lunare Schüler werfen Bücher, Coladosen und Pflastersteine auf die Fahrzeuge."

Wenn Gott immer mal wieder für tot erklärt werden kann, darf gleiches wohl auch für den Autor gelten. "Der Ober-Narrator ist pleite", schreibt Coronato tongue tongue lapidar. Die Erzählerin bzw. ihre Medien übernehmen bloß aushilfsweise die Funktion des "Narrators". Das Interpretierbesteck liegt immer schon bei.

"Etwas ist falsch an diesem Diorama." Im Fall der tongue tongue Hongkong wird eine ominöse, außer- und überliterarische Vereinigung fingiert, die Autor sein soll und sowohl innerhalb als auch außerhalb des literarischen Textes eine Rolle spielt. tongue tongue (schon die Dopplung weist darauf hin) mischt Altmaterial auf, synthetisiert und reorganisiert es zu neuem Text. Literatur ist Schnittmenge. Sowieso. Auch Ideen und Sätze unterliegen der Zirkulation.

Die Bezugnahme ist ähnlich wichtig wie die Story. Auch wenn sowohl die Ressourcen als auch die dramaturgische Absicht in "Matrix Louvre" recht undurchsichtig bleiben. Der Mehrwert des Recyclings (ist es denn überhaupt eines?) liegt zu einem Gutteil im Witz, den er erzeugt. Petra Coronatos Prosa ist bloßstellend, ist parodistisch. Und das heißt eben auch, ganz genau hingeschaut zu haben was vor sich geht, bevor es damit in den eigenen Text geht.

"Neues von Coronato?" wird innerhalb von "Matrix Louvre" immer wieder ironisch gefragt. Schafft es die Autorin zu eigener Sprache, zur Literatur? Statt einer Antwort jedoch gibt es weiteren Text, Herkunft sekundär. Das Fließband in dieser rekursiven Versuchsanordnung muss am Laufen gehalten werden. Vielleicht ergibt sich ja was. Selbst aus affektiertem Text, ästhetisch minderwertigem 'Original'-Material.

Das Recycling ist der eigentliche Protagonist des Buches. Möglicherweise aber auch nur eine Fiktion, eine Finte. tongue tongue Hongkong spielt mit dieser Möglichkeit. Wo beginnt denn das Sampling, der Remix, die Neukonstellation? Beim Wort, der Phrase, beim Satz oder doch erst beim Plot? Die Firma Mattel habe nicht gegen das "zuschanden Schreiben ihrer Barbie" im letzten Buch geklagt, klagt die tongue tongue schmunzelnd - also könne man daraus "folgern, dass die tongue tongue nie recycelt hat." Warum auch sollte man? Die Firma Autorin weiß schließlich genau, dass "sich mittels Recycling das künstlerische Verfahren nicht abkürzen lässt".

"Matrix Louvre" führt in einen Scheidebereich zwischen Phantasterei und Realitätsreplikation. Es gilt dieser ausufernden Prosa, die "Komplexität zu erhöhen". Zitate, Berichte vom Ich, essayistische Beschreibungen oder historiografische Rekurse wechseln mit hanebüchenen Erzählsituationen. Auf Nonsenskaskade und poetische Eskapade folgt nüchternes Pragma. "Matrix Louvre", mit "Zweckloses Unbehagen" untertitelt, zäumt Verschwörungstheorien auf, die es halb als Unsinn wieder absattelt. Daraus ergibt sich eine gelungene Mixtur aus Krimi und Systemkritik, aus Enthüllungsroman und Farce.

In den Splittern einer traditionellen Vorstellung von "Plot" agieren Anflüge von Protagonisten. Jonny etwa, Havarienbeobachter in einer Wachschutzfirma von orwellscher Dimension, der durch Observieren zu schützen versucht. Verhindern, dass tongue tongue Hongkong havariert(e), kann er nicht. Auch Bulle nicht. Und schon gar nicht Trashi Mushi. Doch auch der Wachschutz gehört zur tongue-tongue-Matrix, mitsamt den Hinweisen zu seiner Unterminierung. - Alles kann havarieren, ist die sarkastische, ambivalente Botschaft. "Selbstgemachte Havarien sind [jedoch] die besten."

Scheibchenweise werden Havariegeschichte(n) und -kalkulationen präsentiert: Von Tschernobyl und Ramstein über Verkehrsunglücke, Computerviren und die Reemtsma-Entführung bis hin zum Exitus einer emphatischen Breakfast-Express-Maschine. Hin und wieder auch Ansätze zu Havarien innerhalb des selbstbezüglichen Systems Petra tongue Coronato Hongkong.

Doch was ergibt das Ganze? Der unruhige Zappingroman, das sanft groteske Flickerln? Mit Freude an Akklamation wird eine Menge Text angeschwemmt. Einer irgendwie gearteten Sinnstiftung dient das Etwas-wie-Handlung nicht. tongue tongue Hongkong kultiviert auch Beliebigkeit. "Das Tableau", verlautbart die Autorin luzide, "vergrößert sich zum Ornament einer Weltanschauung. Aber leider nicht zur zentralen Metapher." Es bleibt grob: ausschnitthaft und insgesamt unfixiert.

Kunst meets Chaos meets Kant meets Freud. In der Collage dieses Louvres durchlaufen die Objekte und Konzepte ironische Massagen. Unbehagen ist zwecklos. Die "Matrix"-Arche führt auf und vor, ohne Moral an Bord. Dafür jedoch mit einer gehörigen Portion subtiler Dekonstruktion und närrischer Intelligenz.

Titelbild

Matrix Louvre: Zweckloses Unbehagen. Zweckloses Unbehagen.
Ritter Verlag, Klagenfurt 2002.
200 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3854153236

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