Worte als Brücken

Hugo Hamilton beschreibt einen "Schlechten Verlierer"

Von Ulrich SonnenscheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Sonnenschein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geschichten aus dem modernen Irland haben es schwer. Wollen sie sich einem europäischen Zeitgeist annähern, der zwischen multipler Zerstreuung, technischer Finesse und medial vermittelter Ereignisvielfalt seine ultima ratio in der Eventkultur findet, dann steht diese Insel am Rande Europas erneut als Stiefkind da. Bleiben sie aber der Tradition verhaftet, in dem genügend Platz für grotesken Humor und übersinnliche Bezüge ist, geht ihnen unter der Hand die Moderne verloren, auf die es heute irgendwie anzukommen scheint. Denn in dem Land, in dem James Joyce sich die Form derart unterwarf, dass nach ihm kaum ein Experiment mehr möglich war und Flann O'Brien das Absurde schlechthin nacherzählbar machte - und darin mehr offenbarte als alle Realisten vor ihm - ist die Tradition eine unüberwindbare Hürde; von George Bernhard Shaw, Oscar Wilde, Jonathan Swift oder Samuel Beckett einmal ganz zu schweigen. Es bleibt nicht viel, wenn man Großes wagen will. Insofern geht Hugo Hamilton auch mit seinem dritten Roman "Ein schlechter Verlierer" den wahrscheinlich einzig möglichen Weg. Er konzentriert sich wie Joyce auf einen Helden, schickt ihn durch die Straßen von Dublin und konfrontiert ihn wie Flann O'Brien mit den ganz kleinen Dingen des Alltags. Wie Leopold Bloom ist Pat Coyne ein Niemand, doch kein Nobody, eher, wie man in Irland sagt, ein has-been. Er war Polizist, jetzt ist er suspendiert, er war verheiratet, jetzt lebt er in Trennung, er war treusorgender Vater, jetzt fehlen ihm die Worte als Brücke zu seinen Kindern. Er war. Und je mehr ihm bewusst wird, wie sehr alles in seinem Leben nur in der Vergangenheit bedeutend ist, benutzt er die große irische Tradition, um sich in der Gegenwart zurecht zu finden, auch wenn sich diese Tradition oft genug auf das dunkle, schwere Bier beschränkt, das schon lange nicht mehr in irischem Besitz ist, und die irischen Worte die er stolz hervorbringt, lediglich Flüche sind. In einer verwahrlosten Hafenbar sitzt Coyne zwischen Abendbrot und Sperrstunde, trinkt Bier und reiht Gin-Tonics auf der Theke auf, einen für jedes Pint, denn das einzige was seine alptraumhafte Existenz jetzt noch retten könnte, wäre, wenn seine Frau Carmel durch die Tür käme, um sich bei einem oder zwei Drinks mit ihm zu versöhnen. Immer wenn sich die Türen öffnen, dreht Coyne sich um, immer vergeblich. Kein Gin-Tonic für Carmel in der Anchor Bar. Denn die hat sich längst ein anderes, eigenes Leben aufgebaut.

Und dann geschieht ein Mord. Coynes Sohn zählt zu den Verdächtigen, das Opfer ist ein alter Schulfreund, ein Stotterer, der ein Bein nachzog, Gelegenheitsjobs im Hafen erledigte und Coyne in seiner Dienstzeit manch wertvollen Tip gegeben hatte. Eine scheinbar sinnlose Tat, doch mit dem Motiv ist auch der Täter identifiziert. Coyne aber ist nicht mehr der Spürhund, der er einmal war und so klärt sich der Fall eher nebenbei, in dem mühelos alles vorkommt: Erpressung, Nötigung, Menschenhandel, Mord und illegale Einwanderer. Wie bei allem in seinem Leben hat er keinen großen Einfluß mehr darauf. Im Gegenteil: Den für seinen Sohn fast schicksalhaften Moment verbringt er damit, eine Spende an die Sinnlosigkeit unter aus der Vorstadt entwendeten Steinen zu begraben: Eine Tasche voller gestohlener Dollars, die niemand vermisst und niemand suchen wird, liegt nun für immer unter schweren Granitblöcken auf einem Hügel im Dubliner Hinterland. Schon allein diese kleine Episode zeigt, dass "Ein schlechter Verlierer" trotz eindeutiger Handlungselemente alles andere als ein Krimi ist. Vielmehr ist es ein Prosa gewordenes Spottgedicht auf alles, was perfekt sein will: auf die mäandernden keltischen Muster, die einmal Erhabenheit suggerierten und jetzt nur noch folkloristischer Kitsch sind, auf das umfassende Liedgut, dessen Quintessenz nun "Whiskey in the Jar" bildet und auf die irische Insel selbst, die, einst von traditionsbewussten stolzen Fischern bewohnt, jetzt Schleppern und Betrügern wesentlich bessere Verdienstmöglichkeiten bietet. Vorbei die Zeit, als man wehmütig emigrierte, jetzt zahlen Rumänen dafür, in Irland leben zu können. Hugo Hamilton hat ein Gespür für Szenen, Timing und Kontraste, so dass sein Buch ungeheuer ausbalanciert wirkt. Das Besondere findet er an der Straßenecke, in den Pubs und den Fast-Food Läden, das Allgemein-Menschliche dagegen sucht er weder in Liebe und Tod noch in Sex und Verbrechen, sondern in der banalsten von allen Künsten, der Kochkunst. Das Essen ist deshalb so überfrachtet, weil es dem Überlebensdrang folgt, und diesen derart zu verfeinern sucht, dass wir nicht mehr an ihn erinnert werden. Hugo Hamilton entmachtet die erhabenen Küchenchefs á la carte, indem er die Nahrungsaufnahme immer wieder so beschreibt wie sie ist, triebhaft, hässlich und still vernichtend.

"Eine ganz neue Erfahrung, dachte Mrs Dunford. Es war leicht irritierend, ihr eigenes Spiegelbild im Kampf mit dem Riesensandwich zu sehen. Sie beobachtete die bösartige Grimasse, mit der sie in das Sandwich biss, und die Masse aus Huhn und Tomate, die sofort an beiden Seiten hervorquoll. Eine Hand hielt sie wie ein Auffangnetz unters Kinn. Mit leicht vorgeschobenem Unterkiefer, kreisenden Pausbacken, leicht gekräuselter Stirn und gerümpfter Beuteltiernase nippte sie an dem Styroporbecher. Sie war peinlich berührt von dem Anblick ihrer animalischen Bedürfnisse."

Es gibt viele dieser Szenen, die ums Essen kreisen, weil darin mehr philosophisch wertvolle Alltäglichkeit steckt, als in all den klugen Aussagen, die man Romanfiguren normalerweise gern machen lässt. Ein Wort noch zur Übersetzung: Georg Deggerich hat sich Mühe gegeben. Nicht alles ist so gelungen wie diese kurze Passage, aber er hat eine Stimmung entstehen lassen, die in sich nicht brüchig, sondern überaus stimmig ist. Nur der Titel: Der "Sad Bastard" in all seiner sympathisierenden Traurigkeit, etwas hilflos aber wohlmeinend, hat mit dem beleidigten, sich selbst überschätzenden schlechten Verlierer der deutschen Ausgabe nichts gemein.

Titelbild

Hugo Hamilton: Ein schlechter Verlierer.
Übersetzt aus dem Englischen von Georg Deggerich.
Steidl Verlag, Göttingen 2001.
261 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3882437731

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch