Graphische Literatur oder triviale Heftchen

Ein Sammelband zur "Ästhetik des Comics"

Von Anne K. BetzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne K. Betz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wenn der Direktor des staatlichen französischen Comicmuseums in Angoulême, Thierry Groensteen, noch 1998 einen Vortrag über die akademische Beschäftigung mit dem Comic mit der Frage 'Warum bedürfen Comics noch immer der kulturellen Legitimierung?? überschreibt, dann gibt das einen Hinweis auf die Art der Probleme, denen sich eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Comics noch immer gegenüber sieht." So heißt es in der Einleitung des 2002 erschienenen Buches "Ästhetik des Comic", das in gemeinsamer, langjähriger Arbeit von Kunsthistorikern, Literaturwissenschaftlern, Kultursoziologen und Comicexperten entstand. Damit wird ein Problem angesprochen, über das schon jeder halbwegs engagierte Comicfan gestolpert ist: Die mangelnde Anerkennung des Comics in der Öffentlichkeit - größtenteils gegründet auf pure Unwissenheit.

Endlich wird eine Marktlücke gefüllt: Nun gibt es eine ernsthafte, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Einführung in die Welt der Comics, die auf vielfache Art diskutiert, was Comics im allgemeinen und speziellen von Erzählliteratur und bildender Kunst unterscheidet, was sie zu etwas Besonderem, aber etwas Zwischenweltlichen macht.

Die Marktlücke ist aber so groß, dass dieses Buch unmöglich allen Wissensdurst des Interessierten stillen kann. Dadurch, dass man so wenig Fachliteratur über Comics in die Hände bekommt, neigt man dazu, von diesem Buch das Füllen all dieser Lücken zu erwarten.

Leider erhebt es den Anspruch, den Laien allgemein einzuführen, nicht; für den Laien oder Fan, der es nicht gewohnt ist, mit wissenschaftlichen Texten zu arbeiten, noch bereit ist, sich in manchen Artikeln und Passagen von Pontius zu Pilatus führen zu lassen, wird dieses Buch ein harter Brocken sein.

Es ist nicht im eigentlichen Sinne ein Buch für Comicfans, sondern für Leser, die sich mit der Entstehungsgeschichte der Bild-Text-Symbiose auseinandersetzen wollen - angefangen bei mittelalterlichen Spruchbändern, über Lessings Wirkungsästhetik bis hin zum heutigen Comic -, die Interesse an einer Diskussion und Darstellung der spezifischen Erzählweisen (Sprechblasen, Panels, Strips) und den ihnen eigenen Zeichensetzungen haben.

"Ästethik des Comic" beschäftigt sich mit seinem Gegenstand hauptsächlich auf theoretischer Ebene. Die ersten drei Artikel behandeln spezifische Ausdrucksformen: die Sprechblase und ihre Entstehungsgeschichte, die Narrativität der Bilder in Zusammenhang mit Lessings und Goethes Laokoon-Texten und die zeitliche Struktur des Comicstrips.

Die zweite Gruppe von Beiträgen befasst sich mit der Narrativik des Comics. Cuccolini kann in seinem furiosen Artikel "Ein Bastard auf Papier" einen runden Eindruck sowohl der Geschichte der erzählenden Bilder als auch ihrer heutigen Erscheinung in den Medien vermitteln. Georg Seeßlens Beitrag "Gerahmter Raum - Gezeichnete Zeit" betrachtet den Comic erstrangig als Medium historischer Reflexion, ob nun in die Vergangenheit (Fantasy), die Gegenwart oder die Zukunft (Science Fiction). Das ist an und für sich ein interessanter Ansatz, aber Seeßlens Argumentation geht zu sehr vom Detail aus. Dieser Umstand ist doppelt bedauerlich, weil hier erstmals mit Beispielen aus populären Comics gearbeitet wird. Zu dieser Beitragsgruppe gehört auch ein Artikel über die Erzählgeschwindigkeit in und zwischen den Panels. Auf das Phänomen der Zeit im Comic und ihrer grafischen Darstellung wird ausführlich im dritten Teil eingegangen. Der vierte und letzte Teil beschäftigt sich mit dem Comic als graphischer Literatur und ist einer der informativsten des Buches. Lefèvre zeigt, was bei der Lektüre des Comics eigentlich maßgeblich ist, nämlich der "sinnliche" Genuss, der die verschiedenen Sinne des Rezepienten anspricht, während Werckmeister die adult comic books mit hohem graphischen Anspruch ausgezeichnet einführt und darstellt. Der letzte Beitrag, Ole Frahms "Weird Signs. Zur parodistischen Ästhetik des Comics" zur generellen Betrachtung ihres Kunstcharakters und der kulturellen Legitimierung schließt die Diskussion würdig ab.

Störend ist, dass manche der als Beispiel abgedruckten Strips und Panels in einer so geringen Schärfe vorliegen, dass der enthaltene Text verschwimmt und kaum noch lesbar ist. Besonders bei Artikeln, die das Verhältnis von Text zu Bild diskutieren, ist das unentschuldbar.

Völlig von den Herausgebern außen vor gelassen wurde außerdem das Verhältnis von Comic und Film bzw. Animation und Zeichentrickfilm. Gerade weil Comics oft als eine Art "verstandbilderte" Filme angesehen werden und das Erzähltempo des Comics in der Verfilmung umgesetzt werden muss, wäre dieser Vergleich erwägenswert gewesen.

Der Band hat, wie schon erwähnt, eine zu große Lücke zu füllen. Der Forschungsstand wird dargelegt, und einige Artikel haben durchaus Potential das helfen könnte, den Comic noch weiter aus seiner Nische herauszuholen. Bleibt zu hoffen, dass die Kritik an Kritikern und Kunsthistorikern, welche die Autoren aufgrund der allzu schüchternen Comicforschung üben, nicht fruchtlos bleibt.

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Michael Hein / Michael Hüners / Torsten Michaelsen (Hg.): Ästhetik des Comic.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2002.
223 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3503061320

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