Uta Grossmann untersucht die Fremdheit in Else Lasker-Schülers Prosa

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland" sei sie, wenn nicht gar "die größte Lyrikerin, die Deutschland je besaß", schwärmten Gottfried Benn und Karl Kraus. Und Paul Hille sah in ihr nicht weniger als eine neue Sappho. Franz Kafka hingegen schalt ihre Werke als dem "wahllos zuckende[n] Gehirn einer überspannenden Großstädterin" entsprungen. Auch wenn Kafka sich seines negativen Urteils nicht sicher war, so polarisierte Else Lasker-Schüler, von der hier die Rede ist, schon zu Lebzeiten die Meinungen ihrer Zunftgenossen. Neben Werk und Biographie der Autorin auch dies ein guter Grund für die Gilde der Literaturwissenschaftler, die in zunehmendem Maße auch eine der Literaturwissenschaftlerinnen wurde, sich in den folgenden Jahrzehnten intensiv mit der 1945 in Jerusalem verstorbenen Schriftstellerin zu befassen. So konnte denn auch Erich Frieds warnendes Wort, Lasker-Schüler sei ein "richtiger Germanistenschreck", nicht verhindern, dass die ihr gewidmete Sekundärliteratur bis heute unvermindert anschwillt. Uta Grossmann hat mit "Fremdheit im Leben und in der Prosa Else Lasker-Schülers" eine weiter Untersuchung beigetragen und widmet sich einem der zentralen Themen im Werk der Autorin, die von sich behauptete, sie sei überall fremd.

Stellte Margarete Kupper kategorisch fest, Leben und Poesie seien für Lasker-Schüler eins geworden, so nähert sich Grossmann dem auch von ihr nicht bestrittenen Zusammenhang vorsichtiger und bezieht Lasker-Schülers Biographie zwar in ihre Betrachtung ein, respektiert dabei aber die Grenze zwischen Vita und Werk. Lasker-Schülers Leben sei durch die doppelte "Außenseitererfahrung" als Jüdin und Frau geprägt gewesen, doch habe sie stets die "Opferrolle" zurückgewiesen und die "Erfahrung der Fremdheit" als "schöpferische[s] Potential" für einen eigenen Lebens- beziehungsweise Identitätsentwurf genutzt, der sich von den Klischees jüdischer oder weiblicher Identität emanzipierte. So habe sie der antisemitischen Propaganda vom "mauschelnden, geldgierigen, prinzipienlosen Juden" das Bild des "heldischen, wilden Juden" entgegengesetzt und sei dem binären Geschlechtermodell mit dem "androgynen Selbstentwurf eines knabenhaften Dritten" entgegengetreten. Womit sie ihr Außenseiterdasein in "die elitäre Position der Auserwählten" umgedeutet habe.

Grossmanns literaturwissenschaftliches Interesse konzentriert sich auf die Figur des "charismatischen Fremden" im "Peter Hille-Buch", auf die "Problematik der Fremdheit im Eigenen" am Beispiel des positiv konnotierten Bohemien in der Essay-Sammlung "Briefe nach Norwegen" und schließlich auf den Fremden als "Schauplatz" in den 'orientalischen' Werken "Die Nächte Tino von Bagdads", "Der Prinz von Theben" und "Das Hebräerland".

R. L.

Titelbild

Uta Grossmann: Fremdheit im Leben und in der Prosa Else Lasker-Schülers.
Igel Verlag, Oldenburg 2001.
266 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3896211412

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