Der Literat über das Genie

Gutzkow über Goethe

Von Ute SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karl Ferdinand Gutzkow hat zur Zeit Konjunktur, wie die vielen Neuauflagen seiner Werke beweisen, und Goethe, zumal im Jubiläumsjahr, sowieso. 1836 erschien erstmals Gutzkows Essay "Über Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte", der in die "Gesammelten Werke" von 1845 und in die Werk-Ausgabe von 1873-76 wiederholt aufgenommen wurde. Mehr als 100 Jahre später erscheint der Essay innerhalb eines Jahres nun gleich zweimal, und zwar als selbständige Publikation im Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer (1999), herausgegeben von Olaf Kramer, die hier zur Diskussion steht, und außerdem ist der Text integriert in die Bände von Gutzkows "Schriften" (Bd. 2) im Verlag Zweitausendeins (1998), herausgegeben von Adrian Hummel.

Was macht den Text heute noch attraktiv? Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive sicherlich die Tatsache, daß der Jungdeutsche Gutzkow hier ein kritisch-differenziertes Bild vom Weimarer Dichterfürst Goethe entwirft und sich damit über die pauschale Ablehnung Goethes durch andere Vertreter des Jungen Deutschland, wie zum Beispiel Ludwig Börne, erhebt, ohne in unreflektierte Bewunderung zu verfallen. Gleichzeitig mit Anerkennung des Goetheschen Genies formuliert Gutzkow Kritik an dessen Alterswerk.

Der Genie-Gedanke verweist direkt auf einen anderen Aspekt, der dem Essay ebenfalls eine hohe Attraktivität verleiht: der Literat schreibt über das Genie. Gutzkow, Prototyp des Literaten des 19. Jahrhunderts, trifft auf den Dichterfürst. Beide Schriftsteller waren Vielschreiber, doch ihr sozialer Status, ihre gesellschaftliche Anerkennung wie auch ihre ökonomische Situation unterschieden sich eklatant voneinander. Und hier tritt die buchhistorische Perspektive des Essays zutage, die den Text so reizvoll macht: Gutzkow reflektiert die zeitgenössische Situation auf dem deutschen Buchmarkt ebenso wie die literarische Produktion seiner Zeit und diskutiert den von Goethe geprägten Begriff der »Weltliteratur«, zu der, seiner Meinung nach, alles gehört, »das würdig ist in fremde Sprachen übersetzt zu werden, somit alle Entdeckungen, welche die Wissenschaft bereichern, alle Phänomene, welche ein neues Gesetz in der Kunst zu erfinden und die Regeln der alten Ästhetik zu zerstören scheinen.« Gutzkow interpretiert Goethe, der den Begriff »Weltliteratur« nicht definiert hat, und legt ihn nach seinen Ansichten aus.

Es geht im vorliegenden Essay nicht ausschließlich um den Weimarer Dichter, sondern Gutzkow nutzt Goethe zu weiterführenden Überlegungen über die Rolle und Funktion der Literatur im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Bereits im Vorwort zur Ausgabe von 1836 formuliert Gutzkow zwei Zwecke, die seine Schrift erfüllen soll: einerseits will er, »unsern großen Dichter gegen jene Ausstellungen vertheidigen, welche in neuerer Zeit aus verschiedenartigsten Interessen gegen ihn gemacht wurden; andern Theils die selbst unter den produktiven literarischen Befähigungen der Gegenwart schwankenden ästhetischen Begriffe, regeln und eine gemeinsame Verständigung befördern.«

Dieses klärende Vorwort fehlt in der vorliegenden Ausgabe im Gegensatz zu der im Verlag Zweitausendeins. Die knappen, einleitenden Worte Gutzkows lösen den engen Fokus auf Goethe auf, und dadurch erhält der Text eine weit gespanntere Dimension mit Blick auf die Literaturgeschichte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Wahrscheinlich fiel das Vorwort dem Goethe-Jahr zum Opfer, schade.

Titelbild

Karl Gutzkow: Über Goethe. Im Wendepunkt zweier Jahrhunderte. Eine kritische Verteidigung.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 1999.
ca. 140, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3931402444

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