Ehegeschichten

Die Wiederentdeckung von Sándor Márais feinfühligem Roman "Wandlungen einer Ehe"

Von Jana SchaberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Schaber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Willst du hören, wie es damals war, im vornehmen Haus, wo ich Dienstmädchen war? Gut, dir erzähle ich auch das. Aber hör mir gut zu, denn ich erzähle keine Märchen, sondern Geschichte ..."

Poetisch und feinfühlig konzipiert Sándor Márai, der unlängst wiederentdeckte ungarische Erzähler, die Geschichte dreier Personen. Miteinander verwoben und doch völlig unterschiedlich sind die Lebensgeschichten der drei Protagonisten. Ein bürgerlicher Herr, eine Dame aus den unteren Schichten des ungarischen Bürgertums und ein armes Bauernmädchen, das lange Zeit als Dienstmädchen bei der Familie des Herrn gearbeitet hat.

Der aus drei Teilen bestehende Roman lässt jede der drei Figuren zu Wort kommen und erzählt aus ihrer Perspektive die Geschichte einer Ehe.

Zunächst ist da Ilonka. Die arme Bürgerliche, die von ihrer Ehe mit Péter, einem wohlsituierten Bürgerlichen, einem Bewahrer der alten Kultur, erzählt. Vom Beginn ihrer Ehe, von ihren Träumen und Wünschen, von Bemühungen und Fehlschlägen berichtet sie, bis zu der Erkenntnis, dass diese Ehe seit ihrem Beginn zum Scheitern verurteilt war. Auch den Kampf um die Liebe ihres Mannes und dessen seltsames Verhältnis zum Dienstmädchen Judit verschweigt sie nicht.

Doch auch Péter erzählt die Geschichte seines Lebens. Er erzählt von den Bemühungen, sich stets kultiviert und gepflogen an die Konventionen halten zu müssen, vom Zwang und der Verinnerlichung einer Kultur, die sein Leben und Tun leiteten - und was ihn den Bruch wagen ließ. Auf der Suche nach Liebe und Glück, mit dem Gedanken, dass dies der Ausbruch aus seiner Welt sein könnte, heiratete er das Dienstmädchen Judit.

Im letzten Teil des Romans erzählt auch Judit ihre Geschichte. Die Geschichte ihrer steilen Karriere, die Gesellschaftsleiter empor. Durch die Betten reicher Männer hindurch schafft sie es, ihre Armut zu überwinden. Doch, so stellt sie fest, der Wohlstand führt nicht zu wahrem Glück. Desillusioniert und klar erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Die Romanhandlung spielt in Budapest, unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkrieges. Die drei Protagonisten erzählen einem immer anderen, unbekannten Gegenüber, die Ereignisse ihres Lebens.

Márais Roman ist voller Weisheit und Poesie. In leisen Tönen malt er die untergehende Welt vor dem Ausbruch des Krieges. Stilvoll verbindet er die Zeitgeschichte mit den gesellschaftlichen Grenzen, die zwischen den Figuren stehen. Er zeigt den Untergang einer Kultur, die Bewahrer suchte, sie gewann und sie dann wieder verlor. Seine wunderbare Sprache wurde von Christina Viragh kongenial ins Deutsche übersetzt.

Der ungarische Schriftsteller Sándor Márai, u. a. Autor der Romane "Die Glut" und "Das Vermächtnis der Eszter", entwirft in diesem Roman abermals eine sensible, kluge Erzählung von Kultur, Liebe und Bürgertum. Die ersten beiden Teile der Erzählung erschienen in der Originalausgabe erstmals 1941 in Budapest. Der dritte Teil kam erst 1980 in München heraus, ebenfalls in ungarischer Sprache. Durch die Wiederentdeckung des begnadeten Erzählers Márai auch in Deutschland wurden alle drei Teile erstmals zusammengeführt.

Titelbild

Sándor Márai: Wandlungen einer Ehe. Roman.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Christina Viragh.
Piper Verlag, München 2003.
462 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3492044859

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