Atemloser Monolog

Bodo Kirchhoff beweist, dass Bücher zum Film keinesfalls langweilen müssen

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem 'Buch zum Film' ist es ja so eine Sache. Zumeist verschwinden im Nachhinein auf den Markt geworfene Film- und Drehbücher in der Versenkung, noch bevor die Kinovorlage aus den Lichtspielhäusern genommen wird. Oft beschränken sich die Bücher auf eine mehr oder minder gelungene Nacherzählung des Filminhalts, die mit der weitaus lebendigeren, weil im Kopf schon in allen Details der Vorstellung verankerten cineastischen Fassung kaum mithalten kann. Deshalb ist bei vielen Kinogängern der Vorsatz gefestigt: Hände weg vom Buch zum Film!

Anders hingegen im vorliegenden Fall: Auch wer Hannelore Elsner stupendes Solo "Mein letzter Film" bereits im Kino gesehen hat, sollte und wird sich ebenfalls die gedruckte Vorlage von Bodo Kirchhoff zu Gemüte führen und dankbar sein um die Möglichkeit der langsameren und ungleich intensiveren Re-Lektüre des Films. Das schriftliche Pendant zum Kinoerfolg, so wird schon nach den ersten Seiten klar, ist hier nicht nur bloßes Beiwerk, sondern kongenialer Zeitvertreib für alle, denen Bodo Kirchhoffs Sprachartistik im Wortrausch des Films allzu schnell vorüber ging.

"Männer stellen sich gern tot, wenn es ernst wird, Frauen werden dadurch erst lebendig. Im allgemeinen." So heißt es an einer Stelle des Buchs, und dieser Satz ist gleichsam charakteristisch für den gesamten Plot: Die alternde Schauspielerin Marie, vielfach gerühmt und verehrt für unzählige Filmrollen und eine der letzten Diven, hat im Leben alles erreicht - Preise, Ruhm, Glamour und immerwährende Omnipräsenz auf allen Fernsehkanälen. Und doch beschließt sie, ihr Leben radikal zu ändern - an ebendieser Stelle, wo es "ernst" wird und sie "zu ersticken" glaubt im Korsett der Berühmtheit, das sie nun mehr bedrängt als schützt. Sie engagiert einen jungen Kameramann und dreht mit ihm ihren "letzten Film" - in ihrer Wohnung in Berlin. Was folgt, ist ein einziger, atemloser Monolog und eine Abrechung mit ihrem Leben, dem falschen Glanz der Filmwelt und - nicht zuletzt - ihren Männern. Da ist Richard, Regisseur und Mentor Maries, mit dem sie 30 Jahre lang verheiratet war und sich doch nie wirklich geborgen fühlte. Die Ehe - ein Strudel aus Leidenschaften, Enttäuschungen und Verrat: Richard betrog sein "Kind" Marie mit den verschiedensten Frauen im und am Set, und auch sie selbst nahm sich Liebhaber, als das Scheitern der Beziehung offenbar wurde. Tomas, der sensible Fußballtrainer, Paul, der sentimentale und biedere Parteibonze - all diese Affären lässt Marie unsentimental und fast nüchtern Revue passieren. Hochs und Tiefs ihres Lebens resümiert sie, während sie rastlos durch die Wohnung streift und ihre Koffer packt - zum wiederholten und gleichzeitig endgültigen Mal. Ein bewegtes Leben zeichnet Kirchhoff da vor; bewegend besonders die Fehlgeburt Maries, die sie noch immer nicht verwunden hat. Diese Erinnerung an das Unfassbare gehört zu den ergreifendsten Momenten des Films - und ebenso des Buchs. Maries Bilanz wird so zu einem Versuch der Versöhnung mit der Vergangenheit, das Kofferpacken sinnbildlich für den Abschied von Glanz, Glamour und dem bisherigen Leben - mit nur wenigen Erinnerungsfragmenten im Gepäck.

Bodo Kirchhoff erdachte die Figur der Marie speziell für Hannelore Elsner - ein wahrer Glücksgriff. Denn beide ergänzen sich auf das Beste: Kirchhoffs teils atemlose, teils bohrend einfühlsame Sprache und das charismatische Spiel einer der besten Darstellerinnen unserer Tage - im Film wie im Buch scheint hinter dem fiktiven Text auch immer wieder die reale Figur der Schauspielerin durchzublitzen. Dabei gelingt es dem Autor, den Spannungsbogen im langen Monolog der Figur zu erhalten, ohne Tiefe und Eindringlichkeit der Erinnerungen Maries zugunsten effekthascherischer Geschwindigkeit aufzukündigen.

Der vielleicht einzige Nachteil der Filmfassung, die in manchen Passagen zu artifiziell und 'geschrieben' wirkte, wird in der Buchfassung somit zu einem Qualitätsmerkmal. Denn: Im langsamen literarischen Nachkosten der eindrucksvoll gespielten Szenen steht die Vorlage in ihrer Güte sowohl für sich allein und wirkt gleichwohl als brillante Ergänzung des Films. Libretto wie Kinowerk sind ohne einander kaum vorstellbar - und sind in der Kombination eines der bleibenden Projekte der letzten Jahre.

Hannelore Elsner "kann leiden wie ein Tier, aber vermag auch vor Glück zu strotzen", so sagt der Autor im Nachwort über die Mimin. Dass sie dies in "Mein letzter Film" zu leisten vermag, ist nicht zuletzt auch Kirchhoffs Verdienst.

Titelbild

Bodo Kirchhoff: Mein letzter Film.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2002.
92 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3627000994

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