Eine Dichtung aus Asche, eine Dichtung der Asche
Paul Celan und die Bukowiner "littérature mineure"
Von Axel Schmitt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEine nicht geringe Anzahl deutsch-jüdischer Autoren der Moderne stammen aus Vielvölkeroasen, in denen der rege geistige Austausch zwischen heterogenen ethnischen Gruppen zu einer Blüte der Literatur, Kunst und Wissenschaft geführt hat. Zu solchen Biotopen zählt auch Czernowitz, Hauptstadt des multikulturellen Buchenlandes, in dem Rumänen, Ruthenen, Deutsche, Juden, Polen, Ungarn, Armenier, Huzulen und Lipowaner jahrzehntelang relativ friedlich koexistierten. Ihre gegenseitige Einflussnahme schuf die Voraussetzung für die Entwicklung einer reichhaltigen Kultur, die eine deutsche, rumänische, ruthenische und jiddische Dichtung sowie zwei- und sogar dreisprachige Autoren hervorbrachte. In der Bukowina, diesem einst östlichsten Kronland der Donaumonarchie, nahmen die deutsche Sprache und Literatur eine Sonderstellung ein. Den entscheidensten Beitrag zum Aufblühen der deutschsprachigen Literatur und zur Vermittlung zwischen den Kulturen leisteten primär Schriftsteller und Lyriker jüdischer Herkunft, die gerade in den späten zwanziger und dreißiger Jahren die deutschsprachige Dichtung auf einen Höhepunkt brachten. Das Aufkommen der nationalsozialistischen Barbarei setzte allen kulturellen Bestrebungen jedoch ein jähes Ende und zerstörte den Bukowiner Vielvölkerstaat. Während deutsche Schriftsteller nach Deutschland zogen, wurden ihre dichtenden jüdischen Landsleute wie alle anderen Juden der Bukowina vertrieben, verfolgt und zum überwiegenden Teil ermordet. Aber selbst im Ghetto und in den Todeslagern gaben jüdische Lyriker ihre deutsche Muttersprache nicht auf, schrieben weiterhin deutsche Gedichte. Ihre Texte gehören zu den erschütterndsten Zeugnissen der Shoah-Literatur. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wanderten die wenigen Überlebenden zunächst nach Bukarest, später nach Westeuropa, Israel und den Vereinigten Staaten aus. An die von Paul Celan thematisierte "mit-/ schwörende, mit-/ schürfende, mit-/ schreibende/ Ferse" dieser einst verfolgten Lyriker heftete sich die jüdische Dichtung der Bukowina. Gleichwohl ist die Geschichte der deutsch-jüdischen Literatur in der Bukowina - bis auf wenige Ausnahmen - eine Geschichte nie erfüllter Hoffnung auf überregionale Wahrnehmung. Vieles von dem, was diese Lyriker schrieben, verblieb in der Schublade, ging verloren oder wurde erst Jahrzehnte später mit erheblicher Verzögerung veröffentlicht.
Erst in jüngster Zeit hat die wachsende Wirkung der Lyrik Paul Celans und Rose Ausländers das Interesse einer breiten Öffentlichkeit für die deutschsprachige Lyrik der Bukowina geweckt. So wurden dank der vorbildlichen Arbeit und des unermüdlichen Engagements des Rimbaud-Verlags in Aachen die Gedichte einiger anderer jüdischer Autoren wie Alfred Gong, Moses Rosenkranz, Alfred Kittner, Alfred Margul-Sperber, Immanuel Weißglas und Selma Meerbaum-Eisinger neu entdeckt und reproduziert. Ein besonderes Verdienst um die "versunkene Dichtung der Bukowina" kommt der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Amy Colin zu, die vor allem mit einer 1994 publizierten Anthologie ("Versunkene Dichtung der Bukowina", 1994) nicht nur den Versuch startete, eine versunkene Dichtung vor dem Vergessen zu bewahren, sondern auch angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Deutschland, in Europa und in der übrigen Welt die Bukowina als "ein Symbol der Völkerverständigung - einer trotz religiöser, ethnischer und kultureller Unterschiede immer wieder möglichen Völkerverständigung" zu lesen. Als besonders fruchtbar für die wissenschaftliche Analyse der deutschsprachigen Dichtung der Bukowina hat sich die Verwendung des von Gilles Deleuze und Félix Guattari im Zusammenhang mit einer Tagebucheintragung Franz Kafkas vom 25. Dezember 1911 erarbeiteten Phänomens der "littérature mineure" erwiesen, deren Bedeutung als Kristallisationspunkt geistiger und politischer Bestrebungen der ethnischen Minderheiten Kafka faszinierte. In ihrer wegweisenden Schrift "Kafka. Pour une littérature mineure" (1975; dt. 1976) betonen Deleuze und Guattari, der Prager Dichter habe drei Grundmerkmale kleiner Literaturen erfasst, die "revolutionäre Bedingungen jeder Literatur" sind, "die sich innerhalb einer sogenannten 'großen' (oder etablierten) Literatur befindet". Es handelt sich dabei um eine "Deterritorialisierung der Sprache", eine "Koppelung des Individuellen ans unmittelbar Politische" und um eine "kollektive Aussageverkettung". Schriftsteller und Lyriker, die ethnische Minderheiten repräsentieren, seien stets bemüht, den Ort, die Richtung, den Sinn ihres eigenen Schaffens zu erkunden. Nach Colin ist es nahe liegend, Kafkas Gedanken über kleine Literaturen sowie Deleuzes und Guattaris theoretische Aufnahme und Weiterführung seines Ansatzes auch auf die Literatur aus der Bukowina zu übertragen. Denn "diese Literatur war in einer geopolitischen Randzone der Donaumonarchie erblüht, hatte ihren Höhepunkt zu einer Zeit erreicht, als sie bereits ausgegrenzt, isoliert, zu einem Inseldasein im fremdsprachigen, rumänischen Raum verurteilt war, und wurde schließlich in die Nähe des Verstummens getrieben, da man ihre wichtigsten Repräsentanten, die deutsch-jüdischen Autoren, in die Todeslager Transnistriens deportierte oder zu einem Exildasein zwang." Für Colin war die Bukowiner Dichtung "eine marginalisierte und deterritorialisierte Literatur par excellence".
Obwohl viele Czernowitzer Lyriker der Bukowina voller Wehmut gedachten und den Ort als Oase der Völkerverständigung priesen - ein Bild, das vor allem Rose Ausländer immer wieder evoziert -, war die multikulturelle Bukowina weit mehr als nur ein literarischer Topos. Die Bukowina als Kulturlandschaft prägte das Denken, die Sprache und die Poesiologie ihrer Lyriker und Schriftsteller. Die in einer Vielvölkergesellschaft unabdingbare Mehrsprachigkeit, die zu den vornehmsten Merkmalen der Bukowiner Dichter gehörte, ermöglichte es ihnen, nicht nur tiefere Einsichten in andere Kulturen zu gewinnen, sondern auch in der jeweils anderen Sprache Gedichte und Prosatexte zu verfassen. Mehrsprachigkeit, Offenheit fürs Fremde, fürs Andersartige, die Polyphonie ihrer Texte, bedingte das Bestreben der Bukowiner Schriftsteller, zwischen den heterogenen Kulturen zu vermitteln, was sich nicht zuletzt in einer regen Übersetzertätigkeit äußerte. Alfred Margul-Sperber war der erste Übersetzer von Guillaume Apollinaires "Caligrammes", T. S. Eliots "Waste Land" und Gérard de Nervals Werken ins Deutsche. Er übertrug auch die Gedichte von Robert Frost, Nicholas Vachel Lindsay, Wallace Stevens sowie die Texte amerikanischer Indianer und rumänische Volksdichtung ins Deutsche, Immanuel Weißglas übersetzte Mihail Eminescu ins Deutsche, Adalbert Stifters "Nachsommer" und beide Teile von Goethes "Faust" ins Rumänische. Alfred Kittner übertrug rumänische Autoren wie Emil Botta, Jean Bart und viele andere ins Deutsche, Paul Celan, der Kurse für Übersetzung an der Ècole Normale Supérieure gab, veröffentlichte eine Vielzahl von Übersetzungen aus dem Rumänischen, Hebräischen, Französischen, Russischen, Englischen, Portugiesischen und Italienischen ins Deutsche.
Die Über-Setzung literarischer Traditionen aus einer Welt in eine andere lässt sich auch in einem anderen Kontext betrachten. So verweist Amy Colin zu Recht darauf, dass die Rezeption und Weiterführung von Motiven und Themen aus anderssprachigen Literaturen der gemeinsame Nenner der meisten Bukowiner Autoren wurde. "Mit der Marginalisierung und späteren Deterritorialisierung der Bukowiner Literatur hängt die Vorliebe der meisten Autoren für einen der Tradition verpflichteten Stil, für etablierte Schreibweisen zusammen - eine Tendenz, die bei manchen eine bewußte, bei anderen eine ungewollte Epigonalität zur Folge hat." Viele jüdische Autoren aus der Bukowina, insbesondere die Überlebenden der Shoah, betrachteten sich, wie Amy Colin jüngst in ihrem Beitrag für das Paul Celan-Symposion in Wien ("Paul Celan - eine plurale Identität: Bukowiner, Jude, Europäer") noch einmal unterstrich, als "Söhne und Töchter der deutschen Sprache". Die deutsche Sprache war indes nicht nur Heimat, aus der sie nicht vertrieben werden konnten, sondern auch ein Medium, in dem sie ihre Identität als Dichter und Juden konstituierten. Manche dieser Autoren wie Rose Ausländer übertrugen die platonische Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele auf die Sprache und nahmen an, es gäbe eine irgendwie geartete "reine, intakte sprachliche Sphäre", die selbst die nationalsozialistische Barbarei nicht habe beschmutzen können. Moses Rosenkranz betrachtete die Sprache als heilig; Rose Ausländer, Alfred Kittner und Immanuel Weißglas hofften, verbrauchte Wörter zu neuem Leben zu erwecken, sie mit neuem Sinn, neuer Bedeutung zu erfüllen, um aus der Mördersprache ein sprachliches Gefäß zu schaffen, in dem sie ihre traumatischen Erfahrungen aufbewahren konnten. Selbst als Ausgestoßene, Verfolgte und Exilierte gaben die jüdischen Lyriker der Bukowina ihre deutsche Muttersprache nicht auf. Im Ghetto, unter drohender Lebensgefahr schrieben Rosenkranz, Ausländer, Celan und viele andere deutsche Gedichte. In den Todeslagern Transnistriens verfassten Kittner und Weißglas deutsche Balladen und Sonette. Die integre Welt der Dichtung, dem Chaos der Wirklichkeit entgegengestellt, gab diesen Lyrikern Lebenssinn.
Erst viele Jahre später, nach dem Krieg verwirklichten manche von ihnen Paul Celans Forderung nach einer graueren Sprache, die - wie Celan es formulieren sollte - nichts mehr "poetisiert" und "ihre Musikalität an einem Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem 'Wohlklang' gemein hat, der noch mit und neben dem Furchtbarsten mehr oder minder unbekümmert einhertönte". Celan setzte den Akut auf die sich stets ändernde Sprache, die von Finsternissen angereichert sei. Ihm ging es nicht darum, die Sprache von solchen "Finsternissen" zu befreien, sondern deren "Verkarstung" aufzudecken, die Erinnerung an die Vergangenheit, an die Shoah als identitätsstiftenden Faktor der Sprache zu reflektieren. Nach Colin hatten die jüdischen Lyriker und Schriftsteller der Bukowina "im Gegenlicht des Todes [...] eine Dichtung aus Asche, eine Dichtung der Asche geschaffen. Aber aus der Asche war der Vogel Phönix entsprungen: eine Dichtung der Diaspora, eine Dichtung, die von Erinnerungen lebte und einen U-Topos, eine, wie Celan es formulierte, U-topie schuf - die imaginäre Bukowina". Andrei Corbea-Hoisie weist in seinem Beitrag zum Celan-Symposion in Wien ("'Deutschsprachige Judendichtung' aus Czernowitz") darauf hin, dass die "Utopie eines gegenüber dem Hass der Umgebung immunen und in Zeitlosigkeit entrückten sprachlichen Raumes [...] einen letzten verzweifelten Widerstandsversuch gegen eine heruntergekommene, zum Totschlag aufhetzende Redeweise [zeigt], deren Destruktivität die Dichter, die die Gefährdung ihrer bloßen Existenz lebhaft empfanden, auf eigene Rechnung abwenden und neutralisieren zu können glaubten".
Die jüdisch-deutsche Bukowiner Dichtung erfuhr in Paul Celans späten, in Paris entstandenen Gedichten ihre ungewöhnlichste Weiterentwicklung. Seine von Wunden und Schmerzen durchdrungenen Texte, die hebräische, jiddische und russische Ausdrücke, den Ton rumänischer Klagelieder mit französischen und englischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Fachtermini sowie Neologismen und kühnen Metaphern zu einem eigenartigen 'Sprachgitter' verknüpften, steigerten das Multikulturelle zu einem künstlerischen Idiom von erstaunlicher Prägnanz. Diese Spracherneuerung, die einen radikalen Neubeginn, eine 'Atemwende', markiert, trieb das dichterische Wort zugleich in sein engstes Ende, marginalisiert, deterritorialisiert es, siedelt es an der Grenze zum Verstummen an. Durch eine solche 'Engführung' hoffte Celan als Überlebender der Shoah in der Sprache der Mörder, die trotz allem, was geschehen war, seine Muttersprache blieb, dennoch Gedichte schreiben zu können, um die Erinnerungen an das Geschehene wach zu halten, um eine Richtung, einen Sinn zu finden, um sich "Wirklichkeit zu entwerfen". Aber seine Texte evozierten immer wieder den Weg, der zum Rande des Verstummens, zum "Nicht-mehr-Sein" führte, ein Weg, den die deutsch-jüdische Dichtung der Bukowina auf ganz andere Weise zurückgelegt hatte. Auf diese Weise siedelte Celan seine Gedichte gerade an jenem fernen Ort an, an dem die Shoah die jüdische Lyrik seiner Heimat angesiedelt hatte. Immer wieder riefen Celans Bilder den "Meridian" des Schmerzes hervor, der ihn mit Czernowitz, aber auch mit Kafkas Prag und der dortigen "littérature mineure" verband. Celan, der einst einige kurze Prosatexte von Kafka ins Rumänische übersetzte und später über ihn promovieren wollte, empfand ihn als einen Schicksalsgefährten. Für Celan war Prag ein zweites Czernowitz, der Ort, an dem nicht nur heterogene Kulturen, sondern auch ost- und westeuropäisches Judentum zusammentrafen. Die Intertextualität von Celans Dichtung lässt ihn als einen Kosmopoliten erscheinen. Wie sein Gedicht "Eine Gauner- und Ganovenweise gesungen zu Paris emprès Pontoise von Paul Celan aus Czernowitz bei Sadagora" andeutet, empfand er sich selbst als jüdischen Françoise Villon aus der Vielvölkerstadt Czernowitz bei Sadagora, der letzten osteuropäischen Hochburg des Chassidismus.
Eine wichtige Bedeutung für Celans Frühwerk hatte Alfred Margul-Sperber (1898-1967), ein Mann von über zwei Metern Körpergröße. Geboren in der ländlichen Bukowina, aufgewachsen in Czernowitz, nach Soldatenjahren wiederum in Czernowitz auch literarisch aktiv, hatte er die Jahre von 1920 bis 1924 in Paris und New York verbracht, war Guillaume Apollinaire und Yvan Goll begegnet und hatte sogar Kafka kennen gelernt. Zwischen 1924 und 1933 war er es, der das literarische Leben in Czernowitz inspirierte und lenkte. Seit 1940 lebte er, überwiegend kümmerlich, in Bukarest. Den Deportationen war er mit Glück entgangen, so dass er nach 1945 die Rolle als Förderer junger Literaten, als Übersetzer und auch als Lyriker spielen konnte. Margul-Sperber hat den poetischen Traditionalismus in Bukowiner Ausprägung, den auch die anderen deutsch-jüdischen Lyriker in der Zwischenkriegszeit kultivierten, mit Gedichten von hohem sprachlichen Rang ausgeformt und entscheidend mitgeprägt. Trotz seiner Randposition und der Gewissheit, nur einen sehr kleinen Leserkreis ansprechen zu können, empfand er sich als deutscher Dichter, sein Selbstverständnis war eingebettet in das Zugehörigkeitsbewusstsein zu österreichisch-deutschen Kulturnation. Celan kannte natürlich seine Gedichtbände "Gleichnisse der Landschaft" (1934) und "Geheimnis und Verzicht" (1939), doch nie hatte er Margul-Sperber zu Gesicht bekommen. Dieser war es aber schließlich, der Celan 1948 von Bukarest aus den Weg in die deutschsprachige literarische Öffentlichkeit, via Wien und Zürich, bahnte. Und Margul-Sperbers Frau Jessika zeichnete für die Kreation des Anagramms von Antschel Paul zu Paul Celan verantwortlich. Margul-Sperber schickte u. a. Texte von Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Paul Celan und Immanuel Weißglas an Ernst Schönwiese, den Herausgeber der Salzburger Zeitschrift "Das Silberboot" (1946 - 1952), und Celans Typoskript des Gedichtbandes "Der Sand aus den Urnen" an Otto Basil, den Herausgeber des Wiener "Plan" (1946 - 1948). Der "Plan" veröffentlichte 1948 17 Gedichte von Paul Celan sowie Auszüge des inzwischen berühmt gewordenen, verblüffend hellsichtigen Empfehlungsschreibens Alfred Margul-Sperbers vom 9. Oktober 1947 an Otto Basil.
Paul Celan hat sich dieses Freundschaftsdienstes immer wieder dankbar erinnert, gerade in den schwierigen frühen sechziger Jahren. Das hatte zur Folge, dass Margul-Sperber heute in Deutschland zu Unrecht fast nur als Förderer des jungen Celan bekannt ist, nicht aber als bedeutender formstrenger und traditionsgebundener Lyriker. Sieht man von seinen nie gesammelten journalistischen Arbeiten, darunter auch satirisch-polemische Texte, ab, ist Margul-Sperber fast ausschließlich Lyriker. Von ihm liegen insgesamt 14 Gedichtbände vor. Im Zentrum seiner Gedichte - deren eindrucksvollste fast durchweg Naturgedichte sind - steht, nach erst spät bekannt gewordenen expressionistischen Versuchen, lange die symbolisch aufgeladene Landschaft der Bukowina. In einem poesiologischen Text von 1945 kennzeichnet Margul-Sperber seine Auffassung von Dichtung: "Das Gedicht ist die Kunst, das Unsägliche zu sagen. [...] Das Gedicht ist die Erinnerung an ein Niedagewesenes, [...] das Lächeln eines Kindes über die Verworrenheiten des Lebens [...]." Diese Poetik wie auch das Überwiegen des Reims und die metrische Strenge noch seiner späten Gedichte verweisen seine Texte zurück ins 19. Jahrhundert, aber auch auf Stefan George und Karl Kraus, die ihn besonders geprägt haben. Peter Motzan markiert in seinem kenntnisreichen Nachwort zu der unter dem Titel "Ins Leere gesprochen" bei Rimbaud publizierten Gedichtanthologie Margul-Sperbers "das Bild einer verwirrenden Ausdrucksvielfalt, changierender Positionen, von Entwürfen und Gegenentwürfen" in den Texten des Czernowitzer Lyrikers. "Von widersprüchlichen kulturellen und Lebenserfahrungen, von schwer entwirrbaren, zentrifugalen Prägekräften wurden das flexible, das fluktuierende Realitätsverständnis des Dichters und seine ästhetischen Konzeptionen geformt und umgeformt: jüdische Herkunft, deutsche Muttersprache, mehrsprachiges Umfeld, fünfzigjährige Schriftstellerexistenz in Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, wechselnde Wohnsitze (Alternanz von Provinzstädten und Kapitalen), Marginalisierung und Dekorierung, diverse Brotberufe und unzerstörbare 'Literaturbesessenheit', harte Realitätszwänge und erträumte Wunschziele." Das Gedicht begriff Margul-Sperber als die ihm gemäße Form gleichzeitig der Sinnsuche und der Identitätsbewahrung.
Erst durch brutale Ausgrenzung wurde Margul-Sperber sich seines Judentums schmerzlich bewusst. Trotzdem oder gerade deswegen begegnen jüdische Motive in seinen Texten eher selten. Selbst das Gedicht "Auf den Namen eines Vernichtungslagers" - beruhend auf dem kakophon anmutenden Gleichklang von 'Buchenwald' und 'Buchenland' (Bukowina) - spricht nicht ausdrücklich von Juden, so wenig wie die Verse auf den großen jiddischen Czernowitzer Dichter "Für Itzig Manger". Der Bezug Margul-Sperbers, der sich um die innerjüdischen Konflikte wenig gekümmert zu haben scheint, zum Judentum ist daher eher in seiner Rolle innerhalb der Czernowitzer Literaturszene und deren Ausläufern nach Bukarest zu sehen. Aufgrund seiner Kontakte vor allem zu Wiener Literaten versuchte er Autorinnen und Autoren den Zugang zur deutschen Literatur zu erleichtern, wovon neben Celan vor allem Rose Ausländer profitierte. Schon früh hat Margul-Sperber eine ausführliche Bilanz der in seinen Augen in ihre letzte Phase eingetretenen deutschsprachigen Literatur der Bukowina verfasst ("Der unsichtbare Chor", in: "Czernowitzer Morgenblatt", 25. Juli - 5. August 1928, in 8 Teilen) und eine große Anthologie der Lyrik aus der Bukowina vorbereitet, die, von Alfred Kittner weiter betreut, erst nach dessen Tod, von Amy Colin herausgegeben, 1994 erschienen ist.
Dem ebenfalls aus dem bukowinischen Czernowitz stammenden Dichter Alfred Gong (eigentlich: Alfred Liquornik, 1920 - 1981) war eine ähnlich proteische Identität beschieden. Als "Phänotyp unserer Zeit" bezeichnete er sich in einem Brief an Joseph P. Strelka vom 17. März 1973, in dem er sich aus der Distanz zu sehen versuchte und daher in der dritten Person schrieb: "Sein Leben wurde von den historischen Widersprüchen und Katastrophen unserer Zeit gekennzeichnet, sie fanden ihren Niederschlag und ihre Transkription in seiner Dichtung. Der europäische Grenzlandbewohner, der die Mesalliance und den Vernichtungskampf zwischen Hitler und Stalin am eigenen Leibe zu spüren bekam; ein Odysseus, der Staatsangehöriger der Sowjetunion war, nun Bürger der USA ist, dessen Sprache ihn aber als Wahldeutschen ausweist; nebenbei auch Ostjude, der wahrscheinlich das christlichste Gedicht in der zeitgenössischen deutschen Literatur verfaßt hat ('Erkenntnis'); schließlich ein anonymer 'Robinson auf dem Eiland Manhattan', mitten in der übervölkerten Leere auf ein Schiff zurück hoffend." Sämtliche dieser aufgezwungenen und freiwilligen sozialen, politischen, psychologischen Rollen, die Alfred Gong als rumänischer, sowjetischer oder amerikanischer Bürger, als provisorischer Wiener, als "displaced person" und Deutsch schreibender Jude spielen musste, haben, worauf Peter Rychlo in seinem Beitrag ("Jüdische Identitätssuche im Werk von Alfred Gong") für den von Armin A. Wallas herausgegebenen Band "Jüdische Identitäten in Mitteleuropa" zu Recht hinweist, in seinem dichterischen Werk ihre Spuren hinterlassen. Als "wirkliche Stützsäulen seiner lyrischen Welt" macht Rychlo drei Elemente aus: seine jüdische Abstammung, seine bukowinische Heimat und seine deutsche Muttersprache. Die Gedichte von Alfred Gong aus seinen Bänden "Gras und Omega" (1960), "Manifest Alpha" (1961), "Gnadenfrist" (1980) sowie aus seinen posthum erschienenen Sammlungen "Early Poems" (1987) und "Israels letzter Psalm" (1995) thematisieren seine jüdische Herkunft, Biographie und Lebenserfahrung.
Die häufig in Gongs Gedichten begegnenden christlichen Themen und Motive verwerfen nicht seine jüdische Identität, sondern reichern sie mit neuen Elementen und Nuancen an. Es ist für den Dichter kein Riss, sondern nur eine Wende: "Die alte Zeit zerbricht, die neue singt in Wehen", heißt es in "Weichbild". Zu dieser Tradition gehörte fraglos auch der Chassidismus, der in Sadagora eines seiner wichtigsten geistigen Zentren hatte. Chassidische Wurzeln, Weisheiten und Legenden gehörten zu den unauslöschbaren Elementen des poesiologischen Denkens fast aller deutsch-jüdischen Dichter der Bukowina. Darauf hat bekanntlich Paul Celan in seiner "Bremer Rede" mit einigem Nachdruck hingewiesen: "Es war eine Gegend, in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener chassidischen Geschichten zu Hause war, die Martin Buber für uns alle auf deutsch wiedererzählt hat." Diese chassidische Welt mit ihren Sitten und Riten erscheint bei Gong in all ihrer Dynamik als ein prächtiges Winterbild in seinem Gedicht "Bukowina": "Weihnacht im Tal. Der Wunderrabbi/ mit schneeigem Bart tanzte im Schnee/ mit dem Schnee überm Schnee -/ unterm Schnee träumte ganz Sadagura." Das 'magische Licht', das das chassidische Sadagora ausstrahlte, war ein wichtiger Faktor bei der Herausbildung der jüdischen Identität in der Bukowina. Als Intertext taucht dieses Motiv auch in vielen Gedichten von Rose Ausländer auf. In ihrem Text "Sadagorer Chassid" heißt es: "Achtzigjähriger Greis/ sein Bart betete weiß/ auf der Brust/ [...]/ Tanzte der Sadagorer Chassid/ mit den andern Chassidim." Alfred Gongs Herangehen an die chassidische Welt korrespondiert nach Ansicht Rychlos mit Rose Ausländers poetischer Evokation von bunten chassidischen Riten, steht aber in deutlichem Kontrast zu Paul Celans Texten, da Gong trotz gelegentlicher Lektüre in Büchern über die Kabbala niemals wie Celan eine ästhetische Version und Synthese von jüdischer Mystik mit Poesie versucht hat.
Bereits in der Frühzeit seines Lebens war Alfred Gongs Verhältnis zum Judentum durchaus affirmativ - im Unterschied zu dem traumatischen Verhältnis seines Schulkameraden Paul Celan, der, wie Israel Chalfen zeigen konnte, als Schüler und Gymnasiast seine jüdische Herkunft lieber zu verhüllen suchte. Für Gong bestand das Problem nicht in der Opposition "Jude oder Nichtjude", da er sein Judentum als "Schicksal" empfand, sondern in verschiedenen Gegensätzen und Diskrepanzen innerhalb des Judentums selbst. Höchst charakteristisch ist in dieser Hinsicht das Gedicht "Ein Jude", das Max Brod gewidmet ist. Einerseits stellt es eine scharfe Auseinandersetzung mit einigen kanonisierten Postulaten der jüdischen Tradition und der jüdischen Religionsgeschichte dar, die das Leben jedes Juden, sein Denken und Fühlen zu streng reglementieren. Andererseits akkumuliert dieses Gedicht in seinen refrainartigen Zweizeilern, die die Hauptstrophen intonieren und eine andere thematische Ebene bilden, die Shoah-Problematik der deutsch-jüdischen Dichtung der Bukowina im Allgemeinen, was von typologischen Parallelen bei der Behandlung dieses schmerzhaften Themas durch andere Bukowiner Autoren zeugt: "Einer knetet mein Herz und raunt und verkündet:/ Auserwählt bist du, auserwählt/ das Salz der Erde zu sein,/ von ihm geliebt und gequält!// [...]/ Einer kerbt mir ins Fleisch Bund und Gesetz,/ ich aber schwelge in Künsten/ und rase ums Goldene Kalb,/ umtanzt von Feuersbrünsten.// [...]/ Einer blendet durchs Lid, einer aus meinem Stamm,/ der eine aufs Kreuz gespannt,/ mein Bruder, für den sie mich/ aus ihrem Kreise verbannt."
In Alfred Gongs Gedichten tauchen immer wieder Motive und Bilder auf, die auch von Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Immanuel Weißglas oder Paul Celan entwickelt wurden, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ihre gemeinsame Lagererfahrung zurückzuführen ist. Verdeutlichen lässt sich dies anhand von Gongs Gedicht "So stirbt der Mensch": "Doch schaut: Sie sterben ohne Bett, ohne Grauhaar,/ Sie sterben in der Luft und im Wasser,/ zerrissen verschlingt sie die Erde./ Kein Grab verewigt ihren Namen.// Sie sterben am Rad und im Ofen, gefesselt, Fraß der Termiten, vom Sand, vom Schnee erbarmungslos verbrannt./ Und der Wind weiß nicht ihren Namen." Bekanntlich ist in der Forschung und Literaturkritik viel darüber diskutiert worden, ob einzelne Bilder aus Paul Celans "Todesfuge" eigenständig, künstlerisch souverän oder irgendwie von anderen Texten 'abhängig' seien. Diese über Jahre hinweg mit Sorgfalt am Leben erhaltene wissenschaftliche Polemik verdeutlichte, dass die Fragestellung unter einem solchen Blickwinkel nicht korrekt genug war, da es sich hierbei um typologische, sehr verbreitete, fast aphoristisch gewordene Sprachformeln handelte, die im engen bukowinischen und transnistrischen Raum "in der Luft" hingen. Neben dem immer wieder bemühten Immanuel Weißglas bietet auch Alfred Gong eine etwas modifizierte Variante der beschwörenden Sentenz Celans "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", indem er den Tod, inmitten der KZ-Wirklichkeit, als einen galanten Kavalier mit unverwechselbar 'arischen' Zügen stilisiert: "Die Streifen unserer Kleider: Gitterschatten,/ die Zahl auf unserer Haut ist unser Name,/ Scheinwerferkegel sind die Zeiger unserer Uhr -/ und unser Fleisch ist schmerztaub: Holz des Lahmen./ Der Tod ist blond und schlank, er küßt die Hand der Dame."
Auch Moses Rosenkranz' (1904 - 2003) Gedichte umfassen, neben vielen anderen Bereichen, Landschaft und Leben in der Bukowina, thematisieren aber auch die Erfahrung von Antisemitismus, Krieg und Verfolgung. Doch hat sich Rosenkranz nicht als politischer Autor im engeren Sinne verstanden. Indessen zeigte sich schon in der frühen Lyrik, wie Matthias Huff hervorhebt, dass sein "Verhältnis zum Judentum eher das der Solidarisierung als der Identifizierung" ist. Ende 1924 verließ Rosenkranz die Bukowina und gelangte nach Frankreich, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen musste, kehrte aber 1927 nach Czernowitz zurück und wurde umgehend zum Militär eingezogen. 1930, wieder in Czernowitz, lernte er Alfred Margul-Sperber kennen, der noch im selben Jahr Rosenkranz' ersten Gedichtband "Leben in Versen" herausgab. Moses Rosenkranz blieb ein Einzelgänger mit kritischem Blick auf seine Dichterkollegen, was vor allem einem Gespräch des Bukowiner Dichters mit Stefan Sienerth von 1993 zu entnehmen ist. Dort antwortet Rosenkranz auf die Frage nach der menschlichen und künstlerischen Bedeutung der Bekanntschaft mit bedeutenden rumänischen und rumäniendeutschen Schriftstellern: "Mit Alfred Margul-Sperber [...] habe ich mich zeitweise recht gut verstanden. Gegenüber Paul Celan und anderen, die ich nur flüchtig kannte - ebenso Alfred Kittner - habe ich Bedenken." 1930 siedelte Rosenkranz nach Bukarest über, wo er von Oskar Walter Cisek in die politisch-literarischen Kreise eingeführt wurde. Dort bekam er schließlich auch eine Stelle als Privatsekretär des Dichters und Politikers Ion Pillat sowie als Pressereferent und Übersetzer im Außenministerium. Ende der 1930er Jahre kam es auch in Rumänien infolge faschistischer Umtriebe immer häufiger zu antisemitischen Ausschreitungen, sodass Rosenkranz seine Arbeitsstelle im Außenministerium verlor. Auch die vom Kulturministerium bei ihm in Auftrag gegebene Anthologie der rumänischen Literatur, deren Texte er auswählte, übersetzte und kommentierte, wurde nicht mehr gedruckt. Rosenkranz kehrte umgehend nach Czernowitz zurück, das ebenso wie die Bukowina bald darauf von der sowjetischen Armee besetzt wurde. Diese Okkupation seiner Heimat thematisierte Rosenkranz in dem Gedicht "Bukowina 1940 - 1941". Er betrauert hier, worauf Reinhard Kiefer mit einigem Recht aufmerksam gemacht hat, "das Versinken eines Lebens- und Kulturraumes, in dem Menschen verschiedenster Volkszugehörigkeit und Religion friedlich miteinander lebten": "Nicht zerworfen in Nationen/ durften einst in deinen Grenzen/ Völker Bukowina wohnen/ sich im Lebensdienst ergänzen// Heut durch Flaggen aufgeboten/ Kirchenfähnlein auch geschieden/ wachsen Hügel über Toten/ zwischen euch einst eins in Frieden// Und das arme Land gepriesen/ bis zu euch als fromme Stelle/ heute darbt es ausgewiesen/ als ein Tummelplatz der Hölle"
Nur ein knappes Jahr später zogen deutsche Truppen in die Bukowina ein. "Nun wurde es apokalyptisch", erinnert sich Moses Rosenkranz, "ich verlor viele teure Menschen, nicht nur unter den Juden. Ich organisierte vordatierte Judentaufen, geriet darüber ins Gefängnis. Damit ich der Deportation entgehe, steckten mich rumänische Freunde in ein moldauisches Arbeitslager." Vor diesem Hintergrund entstand 1942 das Gedicht "Die Blutfuge", das wegen der Titelähnlichkeit mit Celans "Todesfuge" zu den bekanntesten des Autors zählt: "O Bach von Blut! auf gelbe Bernsteintasten/ ergießend sich aus offnen Fingerstummen/ so muß ein Herz zu seinem Grabe hasten/ durch starkes feierliches Orgelsummen// So muß ein junges Leben Partituren/ erfülln mit seinem vollen Herzensschlag/ beseelt ertönt durch rote Abendfluren/ was stumm im Staube welker Blätter lag// Was laut im Feuer keuscher Jünglingslieder/ gerauscht verebbt und geht gemach zur Neige/ am Sterbenden vergehn mit ihm die Lieder/ ein Celloruf und eine letzte Geige// Tot auf den Tasten ruhn die Fingerstummen/ die Seele zittert in den Pfeilen nach/ durch hohles Grab tiefes Orgelbrummen/ tropft wieder Jesu Blut: O Blut von Bach!" 1944 gelang Moses Rosenkranz die Flucht nach Bukarest, wo er bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen im Untergrund lebte. Die Erfahrung von Verfolgung und Zerstörung der Heimat bildete nach Kiefer von dieser Zeit an "eine thematische Konstante in seiner Lyrik". Nachdem er einige Jahre als Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes in Bukarest gearbeitet hatte, wurde er im April 1947 vom russischen Geheimdienst entführt, nach Moskau geschafft und blieb zehn Jahre im Gulag verschollen. Nach seiner Rückkehr schrieb er vielsagend in "Der Erledigte": "Zu mir kommt niemand zu Besuch/ und mich erwartet niemand mehr:/ Gestrichenem im Lebensbuch/ versagt die Welt die Wiederkehr." Moses Rosenkranz' Produktivität war durch die lange Zeit der Inhaftierung jedoch nicht gebrochen, was seine Gedichte nach 1957, seine Prosa ("Der Hund", "Die Leiden der Eltern") und das aus politischen Gründen nicht veröffentlichte Versepos "Der rote Strom" eindrucksvoll belegen. Als Rosenkranz 1961 erfuhr, dass die Securitate einen Prozess gegen ihn anzustrengen vorhatte, entschloss er sich, aus Rumänien zu fliehen. Er gelangte schließlich in die Bundesrepublik und ließ sich im Schwarzwald nieder, wo er vor wenigen Wochen kurz vor Vollendung seines neunundneunzigsten Lebensjahres verstarb.
In einem Gespräch mit Stefan Sienerth hat sich Moses Rosenkranz zehn Jahre vor seinem Tod fast vehement gegen die Vorstellung von einer als Einheit begreifbaren "deutschsprachigen Dichtung der Bukowina" gewendet: "Über die deutschsprachige Dichtung der Bukowina ist vor allem in den letzten Jahren viel Gescheites geschrieben worden. Ich für meine Person möchte dazu folgendes anmerken, selbst auf die Gefahr hin, bei Kennern anzuecken: Eine Bukowiner Dichtung, wie sie den Literaturhistorikern vorschwebt und wie diese sie in wissenschaftlichen Abhandlungen zu rekonstruieren versuchen, hat es nie gegeben. Es gab nur einzelne Schreibende, und jeder hat auf seine Weise zur Literatur gefunden." So richtig diese Wertung auch ist, aus der Distanz betrachtet ist die Bukowiner Dichtung jedoch als eine Erscheinung erstaunlicher Gemeinsamkeiten erkennbar. Vollends unübersehbar wird die Gemeinsamkeit dieser Dichtung überall dort, wo sich die 'Wunden' der Shoah - der Verfolgungen, Drangsalierungen, Einkerkerungen und Entwürdigungen, von denen Juden vor der Jahrhundertmitte betroffen waren, in die 'Worte' der Gedichte eingeschrieben haben. So individuell verschieden der Einzeltext sein mag: eine geradezu beklemmende Entsprechung in der Dichte der Aussagen in den Gedichten von Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Margul-Sperber, Alfred Gong, Alfred Kittner und Immanuel Weißglas stellt die Gemeinsamkeit her. In seinem autobiographischen Fragment "Kindheit" bemerkt Moses Rosenkranz über seine Shoah-Gedichte daher treffend, was auch für andere Bukowiner Literaten gelten mag: "Diese Gedichte sind Demonstrationen menschlicher Möglichkeiten. Es wird nirgends lamentiert, es wird nirgends geheult, es ist halt dargestellt."
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