Immer wieder Krieg

Herfried Münklers Gang durch die moderne Kriegstheorie

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das, was den Krieg als solchen ausmacht, ist das gewaltsame Sterben zahlreicher Menschen. Nicht die Vernichtung materieller Werte, nicht das Ertragen ungerechter Behandlung hebt den Krieg aus der historischen Ereigniskette hervor, sondern die darin stattfindende geplante Tötung. Ein Buch über Stationen der Kriegsgeschichte und ihre theoretische Reflexion ist daher wie ein Buch über den Tod - der Unterschied zwischen Theorie und ihrem realen Komplement kann nicht grösser sein.

Als Leser wird man sich dies vor Augen halten und wenig über die Wirklichkeit der Kriege erwarten, sondern sich auf die abstrakten Diskussionen über den Krieg einstellen müssen, die seit biblischen Zeiten und der Antike geführt wurden. Und genau dies bieten die zwölf Kapitel in Herfried Münklers bereits in zweiter Auflage vorliegendem Band: Es handelt sich um eine brillante Darstellung dessen, was an entscheidenden Wendepunkten der Kriegsgeschichte über die Formen, Gründe und Strategien des kriegerischen Tötens gedacht wurde.

Die äußeren Veranlassungen zum Waffengang unterscheidet von den tieferen, strukturellen Voraussetzungen ein einführender Beitrag am Beispiel des Peloponnesischen Krieges im Urteil des Aristophanes, Thukydides und Platon: Während für den Dichter der Krieg "dreier Prostituierter wegen" ausbrach, hat der Geschichtsschreiber die Angst beider Seiten vor dem Reputationsverlust als längerfristige Ursache gesehen und der Philosoph die Politik eines luxurierenden Seehandels als Beginn der falschen Entwicklung gebrandmarkt. Das hierbei auftauchende Gegensatzpaar von innen und außen zur Erklärung der Kriegsursachen zeigt seine analytische Scheidekraft auch am Beispiel des Ersten Weltkriegs, jener Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, in der sich, mit Barbara Tuchmans Prägung, "die Torheit der Regierenden" erwies, als sie sich nicht mehr in der Lage zeigten, die bald erkennbare Diskrepanz von Kriegskosten und - zielen durch einen Waffenstillstand aufzuheben.

Was politische Klugheit in der Neuzeit heißt, hat vor allem Niccolo Machiavelli definiert. Seine Kriegstheorien gingen von der permanenten Dynamik der zwischenstaatlichen Beziehungen aus und verlangten daher von der anpassungsfähigsten Staatsform - der Republik - auch die ständige Kriegsbereitschaft. Dieser Annahme lag eine Anthropologie zugrunde, nach der sich die Menschen eher auszeichneten durch das Erstreben dessen, was sie nicht hatten, als durch ruhiges und zufriedenes Besitzen. Auch Machiavelli sah als Ursache der Kriege das Wechselspiel innerstaatlicher Konfliktdispositionen und ihrer Auswirkung auf zwischenstaatliche Machtmöglichkeiten. Die Kriege wurden nach den von sich selbst unterhaltenden Söldnerheeren devastatorisch geführten Religionsauseinandersetzungen in der folgenden Epoche der entstehenden absolutistischen, mit festen Grenzen, stehendem Heer und einheitlichem inneren Territorium ausgestatteten Staaten eher zu einer Sache von disziplinierten Berufsheeren, die die Zivilbevölkerung möglichst nicht einbezogen. Es bildete sich heraus, was Carl Schmitt "die Hegung des Krieges" nannte, die Konzentration auf wenige, strategisch ausgeklügelte Schlachtenmanöver, ausgeführt von gedrillten Berufssoldaten. Erst mit der "levée en masse" der Französischen Revolution, d. h. der Mobilisierung von begeisterten und ideologisch motivierten Bevölkerungsteilen in den Kriegen gegen die revolutionsfeindlichen feudalabsolutistischen Staaten fand diese Form des Kriegsverständnisses seine erfolgreichere Alternative. Die Herausarbeitung dieses Gegensatzes durchzieht den größeren Teil des Bandes und weist auf die intellektuelle Formierung des Autors hin.

In den revolutionären, aber auch in den gegen die napoleonischen Heere kämpfenden Armeen Spaniens und Preußens stellt Münkler mit Clausewitz ein existentielles Moment heraus, das der berühmten Definition der instrumentellen Fassung des Krieges durch Clausewitz als "Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln" sich zur Seite gesellt. In mehreren Kapiteln arbeitet Münkler nicht nur die komplexe Theorie dieses bedeutendsten Kriegstheoretikers der Neuzeit heraus, sondern weist im Kontrast zu den Theorien Carl Schmitts und Friedrich Engels' einige der Grundzüge der modernen Kriegstheorie auf. Bei dem vielfach unterschätzten militärpolitischen Autor Engels wechselt der deterministische Glauben an das Ende aller Kriege im Sozialismus (und von daher eine weitgehendes Akzeptieren der militärischen Gewalt als Mittel der zeitgenössischen Politik) hin zu einer aktiven Abrüstungspolitik gegen die unkontrollierte technologische Macht der nun die Massen mobilisierenden Kriege. Gegen diese Entwicklung eines ausufernden, alle technischen und humanen Ressourcen verbrauchenden Krieges hat Carl Schmitt die Führbarkeit eines Krieges in der Moderne von der generellen Einhegung seiner strukturellen Reichweite abhängig gemacht - paradoxerweise als Parteigänger eines totalitären Regimes, das den "totalen Krieg" ausrief und auch mit verheerenden Folgen führte. Gelang die Zähmung des Krieges nicht, so gewann nicht nur für den Staatsrechtler Schmitt die Figur des Partisanen an Interesse. Münkler führt von der schwierigen Unterscheidung zwischen regulären Truppen und den Non-Kombattanten im Guerillakrieg und der damit einhergehenden Entgrenzung von Zeit und Raum des Krieges über zu den aktuellsten Entwicklungen nach dem Ende des kalten Krieges und dem 11. September 2001.

Über 70 Prozent der kriegerischen Auseinandersetzungen der Gegenwart finden unterhalb der staatlichen Ebene statt: Bürgerkriege, terroristische Anschläge als Bestandteil einer asymmetrischen Strategie, Guerillaoffensiven, Feldzüge mafiotisch organisierter Söldnerheere, religiös motivierte Attacken international operierender Gruppierungen - die gravierenden Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gegenüber 'klassischen' zwischenstaatlichen militärischen Auseinandersetzungen sind nicht zu übersehen. Sie weisen in die Richtung der Kommerzialisierung und Privatisierung des 'Kriegshandwerks' innerhalb der diffusen Lage eines angenommenen Zusammenpralls von übernationalen religiösen, kulturellen, ökonomischen Interessen. Die Entstaatlichung der Kriege hat ein Maximum an Menschenverlusten zur Folge, das Verhältnis von 80 Prozent zivilen zu 20 Prozent militärischen Toten stellt das Reziprokum der Situation im Ersten Weltkrieg dar. Die Massaker und Genozide der letzten Jahrzehnte, die Beteiligung von Kindersoldaten an den Kämpfen, der Einsatz von Massenvergewaltigungen als Form der Kriegsführung sowie die auf die westlichen Zentren abzielende Zerstörung des zivilgesellschaftlichen Konsenses durch ein System mafiotisch in Bürgerkriegen sich bereichernder Warlords weisen nach Münkler auf eine wenig optimistisch stimmende Entwicklung hin, deren letztgenannter Aspekt auch die fragil gewordene europäische Friedensökonomie erodieren könnte.

Dass die abstrakte Beschäftigung mit dem eigentlich "unsagbaren" Geschehen des Krieges in Münklers Buch so erkenntnisfördernd werden kann, liegt sowohl an seiner differenzierten Argumentation als auch an der Klarheit der Sprache, die in der deutschen Wissenschaftsprosa noch immer keine Selbstverständlichkeit darstellt. Der Leser verliert dabei fast aus dem Auge, auf welche Realität diese Theorie sich bezieht, und von daher stellt sich auch jenseits der Vorzüge des beispielhaften Bandes ein grundlegendes Gefühl des Mangels ein: die Theorien der Kriege bilden so etwas wie ein apokalyptisches Glasperlenspiel, angesichts dessen vor allem eines fehlt: eine ebenso begründete und überzeugend differenzierte theoretische Anleitung zur Praxis des Friedens.

Titelbild

Herfried Münkler: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion.
Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2002.
294 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 393473054X

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