Höfliche Problemgespräche
Dirk Baecker spricht mit Alexander Kluge schlau und nett
Von Gustav Mechlenburg
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass das erste in dem Merve-Band "Vom Nutzen ungelöster Probleme" abgedruckte Gespräch zwischen Dirk Baecker und Alexander Kluge sich um die Figur Niklas Luhmann dreht, ist kein Zufall. Dirk Baecker ist bekannt als einer der wichtigsten Schüler des Soziologen und kann als der vielleicht letzte geniale Vermittler der Systemtheorie in Wissenschaft und Medien gelten. Denn zugegebenermaßen reicht die Systemtheorie, zumindest als eigenständiges Projekt und nicht nur als raffinierter analytischer Zusatz, nicht hin ohne entsprechend geniale Interpreten. Nach Luhmanns Tod und der fortschreitenden Auflösung der Frontstellung zur Kritischen Theorie fehlt der Systemtheorie der Biss, wird sie nicht mit Ironie und neuen Feindbildern aufrecht erhalten. Dass dies so ist, ist allerdings nicht zuletzt auch Zeichen ihres Erfolgs.
Auch der dieses Jahr mit dem Büchnerpreis ausgezeichnete Alexander Kluge hat nach anfänglichem Besuch in der Frankfurter Schule rasch zur Systemtheorie gefunden. Sie strahlte für ihn im Gegensatz zu der Lehre Adornos etwas Befreiendes aus. Das ist kein Wechsel von einer Dogmatik zur anderen. Denn Luhmanns Theorie behauptet nicht, die einzig wahre, allumfassende zu sein. Davor bewahrt sie schon das ihr zugrunde liegende Paradox des blinden Flecks des Beobachterstandpunkts. Der Verweis auf die Unbeobachtbarkeit des eigenen Beobachtens verhindert eindimensionale Beschreibungen und führt zu ständiger Distanzierung. In dieser paradoxalen Selbstbezüglichkeit liegt genau die Stärke der Systemtheorie. Ihre unwahrscheinlichen Beobachtungen ermöglichen, vertraute Optiken umzukehren und neue Kombinationsmöglichkeiten auszuloten.
Nichtsdestotrotz ist Kluges Denken immer noch stark von der Kritischen Theorie geprägt. Die Suche nach verschüttetem emanzipatorischen Potenzial in der Geschichte der Menschheit erinnert nicht umsonst an die Schriften Walter Benjamins. Und die Gesprächskultur, die er in den Fernsehsendungen der von ihm gegründeten Produktionsgesellschaft DCTP (Development Company for Television Programs) vorführt, ist nicht zuletzt orientiert an den Utopien der studentischen Protestbewegung der 60er Jahre. Freies Denken bedarf nach Kluges Ansicht einer Praxis kommunikativen Urvertrauens. "Es geht darum, sich aufeinander einzulassen und Konkurrenzschranken konsequent niederzulegen", so Alexander Kluge und Oskar Negt in ihrem letzten gemeinsamen Werk "Der unterschätzte Mensch". Vom Gelingen einer gemeinsamen, freien und assoziativen Arbeit an Begriffen und Themen zeugen auch die Gespräche mit Dirk Baecker, die der Merve Verlag aus TV-Sendungen der letzten vier Jahre transkribiert hat.
Wie unterschiedlich Kommunikation sein kann, besprechen Baecker und Kluge darin anhand der Beziehung zwischen Luhmann und Habermas. Zwischen ihnen, meint Baecker, bestand eine "Verbundenheit über interaktionsfreie Kommunikation". Mit jeder Veröffentlichung bezogen sie sich auf den anderen, ohne doch je in direkte Interaktion zu treten. "Beide waren ja grundsätzlich außerordentlich höfliche Menschen, aber in ihren Schriften konnten sie doch auch sehr bissig werden." Demgegenüber praktizieren Baecker und Kluge die perfekte kommunikative Anschlussfähigkeit. Das ist ein wahrer Lesespaß, nicht nur zwei sich intellektuell so gewachsenen Denkern folgen zu dürfen, sondern auch die Komik nachzuvollziehen, die in den überaus höflichen, hochabstrakten Gesprächen zum Vorschein kommt. Ein einziges "Nein" auf eine Frage Alexander Kluges wird man finden. Ansonsten lässt sich alles denken, alles sagen - oder schon längst wieder um eine neue Ecke herumspähen. Das ist teils originell, teils kühn, manches Mal sogar informativ. Zumindest wahnsinnig unwahrscheinlich und nur durch den Großteil der gemeinsamen Lektüre verständlich. Denn neben Niklas Luhmann tauchen Gedanken von Heinz von Foerster, Gregory Bateson, George Spencer-Brown, John von Neumann, Jean-Luc Godard und einigen anderen nicht immer ganz Kanontreuen auf.
Dass Bäcker und Kluge bei all ihrer hochreflexiven Beobachterperspektive sonst wirklich etwas Neues zu sagen hätten, kann man dagegen nur selten erkennen. Hauptthema neben Ausflügen zu den Gebieten Bewusstsein/Denken, Leben/Intelligenz ist der im Titel angegebene "Nutzen ungelöster Probleme". "Ungelöste Probleme haben", so Baecker, "den Nutzen, dass man sie als kleines oder großes Problem mit sich herumträgt, als dauernde Erinnerung an etwas, was man noch nicht im Griff hat. Dies bedeutet, dass man ständig Ressourcen mentaler, aber auch faktischer Art mobilisiert, um sich zu fragen, ob man nicht doch dieses bislang ungelöste Problem lösen kann." Man besitzt somit immer mehr Möglichkeiten, auf eine Situation zu reagieren, als es von dieser Situation vielleicht gerade nahegelegt wird.
Das sind Gedanken, die Dirk Baecker bereits in seinem Werk "Postheroisches Management" angesprochen hat und deren Tragik auch seinerzeit auf Heiner Müller großen Eindruck gemacht hatte. Der moderne Manager hat demzufolge die Aufgabe, der strukturellen Schwierigkeit von Organisationen, die Relevanz von Umweltbedingungen für ihr Überleben zur Kenntnis zu nehmen, mit gezielten Störungen entgegenzutreten. "Der Manager ist derjenige, der sieht, dass man in turbulenten Situationen mit einem stoischen Verhalten in Probleme gerät. Er bleibt nicht ruhig und gelassen, sondern produziert schon jetzt die Störungen, die für morgen zu erwarten sind, damit die Organisation rechtzeitig lernt, darauf zu reagieren." Das Spannende und eben postheroische daran ist nach Baecker, dass der Manager nur als Joker oder Katalysator fungiert, als jemand, der selbst als Störung beobachtet wird, aber nicht als Wissender: "Kassandra hat keine Chance, weil es nicht darauf ankommt, über den drohenden Untergang zu informieren, sondern darauf, angesichts einer unbekannten Zukunft Gründe zu liefern, um das Unbegründbare zu tun."
Irgendetwas muss also immer getan werden. Blickt man aus göttlich-soziologischen Höhen auf die Niederungen von Firmen oder Politik, kann man gemeinsam mit Baecker und Kluge über solcherlei Aktionismus lächeln oder darüber verzweifeln. Nur gut, dass sich die beiden des eigenen Spiels durchaus bewusst sind. Die hochreflexive Beobachterperspektive, die sie einnehmen, ist nur eine unter vielen. "Der Soziologe interpretiert die Instabilität als Stabilität, er spricht von einer dynamischen Stabilisierung, während alle anderen Beobachter die Instabilität entweder als Katastrophe sehen, der durch eine Revolution ein Ende zu setzen ist, oder als Fortschritt, der jedes Opfer rechtfertigt."
|
||