Surrealistische Miniaturen

Christina Griebels Erzählungen "Wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den Kopf"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Aus ihr wird einmal eine Autorin", meinte Herbert Wiesner, Leiter des Berliner Literaturhauses, vor zwei Jahren in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Walter-Serner-Preises an die heute 30-jährige Christina Griebel.

Mit dem 2001 preisgekrönten Text "Und sie geigen Schostakowitsch" wird der insgesamt zehn Erzählungen umfassende Debütband der in Berlin lebenden ausgebildeten Lehrerin eingeleitet.

Christina Griebel stellt darin tatsächlich ein erstaunliches Talent unter Beweis. Sie verbindet scheinbare Alltagsbanalitäten mit surrealistischen Einschüben und einem trockenen, hintersinnigen Humor. Sie beobachtet äußerst präzise und bedient sich einer zwischen Lakonie und lyrischen Ausschweifungen pendelnden Sprache.

Diese Erzählungen kokettieren auf den ersten Blick geradezu mit ihrer Handlungsarmut. Unspektakulär lesen sich Schilderungen über ein Stück Toilettenpapier, das vom Wind durch Moskau geweht wird, oder die Darstellung hunderter von Schnecken, die in einem Kleingartenverein ihr Ende finden. Doch diese Observationsprosa berichtet auch von Aus- und Aufbrüchen, von kleinen menschlichen Enttäuschungen, von verpassten Chancen und Begegnungen an den unterschiedlichsten Handlungsorten (Moskau, Island, Finnland).

Immer wieder gelingt es der Autorin, den Leser durch surrealistische Einschübe aus dem Lektürerhythmus zu bringen. Der zur Monotonie neigende Sprachduktus wird gebrochen, in Dresden soll "eines Tages alles in die Tiefe fahren, wie alles hier in der Gegend, in einen unerwartet sich öffnenden Schacht." Wir begegnen Personen, die plötzlich ein drittes Auge bekommen oder sich mit einer Fernbedienung das "fiese Essen" wegzappen wollen.

Neben Germanistik hat die Autorin auch (als Austauschstudentin in Moskau) Malerei studiert. Möglicherweise liegen hier die Wurzeln für den besonders detaillierten Blick und die kunstvollen Verzerrungen. Im Moskauer Puschkin-Museum lässt Christina Griebel eine ihre Figuren ein Matisse-Bild betrachten.

Doch nicht an Matisse erinnern Christina Griebels Texte, sondern an den Belgier René Margritte. Wie bei dessen weltbekanntem Gemälde "Le chateau des Pyrénées" werden wir in den Erzählungen mit abrupten Realitätsverschiebungen konfrontiert. Wie bei Margritte eben ein rätselhafter und reizvoller Schwebezustand.


Titelbild

Christina Griebel: Wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den Kopf. Erzählungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
160 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3596156548

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