Eine spezielle Form gesellschaftlichen Antisemitismus

Frank Bajohr analysiert den "Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit einer speziellen Form des Antisemitismus in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beschäftigt sich dieser in der verdienstvollen Fischer-Taschenbuch-Reihe "Die Zeit des Nationalsozialismus" erschienene Band - dem sogenannten "Bäder-Antisemitismus". Dieses Schlagwort kennzeichnete bereits vor dem Ersten Weltkrieg die judenfeindliche Haltung vieler deutscher Bäder- und Kurorte als Bestandteil eines weit verbreiteten alltäglichen Antisemitismus. Immerhin so bedeutsam war das Phänomen, dass schon vor der Jahrhundertwende in der deutsch-jüdischen Presse sogenannte Warnlisten auftauchten, in denen vor solchen Hotel- und Pensionsbetrieben gewarnt wurde, die öffentlich ihre "Judenreinheit" herausstellten. In der Verbandszeitung des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" wurden bis 1933 regelmäßig aktualisierte Verzeichnisse antisemitischer Erholungsorte, Hotels und Pensionen erstellt. Aufschlussreich ist der Abdruck zweier Verzeichnisse aus den Jahre 1914 und 1931. Während das Verzeichnis aus dem Jahr 1914 noch einigermassen übersichtlich in den eigenen Zeitungen erscheinen konnten, musste die Warnliste siebzehn Jahre später als umfangreiche Beilage veröffentlicht werden, um den normalen Zeitungsumfang nicht zu sprengen.

In seiner gut lesbaren, immer wieder mit ebenso erschreckenden wie bizarren Beispielen des täglichen Antisemitismus anschaulich gemachten Studie, erläutert der Autor zunächst die "Ausbreitung des Bäder-Antisemitismus im Kaiserreich". Aufschlussreich ist hier vor allem die Betrachtung des sozio-kulturellen Zusammenhangs, in dem die Badereise als eine frühe Form des Tourismus in Deutschland zu sehen ist. Anders etwa als in Großbritannien blieb die Badereise in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert ein exklusiver Luxus für wenige betuchte Bürger. Zählte man in allen deutschen Seebädern 1911 gerade mal 800.000 Gäste, so konnte allein das britische Seebad Blackpool vier Millionen Besucher, darunter viele Arbeiter, zählen. Für das deutsche Bürgertum, das sich eine Badereise leisten konnte, spielte die exklusive Repräsentation eine große Rolle. Man stellte seinen gesellschaftlichen Status zur Schau. Die Promenade war ebenso ein großer Kapital- wie ein exklusiver Heiratsmarkt. Unter den Badegästen waren im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die jüdischen Gäste überrepräsentiert. War schon die ,normale' bürgerliche Konkurrenz am Badeort mit Aus- und Abgrenzung verbunden, so wurde sie gegenüber den Juden zu Neid, Hass und Ressentiment. Im antisemitischen Stereotyp des "jüdischen Parvenüs" kamen sowohl die Konkurrenzängste des bürgerlichen Mittelstands, als auch die kleinbürgerlichen Neidgefühle zum Ausdruck, die in den "reichen Juden" ein "elitäres ,Protzentums'" personalisiert sahen. Ausdruck fand dieser peinliche Antisemitismus vor allem in den kleineren Bädern und "Latecomern", die gegenüber etablierten Bädern, wie Norderney oder Heringsdorf einen Standortnachteil aufzuholen hatten. Im Standortwettbewerb der Bäder ließen sich "Komfortnachteile ideologisch uminterpretieren: Ursprünglichkeit statt ,übertriebener Luxus', ,Ungezwungenheit' [...] statt lärmige ,Aufdringlichkeit' dubioser ,Kuponschneider' - eine solche Werbung griff die Ressentiments der mittelständisch-kleinbürgerlichen Kreise in besonderer Weise auf." Mit dem Slogan "Kein Luxusbad, judenfrei" griffen die Bade- und Kurverwaltungen die zumeist von den Gästen ausgehenden antisemitischen Haltungen auf. Es entstand eine unheilvolle "stille Koalition des Neides", in der "Neid auf das etablierte Bad mit Neid auf jüdische Gäste eine enge Verbindung" eingingen. Besonders drastisch kam diese Haltung auf Borkum zum Ausdruck. Hier sang man ungeniert und in bewusster Abgrenzung zur Nachbarinsel Norderney das "Borkum-Lied", mit Textzeilen, wie "Doch wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus,/ Der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus, hinaus!/ Hinaus!" (1914).

Nach dem Ersten Weltkrieg blieb das Muster gleich, nur richteten sich nun die Aversionen gegen die vermeintlichen jüdischen "Kriegsgewinnler", "Schieber" und "Spekulanten". In vielen Badeorten wurden solche antisemitischen Klischees zunehmend auch von politischen Kräften funktionalisiert. Im symbolischen "Flaggenstreit", der fast überall in den Badeorten stattfand, stand das republikanische Schwarz-Rot-Gold auf verlorenem Posten gegenüber dem Schwarz-Weiss-Rot des "Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes", der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in den Badeorten die antisemitischen Vorbehalte zu mobilisieren, und dem Hakenkreuz der Nazis. Im Bedarfsfalle nötigten an den Stränden ,patrollierende' Schlägertrupps die Badegäste zur ,richtigen' Haltung. Zwar war diese Form des politischen Radauantisemitsmus den Kur- und Badeverwaltungen vielfach unangenehm, doch galt ihre Sorge in den meisten Fällen lediglich der Form des Antisemitismus, die als geschäftsschädigend angesehen wurde. So blieb es bis zum Ende der Weimarer Republik, auch wenn nun doch immer öfter die Kur- und Badeverwaltungen empfahlen, die politische Hetze zu unterlassen und die Badeorte als "Friedensinseln" zu achten. Doch änderten diese Empfehlungen nichts Entscheidendes mehr an der Radikalisierung des Bäder-Antisemitismus, durch die die Reisemöglichkeiten jüdischer Bürger bereits sehr eingeschränkt waren. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 ergriff vielfach die örtliche NSDAP die ,antisemitische Initiative'. Zuweilen auch gegen die ,Interessen' übergeordneter Reichsstellen, wurden mit rigorosen Massnahmen "judenfreie" Orte proklamiert. Wieder waren es vor allem die Seebäder, die schnellstmöglich ihre Orte "judenfrei" präsentieren wollten. Dagegen verzögerte sich der Prozess in einigen Bädern des Reiches. So blieb das internationale Baden-Baden noch bis 1936 von allzu heftigen Massnahmen verschont. Auch in einigen bayrischen Kurorten wie Bad Kissingen, Reichenhall oder Brückenau war man angesichts der Olympiade 1936 bemüht, eine moderate Haltung zu demonstrieren.

In einem abschliessenden Kapitel betrachtet der Autor den Bäder-Antisemitismus als internationales Phänomen. Deutlich wird, wie weit verbreitet diese spezielle Form des Antisemitismus nicht nur in Deutschland war. Die Besonderheit des deutschen Antisemitismus, so resümiert der Autor, "liegt weniger in seiner gesellschaftlichen Quantität als vielmehr in seiner radikalen ideologischen Qualität".

Titelbild

Frank Bajohr: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
232 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 359615796X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch