Interpersonal und hyperpersonal
Thomas Köhler über soziale Identität und Interaktion im Internet
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIT-Fachleute, Softwareentwickler, Webdesigner, Programmierer, Systemadministratoren - die Spitzenkräfte der Computervermittelten Kommunikation (CVK) gelten uns Normal-Sterblichen nicht selten als "Freaks". Dabei sind sie Dienstleister auf einem gleichermaßen speziellen wie universellen Feld, welches als 'Kommunikation' mittlerweile die gesamte Gesellschaft erfasst hat. Wir sind von ihnen abhängig, sie haben bei uns eine Vertrauensstellung (der nicht alle gerecht werden) und sie schaffen die Bedingung der Möglichkeit für Informationsaustausch auf höchstem technischem Niveau.
Thomas Köhlers Studie über die kommunikationswissenschaftlichen und soziologischen Voraussetzungen der computervermittelten Kommunikation, im folgenden CVK genannt, setzt genau hier an, nämlich an der Bestimmung der Nutzer dieser Technik und ihrer Sozialisation durch Kommunikation. Zu den Basistheoremen seiner Untersuchung gehört, dass die CVK bei der Konstruktion des Selbst weniger normativ ist als die Face-to-face-Kommunikation, "mit der Konsequenz eines eher extremen, oft anomischen Verhaltens", und dass die CVK durch die Absenz direkter Körperlichkeit zur Multiplikation des Selbst in Form 'virtueller Selbste' führt bzw. führen kann.
Köhlers Dissertation rührt an eine sozialpsychologisch grundlegende Problematik. Untersuchungen haben ergeben, dass junge und sehr junge Männer zwischen 16 und 21 Jahren, aber auch solche, die durch Entwicklungs- und Reifeverzögerung dieser Gruppe geistig zuzuordnen wären, die Hauptgruppe der Hacker und Crasher stellen, die in fremde Computersysteme einsteigen, sie blockieren oder zerstören und für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.
Dabei schafft die "Deindividuation", durch den Computer realisiert, erst die Voraussetzungen für bestimmte Formen ungehemmter Kommunikation. Köhler geht es jedoch nicht in erster Linie um Internetkriminalität, sondern generell um Formen sozialer Identität und Identitätsstiftung bei CVK-Anwendern. Neben den theoretischen Grundlagen seiner Arbeit sucht er sich erfreulicherweise auch empirische Zugänge (in Form von Experimenten), um seine Hypothesen zu spezifizieren und sein "Untersuchungsdesign" zu schärfen. Seine wichtigsten Ausgangshypothesen lauten:
CVK lässt sich generell von der Face-to-face-Kommunikation "hinsichtlich der Parameter Intimität, eigene Offenheit, Offenheit anderer, Qualität, Zufriedenheit, Initiative und eigener Einfluss" unterscheiden;
CVK-Nutzer mit hoher IT-Kompetenz entwickeln ein kollektives Selbstbewusstsein und fühlen sich sozialen (CVK-)Gruppen zugehörig;
die Selbstreferenz und Selbstaufmerksamkeit von CVK-Nutzern verhält sich umgekehrt proportional zur öffentlichkeitsgenerierten Aufmerksamkeit: je ausgeprägter das "Ausmaß der Öffentlichkeit", desto geringer die Selbstaufmerksamkeit und desto höher das "Collective Self-Esteem".
Die experimentellen Untersuchungen, die am Ende modellartig zusammengefasst werden, nehmen die Gruppe der 17- bis 35-Jährigen in den Blick, wobei 43 Probanden weiblichen und 50 männlichen Geschlechts waren. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass der Umgang mit dem Rechner als Kommunikationsmedium für die "Konstruktion des Selbst" eine zentrale Rolle spielt und bei der Ingroup der Computernutzer zu im wesentlichen vier Konsequenzen führt: einer positiveren Bewertung der Ingroup, einer positiveren Bewertung sozialer Beziehungen, einer Erwartung an die Wirksamkeit der Selbstdarstellung und einer Veränderung (Abschwächung) der Selbstaufmerksamkeit.
Dem Verfasser ist es darüber hinaus überzeugend gelungen, seine methodischen Instrumente an bekannten und bereits praktizierten Erhebungsmethoden zu schärfen und sie im Anhang zum Nachvollzug darzustellen. Insofern ist seine Dissertation auch für andere Medienkontexte, Kommunikationszusammenhänge, Gruppenkommunikationen und Untersuchungsgegenstände mit experimentellem Zuschnitt geeignet.
|
||