Ohne großes Tamtam
Oskar Pastiors gesammelte Werke
Von Alexander Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie vermeintliche Skurrilität, dass zuerst Band 2 der gesammelten Werke Oskar Pastiors vorgelegt wird, passt wohl zu dem 1928 in Rumänien geborenen, vielfach ausgezeichneten Schriftsteller. Denn seine längst vergriffenen "Gedichtgedichte" von 1973, "kleine Kunstmaschinchen", wie Pastior im Nachwort sie nennt, beschrieben in absurder und geistreicher Manier, wie Gedichte auszusehen haben, wie sie wirken, entstehen, (über-) interpretiert werden usw., ohne dass je ein derartiges Gedicht greifbar gewesen wäre. Warum nicht dann auch ein Werk gemäß dem uralten "Zaubertrick", demzufolge die einzelnen Projekte "in eine schließlich irreversible (biographische) Reihenfolge geraten", zeitlich mittendrin beginnen lassen und Band 1, den eigentlichen Beginn, auf später verschieben? Sicher hat diese Tatsache einfach nachzuvollziehende, organisatorisch-verlegerische Gründe. Begnügen wir uns mit dem, was da ist, denn bereits die Edition von "Jetzt kann man schreiben was man will" ist verdienstvoll genug: Sie macht vier meist nur noch antiquarisch erhältliche Gedichtbände Pastiors zugänglich: die besagten "Gedichtgedichte", das Rundfunk- und Hörspielkonventionen persiflierende "Höricht" von 1975, die von Thomas Kling in einer Hommage als "gargantueske Speisegedichte" apostrophierten Texte aus "Fleischeslust" (1976) sowie das im Reißverschlussverfahren zu lesende "An die Neue Aubergine. Zeichen und Plunder", das 1976 mit zahlreichen Zeichnungen des Autors erschien. Hinzugefügt werden außerdem die in denselben Jahren verstreut veröffentlichten Gedichte, die nicht in spätere Publikationen Pastiors aufgenommen wurden.
Zu entdecken ist ein lustvoller Umgang mit Sprachmaterial, mit Klischees und verschiedenen Textsorten, wie ja überhaupt die Werkausgabe nach Wunsch Pastiors "ohne großes Tamtam um Zuordnungs- und Gattungsrivalitäten" verlaufen soll. Die sachlichen Definitionen der "Gedichtgedichte" um Arten wie das "boticelligedicht", das "faksimilegedicht" oder das "vorwortgedicht" lassen jeden Germanisten erschauern, nehmen sie doch gelegentlich angebliche Raffinessen der Lyrik und ihrer Auslegung beschreibend vorweg und auf die Schippe. Zudem spielen sie mit vorgefassten Ansichten über die Poesie, mit Rezeptionsweisen und Beschreibungsmodi, wobei sich die scheinbar logische Schlussfolgerung manchmal selbst in einen poetischen Untersuchungsgegenstand verwandelt:
"das fröstelgedicht fröstelt bei der vorstellung es bestünde aus einem
sprachvorgang der behaupten könne es habe sich in ihm ein
denkvorgang dermaßen verselbständigt daß er in seinem
sprachvorgang bei der vorstellung zu frösteln fröstele das
fröstelgedicht ist töricht daß es so was denkt denn wie kann
man schon bei der vorstellung zu frösteln frösteln"
Ganz ähnlich ist die Verfahrensweise Pastiors in "Höricht" und "Fleischeslust", die sich allein inhaltlich dem Akustischen und Kulinarischen zuwenden. Die "Höricht"-Texte gehen zurück auf Pastiors Radiosendung "Meine Schallplatten", in der der Autor einige dieser Texte als Moderation zwischen den Musikstücken verwendete. Er, der bereits vor seiner Flucht nach Deutschland über acht Jahre als Redakteur beim rumänischen Rundfunk tätig war, versteht es, gekonnt und ironisch mit dem Klangmaterial der Sprache, aber auch den festgefahrenen Erwartungen an Hörspielproduktionen, umzugehen. So führen die Texte ein ums andere Mal in die Irre, etwa wenn sich das "Höricht für Quadrophonie" konsequenterweise nur an "vieröhrige Höhrer" wendet. In "Fleischeslust" wiederum werden Rezepturen von Wörtern und Speisen durchexerziert, wird, wie Pastior im Nachwort schreibt, ein "Pseudokochbuch oder Falsches Traktat über Einverleibung, Peristaltik und Metabolismus von Lebensmitteln diversester Art" vorgelegt. Dass diese Texte zum Teil auf biographische Erinnerungen an Lagerjahre und Kindheit zurückgehen, ist hinlänglich bekannt. Dass sie dennoch nicht nur frei von Wehmut und -leid sind, sondern vielmehr weiterhin gewitzt, experimentell und lustvoll, zuweilen von barocker Pracht, ist sicherlich bemerkenswert.
"An die neue Aubergine" stellt hinsichtlich des Werks eine erste Bruchstelle oder Weiterentwicklung dar, kommt es doch nun zu einem der Konzeptkunst nahestehenden Interagieren von Text und Bild. Schon das äußere Erscheinungsbild führt den Rezipienten auf neues Terrain, linksseitig oben und unten Text, rechtsseitig eine Kugelschreiberzeichnung, so dass es doch von Vorteil ist, die Leseanleitung Pastiors für dieses "triadische Modell", das erzählerisch durch Träume und Reiseeindrücke nach Ligurien führt, zur Kenntnis zu nehmen. So soll der untere Textblock mit seinem Verweis in Form eines Pfeils und dem kursiven Schriftsatz darauf hindeuten, wie die Skizze, z. B. der "flüchtigen Olifanten beim Fahrunterricht", gelesen oder benannt werden könnte, während der obere Textblock mit Rückverweisen aufwartet, die zunächst rätselhaft bleiben.
Die extreme Verdichtung von Sinneinheiten, die Pastiors "Unruh aus Silben", so Durs Grünbein einmal über seine vor- und zurückschwingend zu lesenden Gedichte, innewohnt, erschwert zwar die Lektüre, macht sie aber zur spannenden Herausforderung und bereitet zusätzlich auf das vor, was später noch an Palindromsammlungen und Anagrammen kommen mag.
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