Ein Schreckenstag in New York
Don DeLillos Roman "Cosmopolis"
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Wir sind unangreifbar", lautet eine der überheblichen Phrasen von Eric Packer. Der junge Mann (noch keine 30 Jahre alt) hat mit Börsenspekulationen einen immensen Reichtum angehäuft, besitzt ein 48-Zimmer-Haus mit Schwimmbad und Haifischbecken, umgibt sich mit einem Heer von Sicherheitskräften und Analysten, und hat ganz nebenbei noch die Dichterin Elise Shifrin, Erbin eines Bankenimperiums, geheiratet.
Dieser Packer fungiert in Don DeLillos Roman als personalisierte Allegorie für die US-Gesellschaft, für deren Größenwahn, den Machtrausch, den Gigantismus, aber auch für die gefährlichen Selbsttäuschungen. DeLillo beschränkt sich nach dem Vorbild von James Joyce auf die Beschreibung eines einzigen Tages im April 2000. Der Protagonist wird zwar seit einigen Tagen von Schlaflosigkeit heimgesucht, und sein Leibarzt diagnostizierte eine "asymmetrische Prostata", ansonsten scheint es für Packer ein ganz normaler Tag zu werden. Zweifel oder Warnungen passen ohnehin nicht ins Weltbild eines Mannes, der sich rund um die Uhr den digitalen Kapitalströmen rund um den Erdball widmet. Seine berufliche Besessenheit kommt wie eine Mischung aus Nervenkitzel und Spielsucht daher. Da passt es vorzüglich ins Bild, dass er den Sex mit seiner Ehefrau erst nach einem Blick in den Terminkalender verabredet.
Packer legt viel Wert auf Tempo, der rasante Informationsfluss in seinem Mitarbeiterstab genießt allerhöchste Priorität. Als er sich morgens in seiner Stretchlimousine (mit Infrarotkamera im Kühlergrill) zum Friseurbesuch chauffieren lassen will, flimmern diverse Monitore im Cockpit, er ist mit allen wichtigen Börsenplätzen der Welt vernetzt. Doch Packers "Drive" stößt auch an ganz natürliche Grenzen. In den New Yorker Straßen herrscht ein noch größeres Chaos als an normalen Tagen. Der US-Präsident ist in der Stadt (es gilt höchste Sicherheitsstufe), Globalisierungsgegner haben sich zu einer Großdemonstration eingefunden, und gleichzeitig schiebt sich noch der Trauerzug für einen verstorbenen Rapper durch die verstopften Straßen.
Packers Macht mutiert in der Blechlawine zur Ohnmacht, die Fahrt zum Friseur wird zur Geduldsprobe für den tempobesessenen Protagonisten. Mitarbeiter steigen ein und aus, kurze Brainstormings werden im Fond der Luxuslimousine abgehalten, via Internet erfährt er von den nicht kalkulierten Kurssprüngen des Yen und der Ermordung eines hohen Funktionärs des internationalen Währungsfonds.
Ein so geradliniger Typ lässt sich jedoch nicht vom eingeschlagenen Weg abbringen. Von einem Attentäter wird Packer vor dem finalen Schuss darauf hingewiesen, dass er alle Warnungen (die Prostata und den Yen) leichtfertig ignoriert habe. Der unerschütterliche Glaube an die eigene Unangreifbarkeit hatte tödliche Folgen. Wer zwischen den Zeilen dieses, dem Kollegen Paul Auster gewidmeten Romans liest, kann Eric Packers Schicksal durchaus mit den Attentaten des 11. September 2001 in Verbindung bringen.
In seinem Monumentalepos "Unterwelt" (1998) hat Don DeLillo schon ein düsteres Bild von der amerikanischen Gesellschaft gezeichnet, doch "Cosmopolis" liest sich gar wie ein Horrorszenario aus einer fremddeterminierten Welt. In der Sprache dieses schockierenden Panoramas des Egoismus soll sich anscheinend die Verrohung, die kulturelle Dekadenz und die Oberflächlichkeit der Gesellschaft noch einmal manifestieren. So müssen wir uns (mehr oder weniger zwangsweise) mit "Vegetarierfürzen", "tatkräftigen Instrumenten" eines Arztes, den "Schließmuskelgriff des Staus" und einer Flasche Quellwasser, die sich "mitten ins Gesicht hinein pflanzt", arrangieren.
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