Das Angerichtete

Die Botho-Straußisierung der Rechtschreibreform in neuen Wörterbüchern

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich nach Jahren wieder einmal in seinen geliebten Karl May versenkt, aber versehentlich einen grünen Band der "Gesammelten Werke" im Neusatz erwischt, traut seinen Augen kaum: Da wird aus dem "wohldurchdachten" Plan Old Shatterhands der "wohl durchdachte", sprich vermutlich durchdachte, der "wohlbekannte" Hengst Kara ben Nemsis wird zum "wohl bekannten", zum wahrscheinlich bekannten, der "vielversprechende" Plan zum "viel versprechenden". Schnell zum Archivar damit, muss die die Devise lauten, tausche neu gegen alt, wenn man sieht, wie hier gedankenlos aus sinnvoll eingesetzten (und daher zusammengesetzten) Adjektiven solche mit Partikel werden - mit exakt der gegenteiligen Aussage dessen, was gemeint ist.

Man sollte meinen, dass nach acht Jahren Wirren um den Regelkatalog der Rechtschreibreform der gröbste, von Sprachwissenschaftlern wie Helmut Glück (Bamberg) oder "Rechtschreib-Rebellen" wie dem Weilheimer Lehrer Friedrich Denk bemängelte Unsinn wieder halbwegs zurückgenommen worden ist. Denn auch der Lehrerstand, der anfangs die Reform als Erleichterung für den Deutschunterricht begrüßt hatte, dürfte sich aufgrund der Unsicherheiten, die im Zuge der Umsetzung des neuen Regelwerks aufgetreten sind, längst wieder - zumindest partiell - davon distanziert haben.

Doch weit gefehlt. Die Reform bleibt bestehen, mit dem Ergebnis, dass selbst Studierende der Literaturwissenschaften das Relativpronomen "das" nicht mehr von der Konjunktion "dass" unterscheiden können. Derlei neue Fehlerquellen verunsichern Lehrende ebenso wie Lernende. Bei "wohlbekannt" oder "wohldurchdacht" fällt dies besonders auf, da andere zusammengesetzte Adjektive mit "wohl" ("wohlgenährt", "wohlgesinnt", "wohlhabend") auch nach der Neuregelung in bewährter Weise als Einheit geschrieben werden.

Versprechen uns die Wörterbücher da Aufklärung? Die Duden-Redaktion leistet sich in ihrem "Kompaktwörterbuch deutsche Rechtschreibung" eine verwirrende Zusammenstellung: Das lindgrün unterlegte Register zum Wörtchen "wohl" ist ebensowenig schlüssig oder eindeutig wie das Register des gleichfalls grün unterlegten Wörtchens "viel". Natürlich kennt der Duden den Unterschied zwischen "viel versprechend" und "vielversprechend", und nur letzteres verdient den Eintrag ins Wörterbuch. Die Redaktion aber handelt hier, im "Kompaktwörterbuch" inkonsequent, während das "Deutsche Universalwörterbuch" es richtig macht, indem es nur einen Eintrag für "vielversprechend" vorsieht, keinen jedoch für "viel versprechend".

Wie ist dergleichen möglich? Im Unterschied zum Universalwörterbuch will das Kompaktwörterbuch "nur eine Schreibvariante" aufbieten, angeblich deshalb, weil sich viele Institutionen (das Vorwort nennt Zeitungen und Verlage, Setzereien und Druckereien sowie Korrespondenzabteilungen in größeren Betrieben) nach Einheitlichkeit sehnen würden. Ob dabei Sense oder Nonsense herauskommt, scheint nachrangig zu sein. Denn ein Wörterbuch, das von sich behauptet, schnell und zuverlässig zu sein ("übersichtlich - einheitlich - korrekt") und "vielversprechend" als Subeintrag zu "viel versprechend" behandelt, produziert Unsinn.

Auch die Zeichensetzung wird nicht optimal erläutert, und zahlreiche Beispiele - etwa bei den "Kommas" (und nicht mehr wie früher "Kommata") wirken gesucht und realitätsfremd: "Wir empfehlen, ihm zu folgen" versus "Wir empfehlen ihm, zu folgen". Man spürt bei solchen Nullsätzen, dass nicht nur die Benutzer, sondern auch die Verfasser ihre liebe Not mit dem Erlass der Ministerpräsidenten der Länder haben. Beklagen dürfen sie sich dennoch nicht, gehörte doch die Reform zum einträglichsten Beschäftigungs- und Wirtschaftsförderungsprogramm des letzten Jahrzehnts.

Der renommierte Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, ein gemäßigter Gegner des Ministererlasses, kommt in seinem Buch "Regelungsgewalt" zu einer politischen Einschätzung: Sprachen mit internationaler Verbreitung könnten sich keine Rechtschreibreform leisten. Und in der Tat wäre einmal zu recherchieren, inwiefern die fortschreitende Marginalisierung des Deutschen als Fremdsprache und der Rückgang von Deutschlernern weltweit auch auf das Konto des neuen Regelwerkes gehen. Icklers eigenes Rechtschreibwörterbuch jedenfalls, ein Plädoyer für den Rückbau der Reform bzw. für die Beibehaltung einer eingeführten und bewährten Orthographie, fordert, dass eine sinnvolle "Anpassung an die Sprachwirklichkeit" den tatsächlichen Sprachwandel zu respektieren hat und ihm nicht in der Weise vorgreifen darf, wie die "absurd vermehrte Großschreibung" der Reform dies vorsieht.

Ein wichtiger Aspekt. Die inflationäre Großschreibung seit der Reform hat zur Botho-Straußisierung des Deutschen geführt, und es wäre an der Zeit, das Angerichtete dort, wo es irreführend ist, wieder zurückzunehmen. Doch auch die jüngst von der Duden-Redaktion vorgelegten Wörterbücher, Kompaktwörterbücher und Grammatiken zeigen, wie das Regelwerk in die Grammatik, Semantik und Phonetik der Schriftsprache eingreift und dadurch die Vielfalt und Ausdruckskraft unserer Sprache einschränkt. Die Folgen: Die Leserfreundlichkeit leidet, die Schriftsprache entfernt sich von der gesprochenen Rede. Beispiel "numerisch": Das Wort, das wegen der Stammschreibung nur noch "nummerisch" geschrieben werden darf, klingt in der Aussprache deutlich 'kürzer' als es vom Schriftbild her angelegt ist. Ohne Not hat man hier der Stamm-Schreibung den Vorrang vor dem Höreindruck und dem Sprachempfinden gegeben.

Das "Kompaktwörterbuch deutsche Rechtschreibung", das eigentlich die Aufgabe hätte, Anschaulichkeit und Klarheit in die Problemlage zu bringen, wirkt formalistisch und lückenhaft und ist kaum geeignet, Kontexte zu stiften oder semantische Umgebungen zu definieren, die in Zweifelsfällen weiterhelfen. Die Auswirkungen in der Praxis dürften verheerend sein: Während sich Teile der Bevölkerung gegen die Reform sperren, während das Flaggschiff deutscher Tageszeitungen, die "Frankfurter Allgemeine", zur alten Schreibung zurückgekehrt ist, während im Unterricht fröhliche Rechtschreibanarchie herrscht, schreibt die große Masse der bemühten Arbeiter des Wortes nach Pi mal Daumen, will heißen: praktiziert quasi eine behutsame, nachvollziehbare, vernünftige Variante jenseits von Radikallösungen wie Buchstaben-Drillingen ("Schlossstraße"), neuen Fremdwörtern ("Ketschup") oder 'unhöflichen' Anredeformen ("Herzliche Grüße, dein"). Man tut damit genau das, was Wörterbücher, Grammatiken und andere Regelwerke bislang auch immer getan haben und weiterhin tun sollten - man dokumentiert den Status quo einer lebendigen, stets im Wandel begriffenen Sprache, die gegen jede Form der Regelungswut - erst recht gegen die verordnete - immun bleibt. Alles also eine Frage der Zeit?

Einziger Lichtblick unter den neuen Publikationen der Duden-Redaktion ist die "Deutsche Grammatik - kurz gefasst". Die Broschüre vermittelt das Grundwissen eben traditionell und nicht innovativ und eignet sich insofern als Übungsgrammatik. Nützlich wäre ein Wortindex am Ende des schmalen Heftes - zum noch schnelleren Nachschlagen.

Titelbild

Duden - Deutsches Universalwörterbuch. 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mehr als 140.000 Wörter und Wendungen. Buch und CD-ROM 78 DM.
Bibliographisches Institut, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2001.
1892 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 3411055049

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Titelbild

Duden. Kompaktwörterbuch deutsche Rechtschreibung.
Herausgegeben und bearbeitet von der Duden-Redaktion.
Brockhaus Verlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2003.
431 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-10: 341170571X

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Titelbild

Duden. Deutsche Grammatik - kurz gefasst. Erarbeitet von der Duden-Redaktion.
Brockhaus Verlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2003.
48 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-10: 341104182X

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