Pubertierende Grünschnäbel, resolute Großmütter

Isabel Allendes Jugendroman "Die Stadt der wilden Götter"

Von Michael SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer mit Isabel Allende in den Urwald reist, muss kaum etwas Unbekanntes fürchten. Auf den ersten Blick geht es zu wie bei Karl May, man kennt sich immer gut aus. Die Gegend, der Dschungel am Amazonas, ist exotisch, und die Abenteuer einer kleinen Expedition sind es auch. Die Charaktere bleiben berechenbar und die Abgründe, die sich auftun, lassen niemanden allzu sehr schaudern. Geübte Leser könnten also sichere Wetten abschließen: Dass dort, wo resolute Großmütter die Verantwortung übernehmen, pubertierenden Grünschnäbeln nur wenig zustoßen kann; dass allzu schöne Frauen ziemlich gefährlich sind; dass Geister und Totemtiere verlässlichere Helfer als die Mitmenschen sind; und dass fünfzehnjährige Jungs sich in der Großstadt nicht von siebzehnjährigen Hippiemädchen abschleppen lassen sollten.

Aber auch eine Kollektion von Klischees ergibt manchmal mehr als nur die Summe aller Abgedroschenheiten - also lohnt ein zweiter Blick. "Die Stadt der wilden Götter" ist schließlich nicht nur eine weitere Eva Luna- oder Paulina-Geschichte, mit denen Isabel Allende ein wenig in Verruf geraten ist. Es handelt sich vielmehr um den ersten Roman, den sie - sieht man von einer ganz frühen Erzählung ab - explizit für Kinder und Jugendliche geschrieben hat.

Erzählt wird die Geschichte des fünfzehnjährigen Alex, dessen Familie in Kalifornien auseinander bricht, als seine Mutter schwer erkrankt und er zu seiner Großmutter verfrachtet wird, die als Reisereporterin arbeitet. Die alte Dame ist alles andere als eine liebe Oma, sie nimmt ihn mit auf eine Expedition, die vorgeblich der Suche nach sagenhaften Tieren und dem Schutz unbekannter Indios gilt. Nur zu bald aber zeigt sich, dass weiße Abenteurer das Unternehmen als Tarnung benutzen. Sie wollen den Indios, egal wie, das Land rauben, um Diamantenvorkommen auszubeuten.

Zu den Expeditionsteilnehmerin gehört auch die zwölf- oder dreizehnjährige Nadia, ein Mädchen, das ohne Computer und fern von guten Schulen aufgewachsen ist, die aber mit dem Urwald vertraut ist, mit einem weisen alten Indio-Zauberer Umgang pflegt und gewissermaßen zwischen den Kulturen lebt. Alex und Nadia sind so verschieden wie Jugendliche nur sein können, aber sie entdecken schnell ihre gemeinsame Aufgabe - dass sie beide nämlich dazu ausersehen sind, die Indios und die unbekannten Bestien vor dem Untergang zu bewahren. Daran wachsen sie, darüber entsteht auch eine Freundschaft, die mehr und anders ist als eine pubertäre Liebelei. Gemeinsam kämpfen sie sich durch den Dschungel, durch Höhlen und auf unbekannte Berge; sie werden sogar von den Indios aufgenommen und initiiert - und vor allem Alex muss dabei alles das hinter sich lassen, was er früher jemals gelernt hat.

Isabel Allende hat erklärt, dieser Roman handele vor allem von einer Reise in das Innere ihrer beiden Helden - und das kann man so stehen lassen, mit einer Ergänzung allerdings: Es ist auch eine Fahrt ins Märchenland, wenn auch eine eher anspruchsvolle, denn Isabel Allende hat immer auch ein Anliegen. Also erfährt man nebenbei einiges über indianische Spiritualität, findet engagierte Kommentare zu internationalen Umweltschutzabkommen, liest offene Worte über Hormone, Körperlichkeit und Scham. Dann geht es punktuell zwar schlicht, aber nicht mehr süßlich zu - und das versöhnt vielleicht mit manchem, was diesen Schmöker ansonsten ein wenig problematisch macht.

Titelbild

Isabel Allende: Die Stadt der wilden Götter. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
325 Seiten,
ISBN-10: 3518413503

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