Deutscher Genozid in Deutsch-Südwest

Joachim Zeller und Jürgen Zimmerer über den Kolonialkrieg in Namibia

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1917 verfasste der britische Major Thomas Leslie O‘ Reilly den „Report on the Natives of South West Africa an their Treatment by Germany“, welcher ausführlich und erstmals in schriftlicher Form fixiert auch unter Einbeziehung indigener Namibianer beschreibt, welche Gräuel sich 1904 bis 1908 in der damaligen deutschen Kolonie Südwest, dem heutigen Namibia, ereignet haben. Anfang des Jahres 1904 erklärte der Stamm der Herero der deutschen Kolonialmacht den Krieg und wurde im August 1904, nach dem missglückten Versuch der deutschen Armee, ihn in einer Vernichtungsschlacht am Waterberg militärisch zu stellen, in die Wüste Omaheke abgedrängt. Die Wüste wurde abgeriegelt, alle Wasserstellen besetzt, der Befehl erlassen, keine Gefangenen zu machen. Vom Stamm der Herero überlebten nur fünfzehn Prozent, etwa 60.000 Menschen verdursteten in der Wüste. Noch im selben Jahr erhob sich der Stamm der Nama gegen die Deutschen, der im Krieg gegen die Hereros noch Hilfskräfte gestellt hatte. Die Nama-Gefangenen wurden, zusammen mit etwaigen Überlebenden der Hereros, in Konzentrationslagern interniert, von deren Insassen die Hälfte unter elenden Umständen ums Leben kam.

Neben diesem Gräuel beschreibt der „Report“, das sogenannte ,Blaubuch‘, auch die alltägliche Drangsal, der die indigene Bevölkerung in der deutschen Kolonie ausgesetzt war. Es berichtet von drakonischen Prügelstrafen, von alltäglicher Vergewaltigung, von rassistischer Ungleichheit vor Gericht und kommt so zu dem Schluss, dass Deutschland keine Kolonien besitzen dürfe, sondern, so die logische Konsequenz, diese abtreten müsse, z. B. an England. Sind die Aussagen des Berichtes dadurch entwertet? Ist er eine parteiische und propagandistische Lüge? Immerhin wurde das Buch neun Jahre später von England und Südafrika selbst als Propaganda eingestuft und zurückgezogen. Oder ist gerade die Distanzierung Südafrikas kein Beleg für fehlende Stichhaltigkeit der Berichte, denn Südafrika, das seit 1917 Südwest verwaltete, war gerade im Begriff, seine rassistische Politik wieder richtig anzuziehen, strich also mit dem ,Blaubuch‘ auch ein Dokument, das als Angriff gegen eigene Ungerechtigkeit verwendet werden konnte.

Hinter all den Fragen verbirgt sich ein nicht aufgearbeitetes und bislang nur in wenigen Wissenschaftsmagazinen diskutiertes Kapitel der deutschen Geschichte, an dessen Nomenklatur man schon den Streit um die richtige Sichtweise ablesen kann. Soll man den Kolonialkrieg 1904-1908 gegen die Nama und Hereros als „Niederschlagung eines Aufstandes“, als „Krieg“ oder als „Völkermord“ bezeichnen? Ersteres würde bedeuten, dass die indigene Bevölkerung den Status der Untertanen hatte, „Krieg“ beschreibt den Konflikt zwischen Nationen oder Völkern, „Genozid“ die planmäßige und kalkulierte Vernichtung um der Vernichtung willen. Der Band, den Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller herausgegeben haben, lässt keinen Zweifel, wie seine Autoren die Sache sehen. „Der deutsche Krieg gegen die Hereros und Nama ist […] weder ein lokales Ereignis der namibischen oder deutschen Geschichte, noch ein isoliertes Ereignis der Kolonialgeschichte. Vielmehr ist er ein herausgehobenes Ereignis in einer globalen Geschichte der Entfesselung der Gewalt, wie sie in den beiden Weltkriegen ihren Höhepunkt finden sollte. Auschwitz ist die Chiffre für den perversen Höhepunkt staatlicher Gewalt gegen die eigene und fremde Bevölkerung. Der Krieg gegen die Herero und Nama war ein entscheidender Schritt in dieser Entwicklung und ein Menetekel vom Beginn des 20. Jahrhunderts für das, was noch kommen sollte“, schreibt Zimmerer am Ende seines Aufsatzes. Wer so klar Position bezieht, braucht gute Argumente. Und der große Verdienst dieses Bandes ist, dass er sie liefert. Sowohl, was den Quellenbeleg angeht, wie auch, was die argumentative Schlüssigkeit angehet, setzt „Völkermord in Deutsch-Südwestafrika“ Maßstäbe. Nur ein einziges Mal wird in einer Fußnote das ,Blaubuch‘ als Beleg angeführt. Ansonsten zitieren die Autoren aus Briefen und Berichten deutscher Missionare und Offiziere, lesen die Aussagen im Verhältnis zur allgemeinen Geisteshaltung und binden ihre Interpretation insgesamt in schlüssige Kontexte ein. So sind die vielen Literaturhinweise im Anmerkungsapparat ein weiterer kleiner Schatz, den dieser Band für die bereithält, die mehr lesen wollen.

Verdienstvoll ist vor allen Dingen, dass die jeweiligen Autoren der Falle entgehen, in die man all zu leicht tappt, wenn man sich mit dem Vernichtungskrieg gegen die Hereros beschäftigt. Man kann – aufgrund der Quellenlage – kaum anders, als die Geschehnisse aus der Sicht der Weißen zu schildern. Nichts anderes können zwar die Autoren, doch sind sie sich dieser Einschränkung bewusst, womit klar ist, dass nicht die historische Wahrhaftigkeit für sich selbst sprechen kann, sondern nur die Qualität argumentativer Analysen. Wenn Gesine Krüger im Eröffnungsaufsatz über „Das Goldene Zeitalter der Viehzüchter“ schreibt, oder Joachim Zeller und Casper W. Erichsen in ihren Aufsätzen über die Konzentrationslager auf der Haifischinsel und in Swakopmund, dann, indem sie sich bemühen, in ihre Perspektive auch die Opferseite miteinzubeziehen. Dabei verfallen sie jedoch nicht der Stilisierung der schwarzen Bevölkerung, die der Gegensatz Kultur (Weiß) und Natur (Schwarz) dominiert, und wonach die indigenen Menschen entweder „noble Wilde“ oder sprachlose Opfer waren, wie Medardus Brehl in seiner Sichtung der literarischen Aufarbeitungen sehr schön nachweist, sondern attestieren auch den Hereros und Namas ein taktisches Interesse am Bündnis mit den Deutschen. Die Aufsätze widmen sich den „Frauen im Kolonialkrieg“ (Gesine Krüger), den Gesetzen zur „Heirat im Krieg“ (Dag Henrichsen und Jürgen Zimmerer) und dem Stamm der Ovambos (Dominik J. Schaller), der sich eine relative Autonomie bewahrte, und beleuchten so weniger bekannte Aspekte der Jahre 1904-08, die aber erst den Hintergrund für das Verständnis des geschehenen Leids abgeben. In einem Block von sechs Aufsätzen schließt der Band schließlich die Lücke zur Gegenwart und diskutiert sowohl die afrikanischen Formen des Umgangs mit der eigenen Geschichte (Jan-Bart Gewald, Reinhard Kößler), wie auch die Debatten um Schuldanerkennung und Reparationszahlungen durch den Rechtsnachfolger des Kaiserreichs, die Bundesrepublik Deutschland.

Auch hier bezieht das Buch klar Stellung. Und gerade dass es nicht versucht, es allen Recht zu machen, sondern mit scharfem Profil auftritt, gereicht ihm zur Ehre. Dieses Buch ist ein Glück für das große Unglück, das in deutschem Namen in Afrika geschah.

Titelbild

Jürgen Zimmerer / Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904 – 1908) in Namibia und seine Folgen.
Ch. Links Verlag, Berlin 2003.
276 S. , 22,90 EUR.
ISBN-10: 3861533030
ISBN-13: 9783861533030

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